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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

dem Volke mitgetheilt werden, damit es einsehen lerne, daß die Einheit Deutschlands nothwendig und gesetzmäßige Freiheit, durch Constitutionen begründet, durchaus wünschenswerth sei. Die praktische Wirksamkeit des Bundes beschränkte sich daher auf seine Verbreitung und auf Versammlungen zu Besprechung des Bundes. Es fehlte ihnen jedoch an Einsicht, Klarheit, Erfahrung, an Einheit und Kräften. Sie blieben ohne Hülfe von außen, der vermeintliche „Männerbund“ existirte nicht, die Umwälzungen in Italien, Spanien, Portugal fanden ihren Damm. So zerfiel allmählich der Jünglingsbund und würde sich auch formell aufgelöst haben, wenn die weite Entfernung der Theilhaber es ermöglicht hätte. Immerhin hat er in der Geschichte des deutschen Volkes seine Bedeutung. Was jetzt die ganze deutsche Nation als nationales Bedürfniß erkannt hat, was wir zum Theil bereits erlangt haben, zum Theil noch zu erlangen streben, was selbst von den deutschen Fürsten vor zwei Jahren im Römer zu Frankfurt als Nothwendigkeit anerkannt worden ist, die freiheitliche Einigung des ganzen großen Vaterlandes, dies und nichts anderes wollten schon damals jene Jünglinge, und ihre Bestrebungen sind ein Factor gewesen in der Fortentwickelung dieses nationalen Processes.

Der Burgkeller in Jena.
die alte Kneipe der Burschenschaft.

Aber wie wurde von den damaligen Regierungen dies Beginnen der deutschen Jugend angesehen, wie mußten die jungen „Demagogen“ für ihren „Hochverrat“ büßen! A. Ruge, ein Mitglied des Jünglingsbundes, erzählt z. B. in seinen Denkwürdigkeiten: Kurz vor Weihnachten 1823 kamen schlimme Nachrichten von den Verhaftungen mehrerer vertrauter Freunde aus dem Burschenkreise von Halle nach Heidelberg, und Ruge fühlte wohl, daß „der fünfte Act des Dramas gekommen“ und die Gefahr, seine Freiheit zu verlieren, nahe gerückt sei. Obwohl gewarnt, entschloß er sich doch, ruhig auszuharren und Simon’s aufopferndes Anerbieten, mit ihm zu flüchten, abzulehnen. An einem der ersten Tage des Jahres 1824 versammelten sich die Freunde zu einem großen Gelage. Als hätte er eine Ahnung gehabt, daß es sein letzter freier Abend sein solle, geizte Ruge förmlich mit den Minuten und wollte am liebsten gar nicht nach Hause gehen. Endlich gegen Mitternacht brachen sie auf. Ruge öffnete die Thür seines Hauses, suchte Stubenschlüssel und Licht, – da tauchten aus allen Ecken Gestalten auf und ein quiekender Regierungsrath aus Karlsruhe verhaftete den allzu Vertrauensseligen „wegen Hochverraths“. Der Kerker wartete seiner und erst sechs Jahre später sollten die Thüren, die jetzt hinter ihm zuschlugen, sich ihm wieder öffnen!

Der Jünglingsbund war durch Verletzung des Briefgeheimnisses entdeckt worden und die große Mehrzahl seiner Mitglieder, soweit sie sich nicht durch eiligste Flucht in die Schweiz oder über das Meer retteten, wurden als Demagogen verhaftet und auf das Allerhärteste gestraft. Wie sich die Mainzer Commission freute, in Demagogenriecherei wieder machen zu können! wie sich überall die Gerichte beeilten, die edelsten Söhne des Vaterlandes in den Kerker zu werfen! Ein einziges Erkenntniß des Breslauer Oberlandesgerichts allein verurtheilte

1) den Lieutenant (früher Student) Karl Friedrich von der Lanken „wegen Theilnahme an einer verbotenen, das Verbrechen des Hochverraths vorbereitenden geheimen Verbindung und deren Verbreitung“ zu zwölf Jahren Festung,

