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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

allein der vielverfolgten Burschenschaft. Daß aber in und mit derselben nichts mehr und nichts weniger verfolgt worden ist, als eben das alte nationale Streben nach des Vaterlandes Einheit, das ist es ja, was in jedem einzelnen Lande und Ländchen Deutschlands für die nationale Sehnsucht die zahlreichen Märtyrer und für das Fest der Burschenschaft die treuesten Genossen schuf.

In den schweren Tagen der napoleonischen Vergewaltigung des deutschen Vaterlandes, unter dem erschütternden Gange der Begebenheiten überwand die deutsche studirende Jugend den Standpunkt mittelalterlicher beengender Form. „Sie lernte den rohen Cynismus, den lächerlichen Pomp ihrer ‚Orden und Landsmannschaften’ verachten, und nimmermehr konnte sie an dem jedem vaterländischen Streben abgewandten Studentenleben, das sich, den Bruch mit Zucht und Sitte als ein seinem Stande besonderes Privilegium zurechtlegte, Gefallen finden. Die jungen Männer waren als ganz andere zurückgekehrt. Jahn, welcher in der Kriegszeit großen Einfluß auf sie gewonnen, hatte in seinem „Deutschen Volksthum“ auch für die Hochschulen reformistische Gedanken niedergelegt. Sie zu verwirklichen, war ein Theil der akademischen Jugend ernstlich gewillt. Dies zeigte sich namentlich in Jena. Die Dichtungen der großen Sänger verdrängten gar bald die cynischen Zoten aus dem Munde der Jugend, ein besserer Geist machte sich geltend, und dies zwar schon seit dem Ausbruche der französischen Revolution durch den Antrieb von bedeutenden Männern, welche damals ihre Lehrer waren.

Schiller, der von der Jugend verehrte Dichter der „Räuber“, des „Don Carlos“, hatte seinen Beruf ernst und würdig erfaßt, er wußte als Lehrer begeisternd auf die Jugend zu wirken. Reinhold versuchte nicht fruchtlos die Einführung und Verbreitung Kant’scher Grundsätze und Lehren, und der Segen einer uneingeschränkten Lehrfreiheit bewirkte, daß die bedeutendsten und anziehendsten akademischen Kräfte sich nach Jena wandten und daselbst läuternd und bessernd auftraten. Mit- und nacheinander arbeiteten und lehrten hier jene Männer, deren Namen für die Entwickelung des deutschen Geisteslebens so bedeutsam geworden sind: in der Rechtswissenschaft Feuerbach, Walch, Hufeland, Thibaut; in den Naturwissenschaften Oken, Döbereiner, Suckow; in der Philosophie Reinhold, Fichte, Niethammer, Schelling, Hegel, Krause, Fries, Ersch und Andere; in der Geschichte Eichhorn, später Schiller und Luden; in der ästhetischen Kritik die beiden Schlegel, Tieck und Wilhelm v. Humboldt.

Am nachhaltigsten und durchgreifendsten vermochte Fichte auf sittliche und wissenschaftliche Durchbildung hinzuwirken, Charaktere heranzubilden, mit seiner ethischen Strenge die Herzen derer zu begeistern für die höchsten und heiligsten ideellen Güter, denen sonst Kartenspiel, Dorfnymphen, Unfug und Trinkgelage das Höchste waren.

Da kam die unselige Schlacht von Jena und die Universität hatte nicht wenig unter den Schrecken jener Tage zu leiden. Napoleon schenkte ihr seine Aufmerksamkeit und nannte sie freundlich den ,Hauptheerd aller Revolutionäre und Demokraten‘. Als Luden unter großem Beifalle sein Collegium über vaterländische Geschichte 1807 schloß, umstanden das Auditorium französische Wachen. Die Erhebung Deutschlands führte die akademische Jugend auf den Kampfplatz, die Universität sah sie, wie oben bemerkt, als ganz andere Männer wieder. Die Thuringia, Vandalia, Franconia lösten sich freiwillig auf, eine neue Verbindung wurde hergestellt und an die Spitze ihrer Verfassung der Grundsatz gesetzt: Freiheit und Ehre sind die Grundtriebe des Burschenlebens.




Während der Franzosenkaiser mit seiner zahllosen Armee siegreich in Rußland eindrang, wagte es ein kleines deutsches Studentenhäuflein, das erste deutsch-patriotische Studentenfest dieses Jahrhunderts zu begehen. Es ist dasselbe als Zeichen der Zeit, als die Vorfeier der Burschenschaft bedeutsam. Es war in der Nacht vom 5. zum 6. September 1812, als die Landsmannschaft Vandalia auf der Kunitzburg bei Jena versammelt war. Ein Wachtfeuer loderte innerhalb der wenigen Trümmer mittelalterlicher Ritterlichkeit auf und sprühte seine Flammen und sein Licht weit hinaus in das herrliche Saalthal. Kriegsgesänge und begeisterungsvolle Ansprachen, ein Pereat der Tyrannenmacht, ein Hoch der zu erringenden Freiheit des geknechteten Vaterlandes donnerten in die Nacht hinaus, und es kreisten dazu die gefüllten Humpen. Gleich den ersten Eidgenossen auf dem Rütli erhob sich um die neugeschürte Gluth die in Kampfbegier bis zum Ueberkochen aufbrausende Schaar, schloß kraftbewußt die Hände ineinander und schwur mit einem Weheruf über die trübe Gegenwart unverbrüchliche Treue und Ergebenheit dem Vaterlande. Da, in diesem Augenblicke, blitzten die ersten Strahlen der in prächtigem Glanze am reinen Horizont hervorglühenden Morgensonne, und triumphirend begrüßten die braven Jünglinge diesen ersten Sonnenstrahl als das Sinnbild naher Erfüllung der tief in der Brust gehegten patriotischen Sehnsucht nach Erlösung. Das war das Fest der patriotischen Jünglingsschaar auf der Kunitzburg, es war – um mich des Ausdrucks Robert Blum’s zu bedienen – ein Hahnenruf, welcher den kommenden Tag einer neuen Geschichte unseres Volkes verkündete.

