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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

bezwingender Gewalt, daß Heimath und Vaterhaus in weite Ferne zurückfliehen, das sagen die träumerischen, schwarzen Augen drunten im ärmlichen Stübchen.

Einzelne Passagen auf dem Clavier drangen jetzt von drüben herüber und in eines der Fenster trat eine Gestalt, es war die blonde Antonie, die Enkelin der alten Räthin. Sie war ganz in Weiß gekleidet. Ihre entblößten, blendend weißen und sehr schön geformten Schultern umschloß ein wahrer Duft von Tüll und Spitzen, und auf dem weißblonden Scheitel lag ein Kranz von zarten Rosen. Sie sah sehr hübsch und elegant aus.

Kaum hatte sie sich in die Fensternische zurückgezogen, als Werner zu ihr trat. Das Licht des Kronleuchters fiel auch blendend auf seine Züge, wie auf das Bild des Knaben; die Aehnlichkeit zwischen Beiden war wunderbar, allein aus dem schmächtigen Kinde war ein hoher Mann mit fast königlicher Haltung geworden … Er faßte die Hand des jungen Mädchens zwischen seine Hände, als ob er sie beschwöre. Sie schien seinen Bitten widerstehen zu wollen, aber zuletzt, als er ihren Arm in den seinen legte, ging sie mit ihm und lachte hinter dem vorgehaltenen Fächer, als er seinen Kopf vertraulich herabbog und ihr Etwas zuflüsterte.

Magdalene hatte diese kleine Scene mit angesehen, ohne sich zu regen, aber sie biß die Zähne zusammen, wie im heftigen Schmerz, und mit sprühenden Augen verfolgte sie die junge Dame, die, jetzt ein Notenblatt in den Händen, zum Clavier trat. Gleich darauf erscholl eine ziemlich harte, spitze Stimme, die ein schönes, inniges Lied ohne alles Verständniß vortrug.

„Sie singt schlecht,“ murmelte Magdalene. „Ihre Stimme ist dünn und farblos wie ihr Haar.“

Als der Gesang schwieg, rauschte ein wahrer Beifallssturm durch den stillen Hof. Jacob aber bog sich zu Magdalene hinüber und legte seine Hand liebkosend auf ihren glänzenden Scheitel.

„Gelt, Lenchen,“ sagte er, „da machen’s unsere Glocken doch ganz anders. Wenn die anfangen, da weiß man gleich, weshalb sie den Mund aufthun, aus dem Gepimpel da droben aber kann kein Mensch klug werden … Weiß nicht, was die Leute davon haben, wenn ihnen so ein Messer durch die Ohren fährt.“

Da kam er jedoch schlecht an bei seiner Frau und der Seejungfer. Sie hatten den Gesang sehr schön gefunden und konnten sich nicht satt sehen an der jungen Dame droben, wie sie beim Singen das bekränzte Haupt hin und her bog und die Augen zum Himmel aufschlug; ja, sie behaupteten sogar, sie sähe aus, wie ein leibhaftiger Engel, als sie gleich darauf in die Fensternische trat, wo die hohe Gestalt Werners während des Gesanges regungslos gelehnt hatte. Und als sie nun vertraulich ihre Hand auf seinen Arm legte und ihm mit einer graziösen, schelmischen Bewegung ein riesiges Bouquet an das Gesicht hielt, damit er den Blumenduft einathme, da meinten die zwei Alten, der müsse doch kein Herz im Leibe haben, der sich nicht auf der Stelle in sie verliebe.

„Ach, laßt mich in Ruhe,“ sagte Jacob und das ironische Lächeln erschien in seinem Gesicht. „Ihr seid auch gerührt, wenn die Spittelweiber in der Kirche neben Euch zetern, daß einem Hören und Sehen vergeht … Und wenn so ein junges Ding, wie die da, in einer weißen Fahne steckt, da sind alle himmlischen Heerschaaren Bettelvolk dagegen! … Das Mädel da droben ist nicht um ein Haar besser, als die Alte auch, sage ich Euch. Keine weiß sich zu lassen vor Hochmuth … und wenn die Kleine jetzt so schön thut und heuchelt und schmeichelt, so weiß sie auch, warum. Sie ist arm, wie eine Kirchenmaus, und es wäre gar nicht bitter, sich hier in die Wolle zu setzen und eine reiche Frau zu werden … Aber Herr Werner ist nicht auf den Kopf gefallen, der sieht durch zehn Wände, wo die Leutchen hinauswollen.“

Er nahm bedächtig eine Prise Schnupftabak, die er während der ganzen Demonstration zwischen den Fingern gehalten hatte, dann fuhr er fort:

„Ihr braucht Euch überhaupt nicht einzubilden, daß mein junger Herr Eine aus hiesiger Stadt freit, das weiß ich besser …

Da hab’ ich heute gegen Abend noch ein wenig gefegt in seiner Stube, wo er malt – nun, wie nennt er’s doch gleich?“

„Atelier,“ sagte Magdalene, ohne den Kopf nach ihm umzuwenden.

