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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

ihre Strafpredigt und begnügte sich seufzend damit, ihre verlobte Schülerin zu Bett zu schicken.

„Noch Eins,“ sagte Melanie schon im Begriff dem Gebot Folge zu leisten, „ich habe eine Bitte. Alphons trägt ein schwarzes verschlossenes kleines Portefeuille in seiner Brusttasche – ich sah es, aber er schloß es mir nicht auf und behauptete, es enthalte ein Geheimniß, das ich erst an unserm Hochzeitstage erfahren dürfte. Vielteicht ist es das Portrait seiner verstorbenen ersten Liebe. Bitte, bitte, liebe Köhler, fragen Sie ihn einmal recht eindringlich danach – mir würde er ja doch keine aufrichtige Antwort geben, und dann – ich möchte um die Welt nicht, daß er mich für neugierig oder gar für eifersüchtig hielte!“




Seit jener Unterredung waren Monate verflossen, man hatte den Winter in Paris vorüberrauschen lassen und lebte erst seit vierzehn Tagen wieder im alten Herrenhause. Wie im Traume war Melanie auf den hochgehenden Wogen eines wechselvollen Daseins dahingeschwommen. Fräulein Köhler mußte sehr viele Abende einsam zubringen in jenem kleinen, eleganten Quartiere, das man in Paris gemiethet, und fand Muße genug, sich ihrer Leidenschaft hinzugeben, Romane zu schreiben, und Betrachtungen anzustellen über die Vergnügungssucht junger Mädchen. In dem Hause Alphons’ repräsentirte seit dem Tode seiner Eltern eine alte Tante, sie machte die Honneurs mit mehr Würde als Grazie. Alle seine übrigen Verwandten von Nah und Fern drängten sich herbei, die junge, reiche Braut kennen zu lernen. Melanie wurde gefeiert, wo sie sich zeigte, man umschwärmte die reizende, frische Erscheinung, man fand sie piquant ohne alle deutsche Sentimentalität und beneidete den Bräutigam um diese anmuthige Zugabe eines bedeutenden Vermögens. Aber alle derartigen Huldigungen schienen keinen sonderlichen Eindruck zu machen auf das Herz des jungen Mädchens, zur großen Beruhigung der besorgten Gouvernante; Alphons tanzte besser, als alle Andern, plauderte amüsanter, war achtsam auf alle Wünsche – man mußte ihn lieben, so lautete der Refrain aller Berichte Melaniens. Sie genoß das rauschende Paris mit einer Unbefangenheit und ruhigen Freude, die ihre Erzieherin in das lebhafteste Erstaunen versetzte.

Herr M. war in den letzten Tagen seines Pariser Aufenthaltes ungewöhnlich guter Laune. Er hatte in der Ausstellung ein Bild gekauft, das ihn unwiderstehlich reizte: Adam Lux, der bekannte schwärmerische Anbeter Charlotte Corday’s, auf seinem Wege zum Schaffot. Anordnung und Gruppirung waren meisterhaft und das Colorit von großer Wärme und Kraft, der Ausdruck der verschiedenen Köpfe frappirend. Die Bekanntschaft mit dem Maler dieses Bildes erklärte er für die interessanteste in Paris, er hatte ihn auch sofort auf mehrere Wochen zu sich nach Deutschland eingeladen. Gaston Dumont – so hieß der talentvolle junge Künstler – hatte die Aufforderung angenommen und versprochen, sobald er seine kränkelnde Mutter in das kleine deutsche Bad D. nahe bei H. gebracht, im Schlosse einzutreffen.

Der alte Herr stellte seinen Schützling seiner Tochter und seinen übrigen Angehörigen vor und war sehr verwundert über den verschiedenen Eindruck, welchen die Erscheinung des jungen Mannes hervorbrachte. Während Melanie angezogen ward von dem schwermüthigen Ernst des Ausdruckes dieses ungewöhnlichen Gesichtes und von der melancholischen Ruhe seines ganzen Wesens, betrachtete ihn Alphons mit einer Art gehässigen Mißtrauens, und die Köhler endlich fand ihn durchaus uninteressant. Er sah ja garnicht aus wie ein Maler – keine fliegenden Locken, kein Sammetbarett, keinen zurückgeschlagenen Kragen – blos ein anständiger Mann aus der guten Gesellschaft. Es war wirklich schade. Wie hübsch hätte ein mehrwöchentliches Zusammenleben mit einem echten Maler werden können! So aber, wie er, konnte jeder Assessor aussehen! –

Man war endlich wieder im grauen Schlosse und der Frühling auch, und die Fenster standen den ganzen Tag weit offen, wie die Glasthür nach dem Garten, und Melanie mußte immer daran erinnert werden, Handschuhe anzuziehen und ihren runden Hut aufzusetzen, wenn sie die Steinstufen hinabsprang. Gaston Dumont hatte seine Zusage erfüllt; er hatte sich eingestellt auf dem Schlosse. Er arbeitete mit dem Hausherrn und gab auf dessen besonderen Wunsch dem jungen Mädchen täglich eine Stunde Zeichenunterricht. Außerdem unternahm er häufig größere Streifereien in die Umgegend, skizzirte fleißig und besuchte an jedem Sonntag D. und seine Mutter.

