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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Wohnhäusern kein einziges den Flammen zum Opfer fiel, denn nur eine nahestehende Scheune brannte nieder und zwei christliche Wohnhäuser wurden in unbedeutendem Grade vom Feuer beschädigt; auch ein ganz nahestehender und angefüllter Pulverthurm, den man unbegreiflicher Weise während des Brandes nicht ausräumte oder zu schützen suchte, blieb trotz des wehenden Windes unversehrt. Wegen der Erhaltung der benachbarten christlichen Häuser gab es auch unter den Christen nicht Wenige, welche in dem großen Unglück der Juden und in der Verschonung der Christen den Beweis fanden, daß jene als Feinde Christi der Gottheit verhaßt seien.

Die obdachlos gewordenen Juden wurden zum Theil in christliche Wohnhäuser aufgenommen, in welchen manche so lange wohnen blieben, daß ihnen 1716 die Rückkehr in die Judengasse geboten werden mußte. Andere siedelten sich bis zur Wiederherstellung ihrer Häuser in benachbarten Dörfern an. Den ärmeren Theil ließ der Stadtrath einstweilen in ein christliches Spital, das sogenannte Pestilenzhaus, bringen und verpflegen.

Die Häuser der Gasse wurden bald nach dem Brande wiederaufzubauen begonnen, vor Allem die Synagoge. Jedoch waren erst 1717 sämmtliche Häuser wiederhergestellt. Dagegen stand die neue Synagoge schon im Herbst 1711 vollendet da, welche übrigens wieder abgebrochen wurde, da man an derselben Stelle eine größere und prächtigere errichtete, deren Einweihung am 23. März 1860 stattfand.

Die neue Judengasse wurde auf obrigkeitlichen Befehl um vier bis acht Fuß breiter gemacht, als die alte gewesen war, sie erhielt allenthalben eine Breite von zwanzig Fuß. Auch durften damals keine anderen als dreistöckige Häuser erbaut werden. Allein diese erhielten hohe Giebel und bei den meisten von ihnen brachte man hinten noch Nebengebäude an, welche zum Theil einen Stock höher waren. In Folge davon enthält jedes Haus nur einen sehr kleinen Hof, welcher für die Laubhütten bestimmt war. Von den beiden Grenzmauern, welche längs der Judengasse hinziehen, mußten die Hintergebäude sechs Fuß entfernt bleiben. Diese Mauern ragten hoch hervor. Bei der südlichen Mauer ist dies noch jetzt der Fall, die nördliche dagegen erhebt sich nur wenig über den Boden der Höfchen. Auf der letzteren Seite ist die Judengasse eine ziemliche Strecke von dem Viehhof begrenzt, und da dieser tief unten am Fuß der dortigen Grenzmauer liegt, so gewährte es früher, als die Gasse nur noch von Juden bewohnt war, einen eigenthümlichen Anblick, wenn man zur Zeit des Laubhüttenfestes Abends durch den Viehhof ging und zu den vielen erleuchteten Laubhütten hinaufsah.

Durch das Feuer erlitt die Judengasse nur noch zweimal (1774 und 1796) eine beträchtliche Einbuße. Im ersteren Jahre brannten einundzwanzig Häuser ab, deren Bewohner sich auf zwei Jahre in Christenhäuser einmietheten. Im Jahre 1796 wurden durch die Franzosen unter Kleber, welche vom 12.–14. Juli Frankfurt mehrmals bombardirten, einhundert und vierzig Häuser des westlichen Endes der Judengasse sammt dem Dachstuhl der Synagoge in Asche gelegt. Auch damals wurde der niedergebrannte Theil der Judengasse alsbald wieder hergestellt, er erhielt aber eine bedeutende Verbesserung. Es ward nämlich dieser von der Fahrgasse bis zur Synagoge sich erstreckende Theil, dessen nordwestliches Eckgebäude jetzt das Geschäftslocal des Hauses Rothschild ist, nicht nur in eine sehr breite Straße umgewandelt, sondern er erhielt auch lauter stattliche Gebäude. Er wird übrigens jetzt nicht mehr unter dem Namen Judengasse mit inbegriffen, sondern die Bornheimer Straße genannt.

(Schluß folgt.)




Bilderschau in meinem Zimmer.
Erinnerungsblätter von Franz Wallner.

