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zauberisch beleuchteten Parke zurückzieht. Wie aber Park, Terrasse und die pomphaften Concert-, Lese- und Billardsäle zu gewissen Stunden ihre Besucher haben, so sind die Spielsalons zu allen Stunden frequentirt. Die edle Goldgier läßt hier ein fortwährendes Zuströmen und Abfließen von Besuchern bemerken, bis sich nach und nach der Kreis der Pointeurs um die langen Tafeln mehr und mehr verdichtet und in den Abendstunden in „drangvoll fürchterliche Enge“ geräth.

Auch solch ein grüner Tisch mit dem Aas, dem Gold und Silber darauf, den bissigen Croupierwölfen, welche die Beute zähnefletschend hüten, und dem verehrungswürdigen Publicum als lüsternen Aasgeiern herum hat seine komische Seite, von der ich diese Gaunergeschichte stellenweise aufzufassen mir gestattete. Beim ersten Anblick eines wohlbesetzten und wohlumstandenen Roulettetisches sammt seiner Croupierbedienung, dem Obergauner auf erhöhtem Sitze und der traurig-ernsten Spielgelellschaft rings herum, habe ich in der Stille herzlich lachen müssen und meine Heiterkeit war um so anhaltender, als sie bei einem Theile der respectablen Gesellschaft das Befremden zu erregen schien, wie man bei einer so traurigen Geschichte so frivol lachen könne. Aber das wechselvolle Bild, das sich an einem solchen Tische kaleidoskopisch neu und immer wieder neu entrollt, packt und fesselt endlich das Interesse des „Studirens halber“ sich hier aufhaltenden Besuchers, und sein bewaffnetes Recensentenauge nimmt ein photographisch treues Bild von diesem bunten Treiben in sich auf. Wie die Croupiers oder der erhöhte Herr Controleur, der immer die „Rouleaux“, d. i. Goldrollen, im Auge behalten muß, oder das bleiche Gaunergesicht von einem der Herren Chefs des Geschäfts den Lakaien winken, wenn eine Spielernotabilität dem Tische naht, daß sie Platz machen und der Notabilität Karte mit Nadel vorlegen, und wie der nur einen Gulden wagende Plebs dann achtungsvoll vor dem General Klapka und vor der auf ihren Krücken hereinwankenden Fürstin Kisseleff, einer immer brav verlierenden leidenschaftlichen Spielerin, zurückweicht, damit Jene ihr Spielchen bequemer haben!

Nur zu häufig kommen Differenzen vor zwischen Pointeurs und Croupiers, und bei derlei Meinungsverschiedenheiten betrugen sich die Homburger Croupiers, wenn nicht einer der Herrn Obergauner vermittelnd einschritt, im höchsten Maße pöbelhaft, selbst auch gegen das schwache, im Spiel besonders sehr schwache Geschlecht, das in leibhaftiger Fieberhitze sich dem Spiele zu widmen pflegte und vielleicht oft – sonst wäre es ja nicht das schwache Geschlecht – irren mochte. Ein Croupier ist aber eben nur ein Dienstknecht dieser privilegirten Gaunerbande, ein raddrehendes und geldauszahlendes oder einziehendes Individuum, das, als Kauwerkzeug in dem Schlunde der Spielbank thätig, nur sein Rad zu drehen und seine Harke hin und herzubewegen hat, als solcher Dienstknecht aber dem Publicum gegenüber stumm oder doch bescheiden sein muß. Dem aufmerksamen Beobachter wird es schon in den ersten Minuten seines Besuchs der Homburger Spielbank augenfällig, welch saubere „Direction“ hier waltet, die solche Croupiers in Dienst genommen, leitet und überwacht, und daß der Herr wie der Knecht ist. In den wenigen Stunden meines Besuches dieser Spielsäle bin ich von mindestens zehn geradezu empörenden Fällen von Maltraitirung des Publicums Seiten der Croupiers Zeuge gewesen, mein Erstaunen war aber größer als meine Entrüstung, als ich wahrnehmen mußte, welch’ dickes Fell so ein Pointeurrücken in der edlen Hitze des Spiels sich angerbt, so daß er im Gewinn einen wirklich respectablen Puff vertragen konnte, und wie seelensruhig und ergeben in ihr Schicksal eine erhitzte „Pointrice“, die ihrem Verlust gar so gern wieder beikommen wollte, die unverschämtesten Grobheiten eines Croupiers hinnahm. Es mag das auch von den Maltraitirten als das einzig Richtige angenommen werden, da Lakaien und Gensd’armen immer bereit gehalten werden, störende Elemente aus dem Wege zu räumen, sind diese Elemente auch Personen, die betrogen worden sind und ihr Recht fordern. Gewinnende Pointeurs scheinen den Croupiers Dornen im Auge zu sein – sie finden jedenfalls einen point d’honneur im Geldeinharken denn als einer derselben, überhaupt ein unsauberer, siecher Strolch, einem verzweifelten Spieler dreimal hintereinander zwei- und fünfzig Friedrichsd’or auszahlen mußte und dieser den Gewinn nur oberflächlich nachzählte, äußerte er, Gold und Gewinner bei Seite schiebend, grob, „daß es nach Adam Riesen zweiundfünfzig seien,“ während ein anderer Croupier, der eine an der Seite ihres Flitterwochen-Gatten Satz auf Satz gewinnende junge Frau mit der Auszahlung pflichtschuldigst zu bedienen hatte, bei dem letzten großen Treffer, welcher die beiden Neuvermählten in noch größere Flitterwochen-Heiterkeit versetzte, in allgemein vernehmlichem Tone zu seinem Spießgesellen sagte: „Nu haben se den Hals voll und gehn!“ Das ist der Ton, der in diesen prunkvollen Sälen herrscht, wo der Fuß nur über Marmor und Parquet gleitet, wo, da nun einmal Gold und Schlamm unzertrennlich sind, neben der Hefe auch die Crème der Gesellschaft stündlich zu finden, wo die raffinirteste Eleganz zu einem Ensemble ausgesucht ist, um auf den Besucher, wenn auch als Blendwerk der Hölle, den angenehmsten Eindruck zu machen – hier herrschen Sitte und Manieren der Frankfurter Gassenjungen, und zwar unter den Augen der Directoren der sauberen Bande!

