Seite:Die Gartenlaube (1865) 617.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Hier komme ich auf die zufälligen Dienste, welche der Naturforschung durch die Industrie geleistet wurden. Zuweilen ziehen Fischer aus sechshundert bis eintausend Faden Tiefe einen Seestern, eine Koralle, eine Muschel hervor, welche an ihren Netzen oder Angeln in irgend einer Weise verstrickt geblieben ist – besonders dann, wenn der Sturm ihre Geräthschaften in Unordnung gebracht und die Schwimmer, welche Netze und Angeln an der Oberfläche halten sollten, abgerissen hat. Einem solchen Zufalle verdankten wir ohne Zweifel den schönen Baum einer seltenen Koralle (Fig. 1), der heute in dem Senkenbergischen Museum in Frankfurt aufgestellt ist und der in der Nähe des Pippertind-Gletschers am Lyngen-Fjord am Strande lag neben dem Boote des Küstenlappen, der ihn weggeworfen hatte.

Fig. 1. Knospentragende Augenkoralle.

Noch mehr Belehrung werden uns künftig die Telegraphentaue bieten. Von Zeit zu Zeit wird immer wieder eines derselben herausgefischt werden müssen, und da jetzt fast alle kleineren Meere von solchen Kabeln durchzogen sind, so wird nach und nach, wenn die herausgefischten Stücke nur lange genug in der Tiefe gelegen haben, an diese Stücke ein ganzes Studium sich anknüpfen lassen. Sehr langer Zeit bedarf es freilich nicht; ich habe ein Stück des unterseeischen Kabels vom rothen Meere gesehen, an welchem eine fingerlange Koralle sich angesetzt hatte, obgleich das Tau der Versicherung des Ingenieurs zufolge sich nur zwei Jahre im Meere befunden haben sollte. Milne Edwards, der Sohn, hat Gelegenheit gehabt, ein Stück des Taus zu untersuchen, welches die Verbindung zwischen Cagliari auf der Insel Sardinien und Bona in Algier vermittelt hatte und das zwei Jahre lang in einer Tiefe gelegen hatte, die zwischen 2000 und 2800 Meter (6000 und 8400 Fuß) wechselte und genau gemessen worden war.

Diese einzige Beobachtung aus einem Meere, in dessen östlicher Fortsetzung, dem ägäischen Archipel, das Schleppnetz aus der geringen Tiefe von 230 Faden (1380 Fuß) kein lebendes Wesen mehr heraufgebracht hatte, schlug eine Reihe von Vorurtheilen mit einem Male zu Boden und sie verdient deshalb etwas näher in das Auge gefaßt zu werden.

Das Tau war mit Muscheln und Korallenpolypen besetzt, die darauf gelebt hatten, denn die Weichtheile waren noch erhalten und die Schalen waren an dem Tau selbst festgewachsen. Die Thiere hatten also in dieser enormen Tiefe von 7000 Fuß im Mittel gelebt, hatten sich dort auf das Tau festgesetzt, wie auf jedem anderen Gegenstand am Boden, waren da gewachsen – hatten also Nahrung und alle übrigen Bedürfnisse eines kräftigen Lebens dort gefunden.

Fig. 2. Deckel-Kammmuschel.

Da saß eine Auster, die Löffel-Auster, die auch in der Zone der Edelkorallen, in etwa 600 bis 1000 Fuß Tiefe, häufig vorkommt, deren Schale sechs Zentimeter im Durchmesser hielt, also völlig ausgewachsen und so über das Tau hinübergewachsen war, daß sie seine obere Hälfte umspannte; anderwärts saß, freilich weniger fest, eine Deckel-Kammmuschel, eine der schönsten Muscheln des Mittelmeeres, von welcher wir hier eine Abbildung (Fig. 2) geben, meist mit brennendrothen oder gelben Farbenbinden geschmückt, die in dieser Tiefe auch nicht im Mindesten gebleicht erschienen; ferner eine andere, nicht minder lebhaft gefärbte Art, der Pecten testae, welcher in den Sammlungen ziemlich selten ist und gewöhnlich nur aus großen Tiefen gefischt wird. Auch Schnecken fehlten nicht: eine Spindelschnecke, so frisch, als komme sie eben lebend aus dem Wasser, und eine Einzahn-Schnecke, die in dem Mittelmeere nur äußerst selten am Strande vorkommt, dagegen bei Bergen in Norwegen nicht selten in geringer Tiefe an den Steinen sitzt – leider stand mir die Art selbst nicht zu Gebote, so daß ich keine Abbildung davon geben kann. Das ist aber eine sehr merkwürdige Thatsache, daß eine fast nordische Schnecke, die, so viel ich weiß, an den englischen, französischen und spanischen Küsten nicht vorkommt, jetzt noch einerseits die Tiefen des Mittelmeeres, andrerseits die norwegische Küste bewohnt, und dies deutet wie mit Fingern auf eine Zeit hin, wo vielleicht eine Verbindung zwischen diesen beiden Meeren quer durch den Continent hindurch, den Thälern der Rhone und des Rheines entlang bestand, eine Verbindung, die man noch aus mehreren andern ähnlichen Thatsachen erschließen kann.

Ferner waren an dem Kabel festgewachsen einige Arten von Korallen und zwar Nelkenkorallen, von denen die eine bis jetzt nur versteinert in den tertiären Schichten von Piemont und Algerien, aber nicht lebend im Mittelmeere gefunden wurde, die andere ganz neu scheint, allein vielleicht auch in Algerien fossil vorkommt; eine dritte Art, vielleicht eine neue Gattung, verwandt mit den vorigen; einige Rindenkorallen und einige Moosthiere, sowie endlich einige Deckelwärmer mit Kalkröhren, die alle wohl erkannt, aber nicht genau der Art nach bestimmt werden konnten.

Betrachtet man sich diese Liste genauer, berücksichtigt man, daß blos kleine Stücke des Taues untersucht werden konnten, so muß man zu der Ueberzeugung kommen, daß nur wenige Typen festsitzender Seethiere fehlen, kurz, daß das aus einer Tiefe von mehr als eintausend Faden gefischte Tau einem nicht minder reichen Leben zur Grundlage diente, als irgend ein nahe an der Oberfläche gelegener Punkt.




Auch ein Vergessener.
Erinnerung aus der Zeit der schweren Noth.

Am 25. Mai des Jahres 1809 donnerten die Kanonen von den letzten Resten der ehemaligen Außenwerke Stralsunds herab ihren rauhen Jubelruf in die sonnige Morgenluft hinaus. Er galt dem Triumphe Frankreichs über Oesterreich, der Verherrlichung des Einzuges Napoleon’s in Wien. Jetzt lag das ganze Deutschland besiegt, in schweigender Gebundenheit zu den Füßen des corsischen Emporkömmlings. Was half es, daß die Fluth der Empörung in dem Gemüthe manches Patrioten hoch aufwogte!


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_617.jpg&oldid=- (Version vom 15.10.2022)