Wie gern hätte Melanie die Mutter einmal gesehen, an der dieser Sohn mit so leidenschaftlicher Zärtlichkeit hing! Das kleine Miniaturportrait, welches er von ihr bei sich trug, zeigte ein tiefmelancholisches, wunderschönes Frauengesicht.

„Ich habe nie traurigere Augen gesehen!“ sagte das junge Mädchen, während sie das Bild betrachtete.

„Sie hat auch viel gelitten in ihrem Leben, viel verloren!“ antwortete Gaston.

Wie mochte es nur sein, wenn man viel litt und verlor! Melanie sprach indeß nicht mit Fräulein Köhler über das Bild.

Alphons kam in dieser ersten Zeit auf einige Tage, allein Melanie wunderte sich im Stillen, daß sie sich nicht mehr über seine Gegenwart freute. Er brachte so viel Unruhe in das Stillleben und spottete so über ihre Zeichenstunden. Er hatte freilich Recht: Melaniens Talent war gering, sie nahm aber zum ersten Male in ihrem Leben eine Sache ernst. Je mehr Mühe es ihr verursachte, die Vorlagen ihres Lehrmeisters nachzubilden, desto größer wurde ihr Eifer. Sie wollte um jeden Preis Etwas lernen und ihrem Lehrer Freude machen. Sie war entzückt, wenn er sie in seiner ruhigen Weise lobte.

Nur mit Widerstreben erlaubte sie ihrem Verlobten, in den Unterrichtsstunden zugegen zu sein. Herr Dumont würde dann sicher nicht mehr von seiner Mutter erzählen, wie er das sonst that, und Alphons war die Veranlassung, daß sie auf Etwas verzichten mußte, was ihr ein unbeschreibliches Vergnügen gewährte. Zudem behandelten sich beide Männer so kalt, Gaston war so stolz, Alphons so hochfahrend und gereizt, daß Melanie ein lebhaftes Unbehagen empfand, wenn sie Beide zusammensah.

„Ich hätte nie gedacht, daß Alphons so kindisch sein könnte,“ sagte sie einmal zu ihrer Gouvernante, „er redet die ganze Zeit von lauter albernen Dingen, und dabei soll man zeichnen!“

Eines Tages wollte man nach H. in’s Theater fahren, um ein paar neue Lustspiele zu sehen. Alphons hatte zu dem Ausfluge beredet, er liebte die Einförmigkeit des Landlebens nicht und langweilte sich im Stillen entsetzlich. Unmittelbar vor der Abfahrt, mit ihm auf der breiten Terrasse auf- und niedergehend, warf Melanie ihrem Verlobten sein unfreundliches Benehmen gegen den Gast ihres Hauses und den Künstler von Ruf vor. Er antwortete gereizt und abweisend, und der erste Zwist setzte sich zwischen dem Brautpaar in Scene.

„Dein plötzlicher Fleiß ist kindisch, liebe Melanie,“ sagte Alphons, „aber noch kindischer ist, daß Du empfindlich darüber bist, wenn man sich für Deinen Lehrmeister noch weniger interessirt, als für Deinen Zeichenunterricht. Ich habe nun einmal eine unüberwindliche Antipathie gegen diesen Herrn, und es ist eine alte Erfahrung, daß man Leute, die sich vom ersten Blick an nicht mögen, um keinen Preis zwingen soll, miteinander zu verkehren; es entsteht Unglück daraus. Ich finde sein Gesicht unangenehm und sein Wesen unerträglich.“

„Es ist mir leid, daß unser Geschmack auseinander geht,“ antwortete das Mädchen mit blitzenden Augen, „ich finde ihn in jeder Weise edel und angenehm.“

„Seine Nähe und Unterhaltung gönne ich Dir gern, Theuerste, sobald ich nur nicht Theilhaber zu sein brauche. Ich warte geduldig auf die unvermeidlich eintretende Abkühlung Deines Enthusiasmus und weiß, daß Du mir dann wieder Gerechtigkeit widerfahren lassen und einsehen wirst, wie sehr ich Recht habe.“

„Ich fürchte, Du wirst auf diese sogenannte Abkühlung lange warten müssen, mein Freund. Ich habe mir vorgenommen, mich ernstlich mit der Kunst des Zeichnens zu beschäftigen. Lange genug habe ich thörichte Dinge getrieben. Ich möchte auch ein wenig malen lernen.“

„Versuche es, wenn es Dir Vergnügen macht, sobald wir verheirathet sind. Ich werde Dir dann den besten Lehrer in Paris zuführen und – bezahlen.“

„Ich würde nie einen besseren verlangen und bei keinem anderen lieber lernen. Doch bin ich dafür, die Zeit vor unserer Hochzeit zu benützen.“

„Der Termin ist zu kurz, liebes Kind!“

„Wenn ich nun einen längeren beanspruchte?“ – –

„Nimmermehr, Melanie! Anfang October werden wir uns verheirathen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_627.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)