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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Haltet sie nur, bis die Geschütze vernagelt sind!“ hatte uns der Lieutenant Christiansen zugerufen, indem er den ersten Stahlnagel mit dem Hammer in das noch rauchende Zündloch trieb: er und der Artillerist Kloß verrichteten das Geschäft mit der größten Kaltblütigkeit. Aber es war auch Zeit, wir vermochten nicht mehr dem Anprall des Feindes zu widerstehen, der zudem an anderen Stellen die Schanzen schon erstiegen hatte und mitten im Lager war, so daß wir abgeschnitten zu werden fürchten mußten. Wir wandten uns abermals zur Flucht, zähneknirschend, aber mit dem Bewußtsein, das Menschenmögliche gethan zu haben. Niemals vorher hatte der Däne unsere Rücken gesehen, wir schworen uns grimmig, ihm die Schmach blutig zu vergelten. Da der Feind uns nicht belästigte, so marschirten wir in ziemlicher Haltung, bei jedem Schritt durch andere Flüchtlinge verstärkt, durch die nordwestlichen, noch nicht vom Feuer ergriffenen Lagergassen. Hier trafen wir auf die Reste des ersten und zweiten Jägerbataillons, die unter der Führung des Obersten von Roques sich gesetzt hatten, um den Feind zu erwarten; wir schlossen uns denselben an. In unabsehbaren Colonnen rückten die Dänen heran, doch schien unsere feste Haltung ihnen zu imponiren; sie zögerten mit dem Angriff. Unter dem Wechsel mehrerer Salven, bei welchen unsere guten Büchsen jedenfalls im Vortheil waren, zogen wir uns langsam zurück auf das Plateau. Mittlerweile hatten die dänischen Regimenter eine Seitwärtsschwenkung gemacht, ihre Artillerie spie schon wiederum in unsere Reihen, gleich darauf erfolgte ein Bajonnetangriff. Wir hielten dem furchtbaren Choc herzhaft Stand, drei Mal wiederholte ihn der Feind, drei Mal warfen wir ihn zurück – freilich mit furchtbaren Verlusten, auch unser Führer war, tödtlich verwundet, gefallen.

Der heute sonnige, heiße Morgen beleuchtete schreckliche Scenen, selbst demjenigen Schauder einflößend, der schon zahlreiche Schlachtfelder gesehen. Er beleuchtete leider aber auch den Rückzug einer geschlagenen Armee, welche fast zwei Drittheile ihrer Braven verloren hatte. Der Feind verfolgte uns nur lässig, mit Infanterie gar nicht. Einige Schwadronen seiner Dragoner hielten sich in durchaus respectvoller Entfernung; sie schienen uns mehr beobachten als schädigen zu wollen. Nichtsdestoweniger hieben sie die müden oder verwundeten Nachzügler nieder; zur Vergeltung flog ihnen aber auch manche gut gezielte Kugel hinter den unnahbaren Knicken hervor; es war von jeher die höchste Lust unserer Jäger, einen „Grützereiter“ aus dem Sattel zu blasen. Im Dorfe Jordrup, wenn ich nicht im Namen irre, nordwestlich in der Richtung von Viuf und Veile, sammelten wir uns zum ersten Male. Auch das vierte Jägerbataillon fand sich zusammen – es waren wenig über hundert Mann, von meiner Compagnie achtzehn, und ich der einzige Officier, der ich demnach sofort das Bataillonscommando zu übernehmen hatte. Hier gewahrte ich auch, von Cameraden aufmerksam gemacht, daß ich verwundet war, von einem Streifschuß leicht getroffen. Unser Aussehen war fürchterlich; die Gesichter schwarz von Pulver, die Monturen zerrissen und zerfetzt, blutbespritzt, ein Jeder verwundet oder zum Tode matt, die Meisten ohne Kopfbedeckung, aber Keiner ohne die treue Waffe – so flößten wir selbst den stieren Jüten Mitleid oder Furcht ein; sie brachten Wasser, Branntwein, selbst Brod. Die interimistische Organisation der Bataillone ging rasch vor sich, unterstützt durch den Succurs eines Theils der Avantgarde unter Major v. Zastrow. letztere verstärkte sich durch die am mindesten decimirten Jägercompagnien und marschirte nach kurzer Rast racheschnaubend dem Feind entgegen; aber dieser saß schon wieder wohlgeborgen in seiner Feste, so blieb den Unseren nur das Sammeln der Verwundeten und das Begraben der Todten. Der letzteren waren es weit mehr, als der ersteren; doch ist die genaue Zahl noch nicht bekannt. Jedenfalls war die Nacht vor Fridericia die unglücklichste und blutigste Affaire des ganzen merkwürdigen Krieges.