„Ja, richtig … und da lag auf dem Tisch ein großes Bild, es war mir gezeichnet, wie Du’s nennst, Lenchen, nicht bunt gemalt. Ich konnte das Gesicht nicht erkennen, weil ich nicht so nahe hingehen mochte; aber so viel hab’ ich doch gesehen, daß es eine Frauensperson war, die ein weißes Tüchelchen auf dem Kopfe hatte, wie Deine sel’ge Mutter in Welschland eines getragen hat, Lenchen. Da kam gerade Herr Werner herein … er lachte, wie er meinen langen Hals sah. Nachher deckte er aber geschwind ein Tuch auf das Bild und sagte zu mir: ‚Höre, Jacob, das brauchst Du gerade noch nicht anzusehen; aber ich will Dir Etwas verrathen, die da auf dem Papier wird einmal meine Frau.’ … Er ist ja sechs Jahre in Welschland gewesen und dort soll’s gar erstaunlich schöne Weibsbilder geben.“

Mit höchster Aufmerksamkeit, aber regungslos hatte Magdalene dem Alten zugehört. Sie legte den Kopf an die Wand, die Hände ruhten zusammengefaltet auf den Knieen und die langen Wimpern lagen tief gesenkt auf den bleichen Wangen, als ob sie schliefe.

Unterdeß wurde droben tapfer weiter musicirt. Antonie ließ sich noch einige Male erbitten, sie sang sogar eine colorirte italienische Arie, deren Ausführung den alten Jacob zu dem Vergleich veranlaßte, es sei gerade, als ob Jemand die Treppe herabfiele und Hals und Beine bräche… Der junge Werner war schon längst vom Fenster zurückgetreten und schien auch das Zimmer verlassen zu haben, denn man sah ihn nicht mehr.

Eben, als vier Hände in einem Concert das Clavier nicht gerade meisterhaft bearbeiteten, wurde an Jacob’s Fenster geklopft, und als der Alte es öffnete, reichte Werner’s Bedienter ein Körbchen voll prächtiger Orangen nebst einem Gruß seines Herrn herein. Der Bursch fügte ausdrücklich hinzu, er habe schon früher herüber gesollt, allein erst sei er beim Präsentiren des Thees beschäftigt gewesen und eben noch habe er Wein herumreichen müssen.

Jacob hielt mit einem strahlenden Gesicht Magdalenen das Körbchen hin.

„Siehst Du, Lenchen,“ sagte er, „das macht mir große Freude Deinetwegen … Weißt Du noch, daß Du Dich einmal beinahe krank nach einem solchen gelben Ding gesehnt hast?“

„Ja,“ sagte das Mädchen und hob die Augen zu ihm empor; sie schwammen in Thränen. „Ich weiß es noch, guter Jacob. Du machtest mich wieder gesund, indem Du für theures Geld eine Orange kauftest und mir auf den Thurm brachtest. Damals war es mir, als hätte ich einen Blick in meine Heimath gethan, ich war glückselig … Jetzt aber könntest Du mir Schätze hinlegen, ich möchte um Alles in der Welt keine dieser Früchte berühren.“

Jacob sah sie erstaunt an, aber die Seejungfer, die bei all ihrer harmlosen Anschauung die Weigerung des Mädchens nach der stattgehabten heutigen Scene doch erklärlich fand, zupfte ihn bedeutungsvoll an der Jacke, wobei sie ihm zublinzelte. Er schwieg denn auch, holte sein Taschenmesser hervor und zerlegte eine Orange für die beiden alten Frauen.

Drüben im Hause war es stiller geworden. Die Musik war verstummt; auch das Stimmengesurr hatte nachgelassen. Statt dessen grollte ganz fern der Donner, der Nachtwind blies heftiger durch die offenen Fenster, jagte die Vorhänge wie weiße Schwäne hinaus in die pechdunkle Nacht und warf einige Thüren ins Schloß.

Der Seejungfer wurde bange. Sie trieb zum Aufbruch, und bald eilten die zwei Frauen, die Köpfe in große Tücher gehüllt, über den Hof.

In der offenen Glasthür, welche die Treppe von der Hausflur abschloß, stand Antonie, die Enkelin der Räthin. Sie hatte eben die scheidenden, in Capuzen und Mäntel gehüllten Freundinnen der Reihe nach geküßt und wandte sich lachend zum Fliehen, weil einige derselben sie mit dem „bezaubernden Vetter“ neckten, als sie die Seejungfer und Magdalenen gewahrte, die sich eben erschrocken wieder zurückziehen wollten. Das junge Mädchen zog die weißblonden Augenbrauen in die Höhe, sah noch einmal blinzelnd hinüber, wobei ein überaus hochmüthiger Zug um Mundwinkel und Nasenflügel erschien, und winkte dann einem mit der Laterne auf seine Herrschaft wartenden Bedienten, der sofort in barscher Weise frug, was die Beiden hier zu suchen hätten. Als sie schwiegen, drehte sich das blonde Mädchen mit einer systematisch nachlässigen Bewegung nach der Treppe um und rief mit dem Ton eines verzogenen, vornehmen Kindes hinauf:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_594.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2021)