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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Nun, dann will ich lieber draußen zehnfach Unrecht leiden, als auch nur einen Augenblick länger hier bleiben!“ rief Magdalene außer sich und eilte nach der Thür.

In demselben Augenblick wurde draußen Werner’s Name gerufen.

„Was giebt es?“ rief er aufgeregt und öffnete ein Fenster.

„Es fängt an zu regnen,“ antwortete Antonie. „Wir möchten aber nicht hinauf in die schwülen Zimmer und bitten Dich recht sehr, uns zu erlauben, daß wir ein wenig in Deinem Atelier bleiben dürfen.“

„Bedaure unendlich, aber dieser Raum hat einen Marmorfußboden. Ich wäre untröstlich, wenn sich die Damen den Schnupfen holten, und muß deshalb meine Einwilligung entschieden verweigern.“

„Auch mir, liebster Egon?“ fragte Antonie in den schmelzendsten Tönen.

„Auch Dir, verehrteste Antonie.“

„Aber das ist wirklich sehr unliebenswürdig, Herr Werner,“ rief eine andere Mädchenstimme, „wir hätten so gern das Bild der schönen Italienerin gesehen, von dem uns Antonie erzählt hat!“

„Ah, ich entdecke in diesem Augenblick ein reizendes Spionirtalent an meinem Mühmchen! … Nun ja, ich will’s nur gestehen, ich habe eine engelschöne Italienerin hier; aber ich spüre nicht die mindeste Lust, sie irgend Jemand zu zeigen, aus dem einfachen Grunde, weil ich sie für mich ganz allein behalten will!“

„Pfui, wie ungalant!“ riefen Alle zugleich und huschten schnell vorüber, denn es fielen schon große Tropfen. Gleich darauf wurde die Gartenthür zugeschlagen.

Jetzt drehte sich Werner rasch um und zog Magdalene, die eben hinauseilen wollte, in das Zimmer zurück. Es war eine merkwürdige Veränderung plötzlich mit ihm vorgegangen. Wo war die Marmorglätte seiner Züge, die kalte Ruhe seiner Augen geblieben? … Die Hand des jungen Mädchens festhaltend, sagte er mit bebender Stimme:

„Sie dürfen dies Zimmer nicht verlassen, bevor Sie mir eine Bitte erfüllt haben.“

Magdalene sah erstaunt und erschreckt auf. Aber er fuhr fort:

„Vor einigen Stunden haben Sie mir erklärt, daß Sie mich hassen … jetzt bitte ich Sie, mir hier diese wenigen Worte zu wiederholen.“

Magdalene entzog ihm hastig die Hand und stammelte kaum hörbar: „Wozu das?“

„Das will ich Ihnen nachher erklären – wiederholen Sie!“

Das junge Mädchen lief in heftigster Bewegung tiefer in das Zimmer hinein. Sie kehrte Werner den Rücken zu und rang in stummer Angst die Hände. Plötzlich drehte sie sich um, drückte die verschränkten Hände vor die Augen und rief mit erstickter Stimme:

„Ich – kann es nicht!“

Da fühlte sie sich stürmisch von zwei Armen umschlungen.

„Du kannst es nicht, und warum nicht? … weil Du mich liebst, Magdalene! Ja, Du liebst mich!“ rief Werner jubelnd und löste ihr die Hände vom Gesicht. „Laß mich Deine Augen sehen! … Ist das ein Gefühl, dessen Du Dich zu schämen hättest? … Sieh’ mich an, wie glücklich und stolz ich bin, indem ich Dir sage: ich liebe Dich, Magdalene!“

„Das ist unmöglich! … Jene Eiseskälte, die mich zur Verzweiflung brachte –“

„War genau so gemeint, wie Deine Schroffheit, die mich jedoch durchaus nicht verzweifeln ließ,“ unterbrach sie Werner lächelnd. „Kind, mit Deiner Verstellungskunst war es nicht weit her. Was Deine Lippen mit herben, bitteren Worten gegen mich sündigten, das sühnten Deine Augen … Ich habe Dich geliebt seit jenem Augenblick, wo ich Dich auf dem Thurme sah. Die Erzählungen des alten Jacob, die ich herauslockte, ohne daß er es merkte, enthüllten mir Deine ganze innere Welt und ließen mich erkennen, daß es mir beschieden sei, einen kostbaren Schatz zu heben, an welchem Hunderte vorübergegangen waren, ohne ihn zu bemerken.