Als eine der heitersten Erinnerungen an Homburg bewahre ich die an einen jungen Mann, der, den Spielsaal verlassend, an der Thür mit voller Lunge das vielsagende Wort „Gauner!“ ausrief und ruhig weiter schritt: ferner die an eine den besseren Ständen angehörende Dame, die mit ihrem etwa zwanzigjährigen Sprößling um die Wette rasend spielte und des Abends spät im Park ihrem Stifte unter mütterlichen Thränenfluthen die heftigsten Vorwürfe machte, daß er nicht aufgehört zu spielen und daß er sie nicht abgehalten habe zu spielen, wäbrend ich Beide noch desselbigen Abends am Trente et Quarante ihr Spielchen wieder fortsetzen sah, Beide mit hocherrötheten Wangen und höchst sorgenvoller Stirn; ferner die an eine junge, hübsche Frau, die ihren Mann zum Spiel verführte und, als der brave Gatte und Vater stark blieb und ruhig mehr und mehr zurückwich, lustig einen Gulden setzte, verlor und zum unaussprechlichen Entsetzen der Croupiers und der ganzen Gaunerdirection mit schallender Stimme ihrem äußerst gespannten Männchen die Worte zurief: „Weg is er!“ –

„Wer Pech angreift, besudelt sich,“ ist zwar ein sehr wahres Wort, aber wir sind ja hier in Hombourg-ès-monts in der besten Gesellschaft, greifen wir zur Abwechselung dieses Pech an – wir reinigen uns, ehe wir Frankfurt, ehe wir deutsche Erde wieder betreten, von dem Homburger Pech.“

So denkend, tritt die Legion der deutschen Jünglinge, abgerechnet andere deutsche Mitbürger und Mütter, an den grünen Tisch und erlegt ihren Tribut an den alten Herrn Landesherrn, der Jahr aus Jahr ein wie ein ergrauter Chaussee-Einnehmer an seinem Schlagbaum sitzt und den Chausseezettel gegen sofortige baare Bezahlung vermittels eines Beutelstocks oder Stockbeutels durch sein Fenster reicht. Es giebt zwar noch zwei oder drei solche Chaussee-Einnehmer, ihre Straße ist aber bei Weitem nicht so stark befahren und ihr Einkommen steht deshalb dem ihres Herrn Collegen, des Homburger Obereinnehmers, bedeutend nach. Was soll nun aber aus dieser ganzen Spielbankgesellschaft, dem Herrn Obereinnehmer, den Herren Directoren, Cassirern und Controleuren und dem übrigen Gaunergeschmeiß werden, wenn einst die Zipfelmütze unseres Michel am Schalter des Herrn Obereinnehmer sichtbar wird und das Donnerwort erklingt: „Rien ne vas plus!“ gerade das Wort, das ihm jetzt noch das tägliche Brod bringt?

Aber wir wollen uns um Gotteswillen nicht um den alten Herrn Chaussee-Einnehmer ängstigen, ängstigen wir uns um uns, daß wir nicht auf das hier mit weiser Berechnung ausgestellte Fliegenpapier gerathen und unseren Leichtsinn mit unserer Reisecasse bezahlen.