Das Gros unserer Armee rückte Nachmittags in Veile ein. Mein Bataillon hatte über zwei Drittheile seiner Mannschaften verloren, drei Viertheile seiner Officiere. Und es herrschte eine unaussprechlich finstere Stimmung unter uns, denn wir fürchteten abgeschnitten zu sein und in Jütland ohne Rache aufgerieben zu werden, während lauter als jemals der Argwohn sich äußerte: „Es wird ein falsches Spiel mit uns getrieben!“ Haben dies doch beim Einmarsch Einzelne aus den Reihen dem bleichen Bonin an den Kopf geworfen, als er mit entblößtem Haupt uns vorüberziehen sah – er hatte keine Antwort für den Vorwurf, aber auch keine Strafe für das Vergehen gegen die Subordination. Wie viele liebe Cameraden, wie viele tapfere deutsche Männer hat sie gekostet, die unselige Nacht vor Friedericia! – –

Wir können uns nicht versagen, schließlich zur Vervollständigung des Bildes einen kurzen Bericht zu citiren, welcher uns in öffentlichen Blättern über den Ueberfall bei Friedericia begegnet ist und unseres Freundes speciell gedenkt. Er ist erstattet von dem damaligen Etappen-Commandanten in Veile (v. W.?) und lautet: Es war gegen Mittag (6. Juli) als die schleswig-holsteinsche Armee von der Höhe des Windmühlenberges her in Veile einrückte – ein Anblick, der allen denen unvergeßlich sein wird, welche damals diese braven Truppen an sich vorbeipassiren sahen. Zerschossen und zerfetzt an Monturen, Helmen und Lederwerk, in den Gliedern viele Verwundete mit blutigen Tüchern um den Kopf oder den Arm in der Binde, pulvergeschwärzt und durch Schweiß und Staub bis zur Unkenntlichkeit entstellt, defilirten die Bataillone nach ihren Bivouacplätzen vor dem Nordernthor, so fest und martialisch, wie man es kaum bei älteren Armeen sehen dürfte, wenn sie eine Nacht hindurch dem numerisch doppelt überlegenen Feind in blutigem Kampf die Stirn geboten und dann einen sechsstündigen Marsch in heißer Julizeit zurückzulegen gehabt hätten. Man sah es diesen Truppen an, daß sie männlich gerungen, denn festen, stolzen Blicks durchschritten sie die Reihen der Soldatengruppen, die, von Theilnahme und Neugierde veranlaßt, sich zu beiden Seiten der Straße aufgestellt hatten. Ich sah damals Compagnien vorübermarschiren, die auf ein kleines Häuflein zusammengeschmolzen waren, und noch erinnere ich mich, wie heute, daß ein bei der Commandantur eingehender Requisitionsschein eines schleswig-holsteinschen Bataillons unterzeichnet war von einem Lieutenant, irre ich nicht, Ohlsen, mit dem Beisatz „derzeit mit dem Bataillonscommando betraut“. So blutig waren diese braven Bataillone in jener Nacht decimirt worden. Ich erinnere mich nur einmal einen ähnlichen Anblick gehabt zu haben, nämlich im Feldzug 1850 gegen die Dänen, wo ich das sechste schleswig-holsteinsche Bataillon nach dem Sturm auf Friedrichsstadt zurückmarschiren sah, vom feindlichen Feuer zusammengebrannt bis auf die Schlacken, denn das Bataillon hatte von siebzehn oder achtzehn Officieren fünfzehn auf dem Platze gelassen, hatte mehr als den dritten Theil verloren und von dem Rest war kaum ein Mann, der nicht eine oder mehrere Kugeln in seiner Montur u. s. w. aufzuweisen hatte.

Der dänische Stoß am 6. Juli 1849 riß die dünne Linie, welche die „Reichstruppen“ von Kiel bis Aarhuus gebildet hatten, zwischen Kolding und Veile entzwei, jede Verbindung war unterbrochen; die Folge war eine allgemeine Truppenbewegung vom Norden und Süden her, um jenen Riß zu repariren. Die Dänen verschwanden damals nach gethaner Arbeit hinter den Wällen von Friedericia.




Zum Jubelfest des schwarz-roth-goldnen Banners.
Rückerinnerungen von Robert Keil.
I.

Sie rüsten sich zum Feste, die Alten wie die Jungen, die je dem schwarz-roth-goldenen Bande und dem Geist gehuldigt, der unter diesem Zeichen siegen soll. Die Aufrufe zur Theilnahme an den Tagen vom 14. bis 16. August finden bereitwillige Aufnahme in der gesammten Presse, die engen Grenzen eines Studenten-Verbindungsfestes sind damit längst überschritten, die nationale Bedeutung desselben wird mit jedem Tag freudiger anerkannt: hat dadurch ein großer Theil des deutschen Volkes doch jetzt erst erfahren, daß Deutschland das einzige sichtbare Zeichen seiner ersehnten Einheit weder seiner Geschichte noch seinen Fürsten zu verdanken hat, sondern einzig und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_506.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2020)