2) den Hülfslehrer am Bielefelder Gymnasium, H. Chr. Alb. Clemen, zu fünfzehn Jahren Festung,

3) Joh. Heinr. Karl Brandes zu sechs Jahren Festung,

4) Carl Joh. Otto Sigismund von Witter zu fünfzehn Jahren Festung, ebenso

5) den Auscultator von Bonge zu Breslau zu fünfzehn Jahren,

6) den Auscultator A. E. Lange zu Landsberg zu fünfzehn Jahren,

7) den Auscultator Kaspari zu Groß-Salza zu dreizehn Jahren,

8) August Friedr. Gottlieb Pötsch zu acht Jahren,

9) Ernst Ferdinand Hagemeister zu acht Jahren,

10) den Rector Schütte zu Herdecke zu fünfzehn Jahren,

11) Georg Arnold Rump zu fünfzehn Jahren, ebenso

12) Arnold Ruge zu fünfzehn Jahren Festung,

13) F. W. L. D. Landfehrmann zu dreizehn Jahren,

14) H. Th. R. E. Ledebur zu fünfzehn Jahren,

15) F. W. Lehmann zu zehn Jahren,

16) Wilh. Ernenputsch zu elf Jahren,

17) Hermann Ascan Demme zu neun Jahren Festung,

18) von Viebahn „wegen dringenden Verdachts, die Existenz dieser Verbindung wohl gekannt, ohne aber hiervon der Behörde Anzeige gemacht zu haben“ (!!), zu „außerordentlichem“ zweijährigen Festungsarrest,

19) A. L. Chr. Gabert zu fünfzehn Jahren Festung, ebenso

20) Moritz Großler zu fünfzehn Jahren,

21) C. Aug. Springer zu fünfzehn Jahren,

22) G. A. Wislicenus zu zwölf Jahren,

23) F. W. H. Pirschner zu vierzehn Jahren,

24) C. F. Bercht zu vierzehn Jahren,

25) E. P. Schliemann zu dreizehn Jahren,

26) R. W. Th. Quinke zu acht Jahren und

27) A. F. Huhold zu neun Jahren Festung,

überdies auch zu Dienstentsetzung, Unfähigkeit zu allen öffentlichen Aemtern, Verlust des Rechts zur Tragung der preußischen Nationalcocarde und der Denkmünze für Nichtcombattanten aus dem Jahre 1815. So brachen ehemalige Landsmannschafter als nunmehrige preußische Richter, gehorsam den Befehlen ihrer Regierung, den Stab über edle deutsche Jünglinge, ohne das patriotische Streben derselben zu verstehen, ohne zu begreifen, wie schwer sie selbst sich gegen das Recht und die Geschichte des deutschen Volkes vergingen. Natürlich richteten sich die hochnothpeinlichen Untersuchungen auch gegen die Mitgliedschaft bei der geheimen Burschenschaft, der bloße Verdacht burschenschaftlicher Gesinnung genügte, um zum Gefängniß, zur Festung geführt zu werden. Wahrlich, die Schamröthe steigt Einem in das Gesicht, wenn man die Blätter der Geschichte deutscher Demagogenriecherei liest!

Von Neuem beschloß im Jahre 1824 die deutsche Bundesversammlung Auflösung der Burschenschaft, von Neuem aber schuf der unverwüstliche burschenschaftliche Sinn der akademischen Jugend sowohl in Jena (wo von 1823 an der altehrwürdige Burgkeller zum Burschenhause diente), als auch in Leipzig, Halle, Erlangen, Würzburg, Heidelberg, Göttingen, Marburg, Gießen etc. geheime burschenschaftliche Verbindungen und vereinigte sie sogar im Jahre 1828 zu einer neuen allgemeinen deutschen Burschenschaft, welche als Endziel die Einheit Deutschlands bezeichnete und als ihre Tendenz aussprach, daß sie „die Vorbereitung zur Herbeiführung eines

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_520.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2022)