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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

die derselbe seinen Kunden, auf die Sohle geschrieben, vorführte; oder an dem Schloßschaffner, wenn dieser ihm herzlich dankend entgegenhinkte, unter stetem Aechzen über die Schmerzen an den Füßen, die Zschokke mit Bürsten gerieben, um den vom Blitzstrahl getroffenen Mann den Armen des Todes wieder zu entreißen; oder an dem Staunen seiner kleinen Schwägerinnen, als er den Ring einer derselben in das Pistol lud und es abschoß und jener sich dann, mit einer seidenen Schleife geziert, am Halse der Eigenthümerin wieder vorfand; oder an seinem Sämi, wenn er ihn auf seine Reisen mitnahm und dieser sich dazu herausgeputzt hatte, während der Herr im abgetragenen grünen Kleide erschien, wenn dann in den Gasthäusern und Sennhütten des Gebirges der Diener für den Herrn genommen wurde und daran lustige Mißverständnisse und Abenteuer sich anknüpften. Nebenbei sei bemerkt, daß Zschokke die Leitung der Dienstboten ganz seiner Frau überließ. Durch diese machte er ihnen die Bedingungen der Aufnahme in’s Haus bekannt, wobei namentlich besonderer Nachdruck auf Wahrhaftigkeit gelegt wurde. Jede im Hause dienende Person wußte, daß eine Lüge unnachsichtlich die Entlassung zur Folge haben würde. Im Uebrigen war Zschokke den Dienstboten gegenüber nichts Weiteres, als ein freundlicher Hausgenosse. In der Regel weilten Knecht und Magd lange Jahre im Hause.

Auf Antrieb von Pater Rudolf Meier in Aarau, der neben Pfarrer Nüsperli einer der thätigsten Gründer der Cantonsschule war und als begüterter Mann auch in anderer Richtung für gemeinnützige Werke große Opfer brachte, begann Zschokke zu Biberstein von Neuem die Herausgabe des Schweizerboten und verband sich zu diesem Behufe (im Jahre 1804) mit Buchdrucker und Buchhändler Heinrich Remigius Sauerländer, der damals von Basel nach Aarau übersiedelte und von nun an ihm Freund und Kampfgenosse wurde für Freiheit und Recht. Drei eheliche Bande knüpften in spätern Zeiten Kinder und Enkel der beiden Familien aneinander.

An den Schweizerboten, dieses Zeitungsblatt, das auf die Sittengeschichte und den Entwickelungsgang der Schweiz so unendlich großen und nachhaltigen Einfluß geübt, schloß sich dann auch des Schweizerboten Kalender an.

„Gott, Schöpfer alles Beseligenden“, gab dem Schweizerboten, wie Hebel im Hochzeitsliede geweissagt, in Jahresfrist „ein goldig Büeble“ und „die ungeahnten Freuden des Vaters im Anblick des erstgebornen Sohnes“. Theodor war’s, nunmehr Arzt und Lehrer der Naturgeschichte an der Cantonsschule zu Aarau. Ihm folgte Emil, jetzt Pfarrer ebenda, und so kam ein Knabe nach dem andern, bis das Dutzend voll war. Den Schluß bildete, als dreizehntes Kind, ein Töchterlein, Cölestine, nunmehr Frau Sauerländer in Frankfurt.

Im Aargau dürfen Taufen nur in der Kirche stattfinden; in der Stadt Aarau werden sie in einer sonntäglichen Abendstunde vorgenommen. Den gottesdienstlichen Handlungen wohnen in der Regel nur die Pathen und nächsten Anverwandten des Kindes bei. Aus dem Hause Zschokke war jeweilen auch die Mutter des Täuflings dabei. Als nun nach zwölf „Buben“ das Dreizehnte, ein Mädchen, getauft werden sollte, schlossen sich dem Taufzuge eine große Zahl von Schülern, Freunden und Verehrern des Vaters an, um dem Elternpaar die allgemeine Freude an dem seltenen Familiensegen zu bekunden.

