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Darmstadt zu Rathe gezogen und ein wenig geflickt, ein bischen gestützt und das Einsturz Drohende abgerissen wurde.

Boisserée’s Werk ist bekannt; er hat mit einer Art von naiven Zuversichtlichkeit und Ausdauer Jahre lang bei Hoch und Niedrig für altdeutsche Kunst und besonders für den Dombau Propaganda gemacht und mit Erfolg. Als die Franzosenherrschaft vorüber war und Preußen Köln und die Rheinlande übernahm, da war der Sinn für die gothische Kunst schon wieder so geweckt, daß sogleich an die Restauration des Domes gedacht wurde, und der damalige Kronprinz, nachmaliger König Friedrich Wilhelm der Vierte, erhob sich bereits zu dem Gedanken der Vollendung des großen Wunderbaues. Schinkel wurde beauftragt den Bau zu untersuchen, und auf seinen Bericht verordnete der König Friedrich Wilhelm der Dritte, das Vorhandene solle erhalten werden, aber es dauerte noch bis zum Jahre 1824, ehe man wirklich Hand anlegte. Doch beschränkte sich Alles auf nothdürftige Reparaturen, die unter Leitung des Bauinspectors Ahlert bis 1833 fortgesetzt wurden, wo dieser starb. Nun übernahm Zwirner das Werk und machte sofort Pläne zum Weiterbau und zur Vollendung der eigentlichen Kirche, des Quer- und Langschiffes bis zu den Thürmen heran. Auch Schinkel hatte solchen Plan gefaßt, jedoch in der Weise, daß nur das Nothdürftigste im Rohbau geschaffen, selbst das Strebesystem womöglich gespart und alles Ornamentale und baulich nicht durchaus Erforderliche späteren Zeiten überlassen werden sollte. Bei dem System äußerster Sparsamkeit, welches unter Friedrich Wilhelm dem Dritten in Preußen herrschte, kam aber von alledem Nichts zur Ausführung.

Inzwischen war aber ein allgemeiner Enthusiasmus für den Kölner Dom erwacht: je weniger man im Grunde von der gothischen Kunst verstand, um so mehr schwärmte man dafür, und mit dem Regierungsantritte König Friedrich Wilhelms des Vierten kam ein kunstfreundlicher, ja kunstschwärmerischer Herrscher an die Spitze der Dinge in Preußen. Nun bildete sich in Köln ein Verein von angesehenen Bürgern zu dem Zwecke, den Dombau auf jede Weise zu fördern und zwar den Dom ganz nach dem ursprünglichen Plane fertig zu bauen, ohne Aenderungen, ohne Sparsamkeitsrücksichten das zu vollenden, was das Mittelalter nicht hatte vollenden können. Der König ward Protector dieses Vereins (1841) und gab dem Projecte des Ausbaues seine völlige Zustimmung, Zwirner’s Plan und Kostenanschlag wurden genehmigt, am 4. September 1842 wurde im Beisein verschiedener deutscher Fürsten durch den König der Grundstein zum Weiterbau gelegt, dort, wo sich das Südportal des Querschiffs öffnet, und der König sprach: „Hier, wo der Grundstein liegt, dort, mit jenen Thürmen zugleich, sollen sich die schönsten Thore der ganzen Welt erheben. Deutschland bauet sie, so mögen sie für Deutschland durch Gottes Gnade Thore einer neuen, großen, guten Zeit werden!“

Und in der That baute Deutschland an dem Werke; überall bildeten sich Zweigvereine zu solchem Zweck, der Kölner Verein ward Centralverein, wie er noch jetzt besteht. Der Staat gab jährlich fünfzigtausend Thaler für den Aufbau der Südseite, die Vereine brachten die gleiche Summe auf für die Nordseite. Aber auch von anderen Seiten flossen dem Werke bedeutende Hülfen zu. Der Prinz von Preußen, der jetzige König, gab zehntausend Thaler für die Bildwerke des Südportals, König Ludwig von Baiern gab sechszigtausend Thaler, der österreichische Kaiser fünftausend fünfhundert und zweiundfünfzig Thaler, die Königin von England dreitausend fünfhundert Thaler, der Großherzog von Baden eintausend einhundert zweiundvierzig Thaler, der Großherzog von Mecklenburg eintausend sechshundert und fünfzig Thaler, und der Herzog von Aremberg (die Familie der Aremberg stammt unseres Wissens von denen von Aare ab, denen auch der Erzbischof Conrad von Hochstaden, welcher den Grundstein des Domes legte, angehörte) giebt jährlich eintausend Thaler. Eine Menge sonstiger Schenkungen, Vermächtnisse und dergleichen Gaben flossen zu; die industriellen Gesellschaften zum Beispiel, welche bei dem ungemeinen Aufschwung des rheinischen Handels und der rheinischen Industrie sich bildeten und glänzende Geschäfte machten, gaben dem Dombau von ihrem Gewinne einen Antheil; dies beläuft sich auf etwa zweimalhunderttausend Thaler.

Auch die Stadt als solche that das Ihrige und thut es noch. Mau hat in letzterer Zeit die Umgebung des Domes freigelegt, eine Menge von Häusern sind verschwunden, wozu die Stadt ein Opfer von etwa fünfmalhunderttausend Thalern gebracht hat; so hat auch die Versicherungsgesellschaft Colonia ihre Gebäude, welche einen Theil der Nordostseite des Doms verdeckten, zum Opfer gebracht und sie sind abgetragen worden.