Und es kam der Tag einer neuen Geschichte unsers Volks. „Das Volk stand auf, der Sturm brach los“, in Begeisterung für Vaterland und Freiheit eilten die deutschen Männer und Jünglinge zu den Waffen und allen voran die akademische Jugend. Einzelne Universitäten, wie Jena, Breslau etc., sandten ganze Compagnieen und Schwadronen; Lützow’s „wilde, verwegene Jagd“ bestand großentheils aus deutschen Studenten; wo es das kühnste Wagniß, die verwegenste That galt, da waren sie zur Hand und in erster Reihe. Auf den Schlachtfeldern von Leipzig, von Waterloo etc. schläft mancher blond- und braunlockige Musensohn den langen Schlaf des Heldentodes für deutsche Freiheit. Und als der blutige Sieg entschieden war und das deutsche Volk zwar das Joch französischer Tyrannei gebrochen hatte, aber durch die Federn der Diplomaten um all seine Hoffnungen und gerechten Forderungen einer wahren freiheitlichen Einigung des Gesammt-Vaterlandes schnöde betrogen; als sich nach dem Frieden mit der allgemeinen Enttäuschung auch allgemeine Erschlaffung der Gemüther bemächtigte – da waren es die nach ihren Hochschulen zurückgekehrten Jünglinge, welche das in Deutschland erwachte National-Bewußtsein, die Begeisterung für deutsche Einheit und deutsche Freiheit in sich wach und lebendig erhielten und dem deutschen Volke für spätere Zeiten bewahrten. Angeekelt von dem wüsten Treiben des bisherigen Universitätslebens und von der sinnlosen Absonderung der Studirenden nach Heimath und Landsmannschaft, erstrebten die zurückgekehrten Freiheitskämpfer eine durchgreifende, patriotische Reform des Universitätslebens, eine Vereinigung aller Studirenden, gegründet auf den Geist der Freiheit und Selbstständigkeit des Vaterlandes, eine Vereinigung zu allseitiger Ausbildung der Jugendkraft zum Heil des Volks. Den ganzen, vollen Erfolg hatten diese Bestrebungen zuerst in Jena. Aus den von den zurückgekehrten Freiheitskämpfern fortbetriebenen körperlichen Uebungen ging eine „Wehrschaft“, aus der Wehrschaft endlich die Burschenschaft hervor. Aus unserem Buche, das als Festgabe zum Jubiläum der Burschenschaft nächstens die Presse verlassen wird, „den Alten und den Jungen zur Erinnerung an die großen Tage deutschen Burschenlebens gewidmet“,[1] mag die nach den Mittheilungen damaliger Burschen gegebene Schilderung des Stiftungs-Actes selbst hier Platz finden:

Am 10. Juni 1815 erging der öffentliche Aufruf, daß alle ehrenwerthen Studenten am 12. Juni um neun Uhr Vormittags auf Jenas Markte sich versammeln möchten. Rasch wurden noch die letzten Vorbereitungen getroffen. Johannes Cotta aus Ruhla, stud. theol. zu Jena, von vaterländischer Begeisterung, von burschenschaftlichem Sinn und musikalischem Talent erfüllt, hatte zu Arndt’s hervorragendstem Vaterlandsliede: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ eine schwungvolle, kräftige Melodie componirt, die erste Melodie des Liedes, die dann als eigentliche Volksmelodie in Volkesmund übergegangen ist und Tausende von Herzen in Nord und Süd seitdem erwärmt und begeistert hat. Georg Friedrich Hanitsch aus dem Eisenachischen, stud. theol., ging beim Instrumentiren und Einüben des Liedes ihm zur Hand und componirte selbst zu einem andern Arndt’schen Liede, zu den herrlichen Worten: „Sind wir vereint zur guten Stunde“ etc. die schöne Melodie. Am 12. Juni 1815 versammelte sich eine namhafte Zahl von Studenten – Landsmannschafter, Renoncen und Finken, die aufgelösten Landsmannschaften mit ihren Fahnen, auf Jenas freundlichem Marktplatze, von Alters her dem forum der Studenten. Bei den Klängen der Stadtmusik zogen die Versammelten – die Landsmannschaften

  1. „Die Gründung der deutschen Bruschenschaft in Jena“ von Robert und Richard Keil. Jena, Verlag von Mauke, 1865.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_507.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)