Wenn in andern Dingen aller Anfang schwer ist, so ist er auf diesem glatten Boden recht leicht, aber das Aufhören und gar das Ende ist um so schwerer. Wahrlich, lachte ich im Selbstgespräch, dort der kleine, blonde, junge Mann an der Seite des unteren Croupiers repräsentirt vom Kopf bis zur Zehe das vom Laster des Spiels abschreckende Beispiel, wie man es so oft gelesen hat, – „wie es im Buche steht“, nämlich sehr bleiche Gesichtsfarbe, zu Berge stehende Haare, die endlich diese Richtung annehmen müssen, da bei jedem verlorenen Satze fünf Finger durch sie bergwärts fahren; sehr fest zusammengepreßte Lippen, welche „trotz alledem“ noch ein schmerzliches Lächeln bilden; unheimlich bald stier, bald stechend, bald stumpf blickendes Augenpaar, das sich bei einem verzweifelten Satze kurz vor dem entscheidenden Augenblicke circa zehn Secunden lang schießt; einfache, aber etwas derangirte Kleidung, u. A. umgefallener Hemdkragen, stark nach links strebende Cravatte, verdächtigste Manchetten etc.; besondere Kennzeichen: hört und sieht nicht, als nur auf Rouge und Noir, hält in der Linken fünfzig bis hundert Goldstücke, verschränkt, wenn er sie nicht mehr in der Linken, das heißt, auch nicht in der Rechten hält, die Arme und lächelt, wie oben, schmerzlich krampfhaft, spielt seit Vormittag elf Uhr bis sechs Uhr Abends auf derselben Stelle ohne Nahrung und Getränke, nur auf Loßbeck’s Pariser Nummer 2 angewiesen, verschwindet nach sechs Uhr auf eine Stunde in den Speisesaal, dejeunirt, dinirt und soupirt hier auf einem Sitze „etwas schnell“, wie er zum Garçon sagt, und steht über ein Kleines wieder so ziemlich auf der alten Stelle am grünen Tische, wo er leiblich gestärkt mit frischen Kräften und mit einem kolossalen Vertrauen den Kampf mit den Goldrollen der Bank wieder aufnimmt. Das ist das ungefähre Signalement des unerfahrenen Spielers, „wie er im Buche steht“, des blonden jungen Mannes, der schwermüthig seinem Nachbar klagte, daß er sein Geld „von diesem Nachmittag immer noch nicht wieder habe“, während er fünf hundert gewonnene Friedrichsd’or auf der rothen Sammtbank im Hintergrunde wieder und wieder zählte. Diese drollige Erscheinung ist aber eben nur ein Spieler, wie sie nach Hunderttausenden zählen, kein Spieler „von Fach“, kein Habitué der Spielbank.

Die sogenannte feine Welt und der Spieler von Fach spielen ruhigen Blutes, ohne Uebereilung, con amore, mit Pausen von einer Stunde nach Befinden, aber immer dabei mit der Nadel auf der Karte über Rouge und Noir Buch führend, sie spielen ihr Spiel leidenschaftlich gern, allein ohne Leidenschaft. Wie sie da bedächtig den Fall der Karten oder der Kugel verzeichnend dasitzen, die alten, würdigen Herren, die alten Damen der feinen und die jungen der halben Welt; dann die im bedächtigen Spiel ergrauten Habitués; ferner diese Backfische der russischen und polnischen Aristokratie, die noch im Flügelkleide schon recht emsig die Nadel führen, wenn diese Nadel auch nicht die richtige ist; ferner jene maskenartig herausgeputzten Femmes entretenues mit goldgefüllten Börsen und diese Courtisanen ohne Börse! Das sind die Gold- und Silberfische und Gründlinge, die den Haifisch umschwärmen.

Dort das blasse Kind von vierzehn Jahren führt die vom Croupier geliehene Krücke ganz erstaunlich gewandt, und wie graziös verliert das Kind, wie sanft lächelt das feine Antlitz, wenn das mit zehn Friedrichsd’or besetzte Quarré nicht gewann, und wie zierlich dirigirt sie den neuen Satz mit der Krücke auf Zéro! Neben ihr berechnet eine Dame mit weißen Locken wieder und wieder, wie oft Rouge in der letzten Stunde gewonnen, und ist ganz in ihr Kärtchen versunken; dann setzt sie plötzlich auf Noir ein Zweiguldenstück, gewinnt, macht einen Stich und darauf rechnet sie wieder ganz tiefsinnig.

Ihr Nachbar, eine dürftige Erscheinung in hier auffälliger sehr ärmlicher Toilette, aber vor sich respectable Haufen Gold und Silberstücke, rechnet ebenfalls krampfhaft und zwar im Schweiße seines Angesichts. Das ist jedenfalls eine bemerkenswerthe Erscheinung. Ein abgehärmtes Gesicht mit Struwwelpeterfrisur, ein elend abgemagerter Körper in abgetragener Kleidung, sitzt der Mann in tief gebückter Haltung und durchbohrt seine Karte mit Nadel und Auge; er macht viertelstündige und längere Pausen, sieht nichts als seine Karte, achtet nur auf den Fall der Kugel, setzt selten, aber dann nur entweder zwei Friedrichsd’or oder zwei Gulden, gewinnt fast immer und schüttelt dabei wie verwundert oder unzufrieden sein alterndes Haupt, indem er die betreffenden Stiche in die Karte macht; er spricht halblaut vor sich hin und gesticulirt dabei, als wollte er sagen: „Wer hätte das gedacht! Noir konnte fast nicht kommen! Zwei Gulden gewonnen! Ich hätte zwei Friedrichsd’or setzen sollen!“ So monologt er in der Pause, rechnend und unter dem Tische die Hände reibend; der Mann ist ein Spieler von Fach, aber der unschuldigsten Art, der sich langsam zu Tode rechnet,

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