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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

deutschen Wortspiels, und viele lustige Leute in jenem Kreise, die meisten von ihnen sind auch schon längst „stille Menschen“ geworden. In jenen Tagen aber waren wir Alle jung, gesund, mit Glücksgütern nicht überschwenglich gesegnet, desto mehr aber voll froher Hoffnungen und frischen Muthes. Von jener schönen Leipziger Zeit und dem „guten Herloßsohn“ will ich ein Stücklein erzählen, das letzterer mit seinem alter ego, Robert Heller, gar frisch in Scene gesetzt hatte.

Der Heldenspieler R., damals Mitglied einer großen Hofbühne, hatte ein sehr erfolgreiches Gastspiel an der leipziger Bühne beendet. Naturalist, mit glänzenden Mitteln, mit vieler Gutmüthigkeit, doch ohne zu großen Verstandesüberfluß, imponirte er durch die ersteren und riß sein Publicum überall hin. Zwei seiner hervorragendsten Eigenschaften waren eine fast maßlose Eitelkeit und eine bei Künstlern seltene Oekonomie. Im Hinblick auf letztere hatten daher die hervorragenden Mitglieder der Presse Grund genug, zu erstaunen, als sie von Freund R. ganz unerwartet mit einer Einladung zu „Thee und Abendbrod“ im Hôtel de Pologne, dem Stammquartier des Mimen, überrascht wurden. Die Sache hing indeß so zusammen:

Der „gute Herloßsohn“ und Robertus Heller hatten ein kleines Complötchen geschmiedet, in Folge dessen der „große Künstler“ von einem bescheidenen Verehrer seiner genialen Leistungen ein Gedicht mit der Bitte zugeschickt erhielt, dem Verfasser im Falle huldvoller Annahme ein freundliches Zeichen der Billigung im Leipziger Tageblatt zukommen zu lassen. Diese „Billigung“ ließ auch nicht lange auf sich warten und dem „jungen, talentbegabten Autor“ – einem Candidaten der Theologie, wie er sich nannte – wurde ein öffentlicher, warmer Dank gespendet von dem „Künstlerheros“ für „wohlwollende Anerkennung“ ehrlichen Strebens.

Das Gedicht lautete:

„Du Künstlerheros, dessen Stärke
Sich zeiget im dramat’schen Werke
Fern von der Nachahmungen Spur!
In Selbsterkennung schweift ein Jeder,
Die Zeitenuhr treibt Weltenräder,
Das Schicksal jede Creatur.

In wessen Busen so die Hoheit
Erblüht, den flieht Gemeinsinns Rohheit,
Weil Phantasie stets in ihm wohnt,
Gestürzte Größe, Ideale,
Der Pyramiden todte Male,
Und drei Mal der Hervorruf lohnt.

Drum winde Kranz und winde Kränze,
Die Lerche brütet nur im Lenze,
Und in der Dichtung haust der Schein,
Weil Alles in dem alten Gleise,
Die ernste und die heit’re Weise
In’s weite Dasein muß hinein!

Auch Geniusse sind verächtlich,
Der Vollgenuß nur ist beträchtlich,
Gefühl und Saite sind Metall;
Praxiteles war öfters Maler,
Aus Formen werden Idealer,
Und in dem Lichte wohnt der Schall.

Laß walten nur die Eumeniden
Dem Tadler ist kein Kranz beschieden,
Petrarca trank die Lethe nicht;
Im Soccus und Cothurn behende
Fügst stets den Anfang Du an’s Ende
Und flochtest Licht, wo Schatten blüht.

So strebe fort, Du kühner Adler!
Geadelt wird erst dann der Tadler,
Wenn der Begriff sein Unstern ist.
Der Pegasus wird auch geritten,
Die Wahrheit aber liegt inmitten,
Wo Beispiel sich und Abendröthe küßt!“

Da lag das schöne Gedicht, dem es, wie der Leser sofort herausfühlt, weder an Schwung noch Empfindung fehlte, da lag es auf dem Schreibtisch des großen Künstlers, zierlich mit einem rosa Seidenband umwunden, in eleganten runden Schriftzügen, die nur durch einen sonderbaren Zufall viel Aehnlichkeit mit der Handschrift des „guten Herloßsohn“ gezeigt haben sollen. Was nützt aber das schönste Gedicht, die wärmste Anerkennung dem strebenden Künstler auf einsamer Stube? Hinausgetragen auf den Flügeln der Presse muß der Ruhm des Mannes werden, dessen Leistungen anerkannt wurden, so weit die deutsche Zunge reicht. Darum die Einladung „zu Thee und Abendbrod“.