Ich pflege in meinem Arbeitszimmer mich gern mit Portraits von Personen zu umgeben, mit denen ich während meiner Laufbahn in freundschaftliche oder geschäftliche Berührung gekommen bin. Zu Zeiten, namentlich wenn es anfängt „schummrig“ (dämmerig) zu werden, treten die Originale näher an mich heran und es tauchen hundert und hunderte von Scenen, heiterer und ernster Natur, vor meines „Geistes Auge“, die ich in frohen und trüben Tagen mit jenen erlebt habe. Viele, ach, wie viele! ruhen bereits lange unter dem kühlen Rasen, andere sind verschollen und verkommen, wenige stehen noch auf dem Zenith ihres Ruhmes und sehen heiteren Muthes in’s frische Leben. Während ich dies schreibe, fällt mein Auge auf ein halbverblichenes, kleines Bildchen; die mit Bleistift geschriebene Widmung meines Kollegen Carl Krasnek ist halb verwischt, er selbst ist lange schon ein stiller Mann geworden, obwohl er seiner Zeit ein williger, toller und lustiger Bursche war. Für kleine komische Rollen unter Director Carl in Wien engagirt, wußte er jeder seiner Leistungen einen so originellen Anstrich zu geben, daß bald die Leiter der anderen Wiener Bühnen auf ihn aufmerksam wurden und ihn mit Engagementsanträgen überhäuften. Vergebens aber war alles Bitten um Entlassung aus seinen contractlichen Verpflichtungen oder um Verbesserung seiner Gage. Director Carl „bestand auf seinem Schein“ mit eiserner Consequenz. Nun begann zwischen dem kleinen Krasnek und dem gewaltigen Carl ein fortwährendes Plänklergefecht der ergötzlichsten Art. Ersterer wollte seinen Chef durch kleine Pflichtverletzungen, Zuspätkommen zur Probe und dergleichen mürbe zu machen suchen. Da kannte er aber seinen Mann schlecht; Strafe bezahlen, verhältnißmäßig schwere Strafe entrichten mußte er für jede Vernachlässigung, ohne daß sich das kleinste Glied der papiernen Kette löste, die ihn eisenfest an’s Theater an der Wien band.

Nun griff er zur Ironie, wozu ihm seine gedrückte Lage reichlichen Stoff bot, so z. B. brachte er, als die Lampe in der Garderobe, in welcher er sich anzukleiden hatte, tropfte und der fette Ueberfluß den Boden verunreinigte, eines Tages eine kleine Salatschüssel mit in die Probe und bat Carl vor allen Mitgliedern demüthig um die Erlaubniß, Abends die Schüssel unter die Lampe stellen zu dürfen, da seine kleine Gage ihm nicht gestatte, sich Oel zu seinem Salat zu kaufen. Eines Tages, als er wieder zu spät zur Probe kam, wurde der Tyrann wüthend, herrschte ihn mit derben Worten an und gab ihm die Versicherung, daß er durch derlei Manöver den Zweck der Entlassung nie erreichen werde.

„Verzeihen Sie, Herr Director,“ sprach mit seiner hohen Discantstimme in scheinbarer Unterwürfigkeit und wie in höchstem Schrecken der Komiker, „verzeihen Sie mir, Herr Director, ich mußte heute länger im Bette liegen bleiben; ich hatte die vergangene Nacht einen furchtbaren Schreck, der mir noch in allen Gliedern steckt.“

„Worüber sind Sie denn erschrocken?“

„Ach, als ich gestern um Mitternacht nach Hause ging, wurde ich am Glacis von zwei Räubern angepackt. Der eine hatte mir schon meinen einzigen Rock ausgezogen, als er mich frug, wer ich wäre. Schauspieler bin ich, bei Herrn Director Carl, antwortete ich. Da ergriff die beiden Spitzbuben tiefes Mitleid, sie gaben mir meinen Rock zurück, und der eine von ihnen schenkte mir noch einen Gulden.“

Selbst der Respect, in welchem Carl bei den Mitgliedern seiner Bühne stand, konnte den Ausbruch eines dröhnenden Gelächters nicht verhindern. Später ergab sich Krasnek, wie ich hörte, dem Trunk, ist irgendwo „gestorben und verdorben“, und die Theaterwelt hatte ein Original weniger aufzuweisen. –

Hier blickt mich Herloßsohn mit seinen treuherzigen Augen an. Diese gutmüthigen blauen Augen, die eine ganze Welt von Wohlwollen auszuströmen schienen, bargen doch in einem kleinen Winkel ein hübsches Stückchen Schelm. Einen prächtigeren Cumpan in Ernst und Scherz, als Herloßsohn, gab es nie, selbst damals nicht in Leipzig, wo an frischen und fröhlichen Gesellen gewiß kein Mangel war. Ich brauche nur Robert Heller und Heinrich Laube zu nennen. Beide jung, voll sprühender Lebenslust, im Besitz eines gar gastfreien Hausstandes, in dem sich nach und nach Alles einfand, was in Leipzig und den angrenzenden Staaten berühmt war oder – werden wollte. Herloßsohn, der Clown dieses prächtigen Cirkels, war überall zu finden, wo es ein heiteres Gespräch und ein gut Glas Rebensaft gab, und überall wohl gelitten. Ab und zu verkehrten auch Adolph Glaßbrenner, der Stammvater des Berliner Witzes, und M. G. Saphir, der Erfinder des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_568.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)