… Aber ich wußte auch, daß der Vogelsteller, der dies seltene Vöglein einfangen wollte, auf seiner Hut sein müsse, denn es war scheu und blickte mit mißtrauischen Augen in die Welt. Desbalb hatte ich den Panzer einer kalten Ruhe angelegt und vermied jede heftige Bewegung, sowohl in dem, was ich sagte, wie in meinen Zügen … Ich habe Dich unzählige Mal beobachtet, während Du keine Ahnung von meiner Nähe hattest. In der alten stillen Kirche, im Klostergarten, in Jacob’s Stube, wo Du meine Orangen verschmähtest, und auf dem Mauergärtchen, wenn Du den Nachbarskindern Blumen hinabwarfst … Willst Du mein Weib sein, Magdalene?“

Sie richtete sich hoch, mit strahlenden Augen, in seinen Armen auf und hielt ihm, ohne ein Wort zu reden, beide Hände hin. Und so war der Bund zwischen zwei Menschen geschlossen, von denen noch vor wenig Augenblicken jeder fremde Beobachter geglaubt haben würde, daß sie sich abstießen wie Eis und Feuer.

Magdalene verbarg dem Geliebten nun nicht länger, wie tief sie in der letzten Zeit gelitten, und erzählte ihm ihr unterirdisches Abenteuer, wobei sie auch nicht einen Gedanken verschwieg, der ihr da drunten durch die Seele gefluthet war.

„Also den sagenhaften zwölf Aposteln habe ich’s zu danken, daß ich schneller an mein glückliches Ziel kam, als ich zu hoffen wagte!“ rief Werner lachend. „Weißt Du auch noch, was ich Dir bei unserem ersten, so stürmisch endenden Gespräch wünschte?“

„Gewiß – jener Apostel…“

„Ist die Liebe.“

„Aber die schöne Italienerin, von der Jacob sagte –“

„Daß ich sie heirathen würde?“ unterbrach sie Werner lächelnd. „Nun, ich will sie Dir zeigen, diese kleine Neapolitanern, mit den abstoßenden Zügen und dem häßlichen Haar, das trotzdem ein unzerreißbares Netz um mein Herz geschlungen hat.“

Er streifte die Leinwand von der Staffelei. Da saß eine liebliche Mädchengestalt auf der Brüstung eines Thurmfensters und blickte sehnsüchtig und träumerisch hinaus in die Ferne. Die Kopfbedeckung der Neapolitanerinnen lag auf ihren reichen, bläulich schwarzen Flechten; ein weißes Spitzentuch schmiegte sich um den Nacken und verschwand in einem feuerfarbenen Mieder, das die schlanke Gestalt eng umschloß. Das Bild war noch nicht vollendet, aber es versprach ein Meisterstück zu werden.

„Siehst Du, mein Mädchen, das ängstlich den Spiegel meidet, weil es meint, vor sich erschrecken zu müssen, das bist Du!“ sagte Werner. „Aber ich habe oft den Pinsel mißmuthig hingeworfen, denn der eigenthümliche Zauber, der so plötzlich das helle Licht in mir angezündet, spottet aller Farben.“

Ein heftiger Platzregen schlug jetzt prasselnd gegen die Glaswände. In dem Augenblick lief der alte Jacob vorüber, so schnell seine alten Beine es erlaubten. Sein weißes, unbedecktes Haar flatterte im Winde und keuchend trat er in’s Zimmer.

„Ich wollte –“ begann er athemlos.

„Nachsehen, ob Alles in Ordnung sei, alter Jacob?“ unterbrach ihn lächelnd Werner. „Gewiß,“ fuhr er fort, indem er Magdalene dem Alten entgegenführte, „Alles, bis auf das Aufgebot und die Hochzeit … Jacob, was meinst Du, habe ich mir nicht eine schöne Braut ausgesucht?“

Jacob stand wie eine Bildsäule. Er griff zuerst wie geistesabwesend nach seinem Kopfe und lächelte dann wie Einer, der auf einen unverstandenen Spaß einzugehen sucht. Magdalene trat ihm näher und legte, wortlos vor Glück und Seligkeit, den Arm um seinen Hals. Da erst erwachte er aus seiner Erstarrung und sagte, indem Thränen in seine Augen traten:

„Ach, Du Unglückskind, da bist Du ja! Drüben sitzt die Muhme und weint sich die Augen aus. Wie sie nach Hause gekommen ist, hat die Thür offen gestanden und Du warst im ganzen Kloster nicht zu finden. Alles sucht nach Dir, und ich habe Deinetwegen zum ersten Mal meine Pflicht vergessen, denn ich habe vor lauter Angst und Schrecken das Gewitter gar nicht gehört, und da hätte der Regen hier schön auswaschen können … Komm nur gleich mit – die Muhme glaubt Dich womöglich schon im Mohrenlande … Daß Gott erbarm, wie kommst Du nur hierher?“

„Ich habe Dir ja schon gesagt, als meine Braut,“ sagte Werner mit Nachdruck.

„Ach, Herr Werner,“ entgegnete bittend der Alte, „sprechen Sie nicht so. Das Mädchen versteht keinen Spaß, das habe ich Ihnen schon oft gesagt.“

„Ja wohl, lieber Jacob, und ich könnte mich beinahe fürchten, wenn es mir nicht gar so Ernst wäre!“ rief lachend Werner und zog das Mädchen an sein Herz.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_612.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2016)