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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

sie selber auf’s Krankenlager, um nicht wieder davon aufzustehen. Da kamen erneute Berichte von der schmachvollen Behandlung der im Libby bei Richmond gefangenen Soldaten, die alle seitherigen Schilderungen der Martern an Gräßlichkeit übertrafen. Durch Hunger sollte man sie langsam zu Tode quälen, hieß es in den amtlich aufgenommenen Berichten ausgewechselter Officiere, und im Freien jedem Wetter preisgegeben, seien auf einer Insel im Jamesflusse die Soldaten internirt, so daß täglich Dutzende von Leichen, die dem Delirium erlegen waren, in das Wasser geworfen würden.

Diese Nachrichten zerrütteten den einst so kräftigen Geist unserer Heldin der Art, daß an eine Linderung ihres Zustandes nicht zu denken war. Sie starb nach einigen Tagen, in der letzten Stunde mit lichten Augenblicken, Gott ergeben, wie eine Amerikanerin! Und wohl ihr, denn bald darauf lief die schauerliche Nachricht ein, daß Henry Gibson aus Washington, genannt John Underhill, der entsprungene Sträfling von Blackwell’s Island, im Kerker zu Libby durch einen jungen südstaatlichen Rekruten, als er gegen das Verbot dem Fenster des Gefangenensaals zu nahe gekommen, erschossen worden sei.

So endete Einer von den Vielen, die als brave Männer für das Wohl ihres Vaterlandes die Waffe führten – ein Mann, der aus Liebe zu den Seinen auf seine Schultern ein Verbrechen nahm, für das er unschuldig büßen mußte.




Hülfe in Todesnoth.

Gegen das Verbot unserer Eltern gingen wir, meine Spielgenossen und ich, recht fleißig in einem nicht weit vom Heimathsörtchen, aber recht versteckt in einem schattigen Wäldchen gelegenen Teich baden. Anfangs trieben wir uns im seichten Wasser des ganz allmählich abfallenden Ufers umher, später brachte es die Beharrlichkeit des Einen und des Andern dahin, daß er nach Pudelart eine kurze Strecke weit schwimmen konnte, zur Bewunderung und zum glänzenden Beispiel der Andern, und endlich gelang es auch Einzelnen, das Naturschwimmen gegen das kunstgerechte zu vertauschen. Ein solcher gestattete sich dann, beim Beginn des Badens sogleich vom steilen Ufer in die tieferen Stellen des Teiches zu stürzen. Das war Alles ganz gut, gereichte uns zu Nutzen und großer Freude und Niemand zum Schaden, außer einmal denen, welchen die von boshafter Hand vertauschten Hemden zum Verräther wurden. Aber es sollte schlimmer kommen, und beinahe hätte das Vergnügen noch ein böses Ende genommen.

Zu uns, die wir Stammgäste im Teiche und mit allen Untiefen und Tücken desselben vertraut waren, gesellte sich dann und wann ein Gast, dem eine so gründliche Kenntniß des Terrains abging. Meist hielten sich solche im knietiefen Wasser des Ufers. Eines Tages aber ließ sich ein solcher Neuling dadurch täuschen, daß Einige von uns sofort schwimmend in tiefe Stellen gingen und anscheinend noch Grund hatten; unbeachtet von den Andern folgte er ihnen an derselben Stelle und auf einmal war er verschwunden. Zwar wurde es von uns sofort bemerkt, aber durch seine heftigen Bewegungen war der unglückliche Schwimmer so weit in das tiefe Wasser gerathen, daß er nur nach vielfachen vergeblichen Anstrengungen gefaßt und an das Ufer geschafft werden konnte. Es war die höchste Zeit dazu gewesen. Die anfangs sehr lebbaften Bewegungen waren immer langsamer geworden, immer seltener war er emporgetaucht und endlich kamen nur noch dann und wann die Arme zum Vorschein. Fast als Leiche brachten wir unsern Freund aufs Trockene. Wie eine todte Masse lag er da, in sich zusammengesunken, mit blauen Lippen und blauen Wangen, in langen Pausen that er einen kurzen, heftigen Athemzug. Was war da zu thun? Sollte Einer von uns zu den nächsten, eine Viertelstunde entlegenen Häusern laufen und Hülfe holen, einen Arzt herbeischaffen, vielleicht während die Andern Belebungsversuche anstellten? Belebungsversuche, an diese dachten wir zunächst allerdings auch, aber was sollten wir thun? Einer schlug vor, den Verunglückten auf den Kopf zu stellen, damit das Wasser wieder herausliefe, ein Anderer war für das Frottiren der Haut, gethan haben wir aber nichts, denn er kam von selbst sehr bald wieder zu sich.