Im Jahre 1848 am 14. August waren sechshundert Jahre verflossen, seit der Grundstein zum Baue des Domes gelegt ward. Die Zeiten waren für solches Werk schlimm, Revolution brauste durch Europa und Alles war schwankend und schwebend. Gerade wie vor sechshundert Jahren der Graf Wilhelm von Holland als Gegenkönig bei der Grundsteinlegung zugegen, war König Friedrich Wilhelm der Vierte als erwünschter, nicht gewordener Kaiser von Deutschland bei der Feier anwesend, womit die neue provisorische Eindachung des Langschiffes, die Ummauerung des Querschiffes begangen wurde. Die Stürme der Bewegung legten sich bald und das Werk ging seinen ruhigen Gang fort. Im Jahre 1855 am 3. October konnten die Dachgiebel des Querschiffes durch Aufsetzung der Kreuzblume auf dem südlichen in Gegenwart des königlichen Protectors vollendet werden. Zur Eindeckung des Ganzen, welche gemäß den Fortschritten neuerer Technik nicht mehr mit Holzgebälk, sondern mit Eisen geschaffen wurde, gab wiederum die Stadt eine bedeutende Summe, und 1860 wurde der Mittelthurm, freilich nicht nach dem ursprünglichen Plane, wohl aber nach historischen Ueberlieferungen aufgebaut und vollendet, der jetzt über der Vierung des Lang- und Querschiffes sich erhebt, ein manchmal bestrittenes Werk von höchst geistreicher Construction aus Eisen und Zink. Es war das Letzte, was der Dombaumeister Zwirner an seinem Lebenswerke fertig werden sah; am 22. September 1861 starb er.

Zwirner’s Nachfolger, der Baumeister Voigtel, war früher schon seit vielen Jahren unter Jenes Leitung am Dombaue thätig. Ihm war es beschieden, einen Theil des großen Werkes zu dem Abschluß zu bringen, welchen man schon so lange ungeduldig erwartete. Viele Jahre hatte es gedauert, ehe Reparaturen und Vorarbeiten ein wirklich sichtbares Vorschreiten des Werkes möglich gemacht hatten, und dann traten scheinbar immer wieder verhältnißmäßige Pausen und Stillstände ein, weil sich der Fortschritt im Stillen vorbereitete. Jetzt plötzlich schritt der Bau fast zusehends vor: die Strebesysteme waren vollendet, die Gratbogen der Gewölbe standen, die Kappen wurden eingewölbt, und nun konnte die Scheidemauer, womit man vor mehr als fünfhundert Jahren den Chor abgeschlossen hatte, fallen, das ganze Kirchenhaus war vollendet.

Dieser Moment ward am 15. October 1863, dem Geburtstage des Protectors dieses Baues, der ihn indeß nicht mehr sehen sollte, feierlich begangen. Nicht, wie es seiner Zeit Schinkel der ungeheuren Aufgabe gegenüber schon als ein hohes Ziel ansah, nur im Rohbau und im Nothdürftigsten, sondern in der ganzen Fülle der Formen und des Schmuckes, war das Gebäude vollendet, und was Goethe vor fünfzig Jahren „mit Staunen und stiller Betrachtung“ als ein unmögliches Unternehmen mit dem Thurmbau von Babel verglichen hatte, war nach diesen fünfzig Jahren doch gethan und im Wesentlichen vollendet.

Aber nur das Kirchenhaus; es fehlen noch zwei Thürme, jene riesenhaften Steinpyramiden, welche fünfhundert Fuß in die Luft hinaufragen sollen, geschmückt mit aller Pracht der entwickeltsten gothischen Kunst, wie sie der Meister projectirt hat, dessen Zeichnung dazu verloren und auf die wundersamste Weise wiedergefunden war. Und auch dieser Aufgabe gegenüber mochte leicht der Muth erlahmen und die Kräfte ermatten. Wenigstens zwanzig Jahre noch bedarf es, mit den bisher angewandten Mitteln diese Aufgabe zu lösen. Zwanzig Jahre! Werden diese zwanzig Jahre gleichmäßig verlaufen und ohne Störungen? Wird die Begeisterung für das Werk, welche nach Jahrhunderte langem Schlafe endlich erwachte und die großen Mittel freudig schaffte, noch fernere zwanzig Jahre lang in gleicher Wärme dauern?

Bis dahin hatte der Bau jährlich etwa einmalhunderttausend Thaler gekostet. „Gebt mir jährlich das Dreifache zu verbauen,“ sagte der Dombaumeister, „und ich stelle Euch die Thürme in acht Jahren fertig!“ Wie schaffen wir diese Summe? fragte sich der Dombauverein und kam auf den glücklichen Gedanken, die Opferwilligkeit dadurch anzufeuern, daß den Gebern auch außer der Freude am wachsenden Werke ein anderer Vortheil in Aussicht gestellt wurde. Eine Prämiencollecte ward eingerichtet, das heißt eine Lotterie zum Besten des Dombaues: wer einen Thaler beiträgt, erhält ein Loos, worauf größere oder kleinere Gewinne fallen können. Fünfmalhunderttausend

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