Wir finden die fröhliche Gesellschaft in den Räumen des Hôtel de Pologne beisammen. In der Mitte des Saales liegt auf einem halbbeleuchteten, runden Tische, geheimnißvoll umwunden, eine Rolle Papier, dem ein Lorbeerkranz „von unbekannter Hand“ beigefügt war. Der Festgeber, schwarz befrackt und weißbecravattet, empfängt seine Gäste mit ernster, feierlicher Miene. Man sieht, es drückt ihn Etwas; er ringt nach einer passenden Einleitung.

Endlich löst sich seine Befangenheit: „Meine Herren, meine lieben Freunde,“ beginnt er mit bescheidenem Tone, „ich benütze die Gelegenheit, um Sie auf ein namhaftes, in Ihrer Mitte aufblühendes Talent aufmerksam zu machen.“

Die Gesichter der Anwesenden wenden sich in gespannter Erwartung dem Redner zu, nur in den Mienen des guten Herloßsohn und Robert Heller’s spiegelt sich mühsam unterdrückte Heiterkeit ab.

Der Sprecher fährt fort: „Das Talent, von dem ich Ihnen soeben eine Probe vorzutragen im Begriff bin, ist zwar noch etwas wild und regellos – ungefähr wie das Schiller’s, als er seine Räuber schrieb – auch ist der Stoff, den er zum Gegenstand seiner Phantasie gewählt, kein würdiger, allein der Dichter selbst sagt ja: ,die Wahrheit liegt inmitten’, und so nehme ich Ihre freundliche Aufmerksamkeit in Anspruch für das Opus eines jungen Schriftstellers, welches mir vor kurzem in bescheidener Anspruchslosigkeit zugesandt worden ist.“

Nun begann der Künstler das Opus mit einem Schwung zu recitiren, der eines besseren Zieles würdig gewesen wäre. Schon bei der „Zeitenuhr, die Weltenräder treibt“ wurden die Physiognomien der Zuhörer immer länger, aber auch immer fröhlicher, „der Pyramiden todte Male“ und die „nur im Lenze brütende Lerche“ brachten beinahe einen Ausbruch der überhandnehmenden Lustigkeit zu Wege. Die Stelle: „Auch Geniusse sind verächtlich“ mußte der Vortragende unrecht verstanden haben, denn er las mit großem Ernst:

„Auch Genüsse sind verächtlich,
Der Vollgenuß nur ist beträchtlich“,

als er von Herloßsohn unterbrochen wurde: „Halt, mein Junge, Genüsse kann es nicht heißen, es muß stehen: ‚Auch Geniusse sind verächtlich.‘“

Befremdet sieht der Recitirende auf und fragt betroffen: „Woher weißt Du denn das?“

Keine Feder vermag den nicht mehr zu bannenden Ausbruch des tollsten und einstimmigsten Gelächters zu schildern, welcher dieser burlesken Scene folgte. Ein vollständig ansteckendes Gebrüll erschütterte die Wände. Betroffen sah der arme Schauspieler diesen unbezähmten Ausbruch toller Heiterkeit mit an, der sich noch steigerte, wenn überhaupt Steigerung möglich war, als er ganz naiv die Frage aufwarf: „Ihr habt Euch wohl einen Spaß mit mir gemacht?“

Er war jedoch klug genug, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, den „theuren Abend“ nicht zu verderben und unter den lustigen Gesellen selbst einer der lustigsten zu sein.

Guter R. mögest Du noch lange ausruhen auf Deinen verdienten Lorbeeren und Deine reiche Pension in Frieden genießen! Der schmale und schaale Nachwuchs der Theaterwelt hat Deine kräftigen Leistungen noch nicht vergessen lassen, und Dein Name wird bei aller Bizarrerie, die Deinen Schöpfungen manchmal anklebte, doch ein geachteter in der Welt bleiben, welche durch die Breter repräsentirt wird. –

An einer Fensterecke hängen zwei kleine Bilder, in einem Rahmen, so wie ich dieselben einst auf dem Trödelmarkt in St. Petersburg gekauft. Ein Mann und eine Dame. Der Männerkopf trägt die weltbekannte Unterschrift: „Etatsrath von Kotzebue“; unter dem Portrait der Dame, einem kleinen aber sauber und elegant gearbeiteten Kupferstich, steht: „Madame Chevalier“. Wer war jene Madame Chevalier? Es hat mich nicht wenig Mühe gekostet, dies zu erfahren; eine Menge, zum Theil jetzt sehr selten gewordener Broschüren und Streitschriften aus jener Zeit habe ich durchflogen, um Näheres über diese Person kennen zu lernen, welche eine Zeitlang das Schicksal zahlloser Menschen in ihren feilen Händen hatte.

Madame Chevalier war die bildschöne Tochter eines Tanzmeisters in Lyon und kam als Figurantin mit ihrem Mann, einem eben so schlechten Tänzer, von Hamburg nach Rußland. Aus den vielen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_569.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)