Mir ist der Vorfall nie wieder aus dem Gedächtniß gekommen und mit dem lebhaftesten Interesse habe ich auf Alles geachtet, was zur Belebung dergleichen Verunglückter in Vorschlag gebracht worden ist. Es wird auch zugegeben werden müssen, daß in vielen Fällen der Tod hätte abgewendet werden können, wenn zu rechter Zeit passende Hülfe geleistet worden wäre. Sachverständige herbeizuschaffen, nimmt die kostbarste Zeit in Anspruch, jede Minute Verzug macht die Aussicht auf Wiederbelebung immer unwahrscheinlicher, und doch giebt es ein Verfahren, das außerordentlich leicht und von Jedermann ausgeführt werden kann, also auch Jedermann bekannt sein sollte. In den folgenden Zeilen wollen wir dieses Verfahren auseinander setzen, um es aber recht deutlich zu machen, wollen wir zunächst erörtern, in welchem Zustande sich ein Ertrunkener befindet und worauf bei Hülfeleistung das Augenmerk eigentlich zu richten ist.

Vielfach ist die Ansicht verbreitet, wenn Einer ertrinkt, laufe ihm das Wasser in die Lungen. Das ist aber nicht richtig. Der in’s Wasser Gefallene hält in der Regel den Athem an und holt blos Athem, wenn er mit dem Kopf über Wasser kommt; dabei kann es allerdings geschehen, daß etwas Wasser mit in die Lungen gesogen wird; das Wasser aber, das ihm in den Mund kommt, verschluckt er; es kommt also in den Magen. Während nun der Ertrinkende den Athem an sich hält, kann weder die im Blut entstehende Kohlensäure dasselbe verlassen, noch neuer Sauerstoff in das Blut aufgenommen werden, und es tritt somit aus diesen beiden Ursachen einfach Erstickung ein. Das Bewußtsein trübt sich, die Bewegungen werden immer langsamer und kraftloser, immer seltener taucht der Verunglückte auf, endlich hört alle Bewegung auf, die Muskeln erschlaffen und nun kann es geschehen, daß Wasser in die oberen Luftwege läuft: es steigen über dem Versunkenen ein paar Luftblasen auf. Dies Alles hat die Aufhäufung der Kohlensäure im Blute bewirkt. Kohlensäurereiches Blut taugt nicht zur Ernährung und zur Erhaltung des Lebens. Solches Blut wirkt zunächst lähmend auf die Herzthätigkeit, das Herz schlägt nicht mehr so schnell und so kräftig, wie vorher; in Berührung mit dem Gehirn und Rückenmarke vermag solches Blut diese höchst wichtigen Körpertheile nicht mehr lebensfähig zu erhalten, das Bewußtsein erlischt und die ganze Nerventhätigkeit hört auf, der ganze Mechanismus steht still.

Offenbar ist nun das passendste Mittel für die Wiederbelebung dasjenige, welches die Kohlensäure aus dem Blute fortschafft, gerade so wie nach einer Vergiftung das Mittel das beste ist, welches das Gift wieder aus dem Magen entfernt. Ea muß also vor allen Dingen das Athmen wieder hergestellt werden. Diese Anschauung liegt jedenfalls dem Vorschlag zu Grunde, Ertrunkene auf den Kopf zu stellen; es soll das in die Lunge gedrungene Wasser wieder auslaufen. Doch ist dieses Verfahren nicht blos unnütz, sondern auch gefährlich. In die Tiefe der Lungen eingedrungenes Wasser läuft ebensowenig aus diesen heraus, wie Wasser aus einem mäßig feuchten Schwamme; dazu kommt, daß der von verschlucktem Wasser oft stark angefüllte Magen herabsinkt und den Lungenraum nun verkleinert. Das Wasser aber, welches dem Ertrunkenen in den hinteren Partien des Schlundes und in den oberen Luftwegen sitzt, läuft schon heraus, wenn man ihn auf den Bauch legt. Man muß also ein zweckmäßigeres Verfahren aufsuchen.

Vielfach ist auch das Einblasen von Luft in die Lungen empfohlen worden. Es könnte dies nur so gemacht werden, daß Jemand seinen Mund auf den des Ertrunkenen fest aufsetzt, ihm die Nase zuhält und nun kräftig bläst, dann die dem Ertrunkenen eingeblasene Luft entweichen läßt und von Neuem bläst und sofort in regelmäßigen Absätzen. Dies wäre das einzig mögliche Verfahren, da Instrumente zum Lufteinblasen, deren Gebrauch außerdem erst durch Uebung erlernt werden muß, nicht zur Hand sind. Allein auch ohnedem dürfte es für den Unerfahrenen schwer sein,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_550.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)