Von den zwölf Söhnen gingen dem Vater zwei schmerzlich beweinte Kinder voran, zwei als Jünglinge und einer als Mann, Julius, Rechtsanwalt und Criminalrichter in Baselland. Ihm folgen zwei Söhne, Alexander, Lehrer des Kunstzeichnens an der Cantonsschule zu Aarau, und Eugen, der jüngere Arzt. Achilles ist Pfarrer in Gontenschwil bei Aarau, und die beiden Jüngsten sind Bauverständige, Alfred, Cantonsbaumeister von Solothurn, und Olivier. Mithin leben noch fünf Söhne, alle in bedeutsamen Stellungen und im Geiste des Vaters wirkend, Wohlthäter ihrer Mitmenschen, ebenso bescheiden und rastlos thätig, wie er, alle Väter, zum Theil schon Großväter einer zahlreichen, vielversprechenden Nachkommenschaft.

Als Vater steht Zschokke auf höchster Stufe seiner Menschenwürde da. Heiterkeit und Ernst, Milde und Strenge im Umgang mit seinen Kindern, Alles an gehörigem Orte, zeichneten ihn aus. Bemüht war er, die Seinigen früh an’s Entbehren des Entbehrlichen zu gewöhnen, und sorgsamste Pflege verwendete er auf die wahren Bedürfnisse und dies bis auf’s Geringfügigste. Heranbildung zu einer Höhe, welche das Niedrige weit hinter sich läßt, und Erziehung zu einer Gesinnung, die sich dem Niedrigsten freundlich gleichstellt, Angewöhnung zu Verschwiegenheit und Freimuth, wo jedes am Platz, nicht sowohl Büchergelehrsamkeit, als handliches Eingreifen für’s Leben – das waren Zschokke’s Zielpunkte in seiner Eigenschaft als Erzieher seiner Kinder.

Für den ersten Unterricht der Kinder sorgte die Mutter; dann übernahm der Vater die heranwachsenden Knaben, lehrte sie die Anfangsgründe des Lateinischen und Griechischen, führte sie in Cäsar, Virgil und Homer ein, ließ sie hierauf in den öffentlichen Lehranstalten Aarau’s für Hoch- und Kunstschule vorbereiten und endlich zur Vollendung ihrer Bildung Reisen machen.

Unvergeßlich sind uns die mit seinen Söhnen genossenen Stunden, in denen er die Alten erklärte, oder die Winterabende, an welchen er die allgemeine Weltgeschichte vortrug, deren schriftliche Ausarbeitung unter unsern Händen nach und nach zu dickleibigen Bänden anwuchs. Dieselbe Hand, die zuweilen für den Kleinsten eine Puppe, gewöhnlich Sämeli genannt, einkleidete, schwang die Peitsche, wenn der Vater am Weihnachtsmorgen mit den „Buben“ den Ritt zu Steckenpferd um den mit Wachskerzen beleuchteten Baum eröffnete; dieselbe Hand regierte das Schattenspiel, in welchem die Figuren, ein Nikodemus, ein Habakuk, eine Marzipille, Gespräche führten, die unvermerkt auf unsere Kinderherzen gemünzt waren; dieselbe Hand sammelte beim Apotheker, beim Kürschner, beim Gewürzkrämer und im eigenen Naturalienkasten diejenigen Gegenstände, womit für Jeden von uns eine Naturaliensammlung gegründet werden sollte; dieselbe zog auf einer Landkarte des Heimathcantons Aargau ein Netz von Straßen und Wegen, um darauf mit zwei feindlichen Heeren, die durch eine größere Anzahl nach den Waffengattungen verschieden bemalter Bleistücke dargestellt waren, sinnreichen Spielregeln gemäß uns Knaben Krieg führen zu lassen; dieselbe Hand schrieb zu den Bildern am Ofen anmuthige Gedichte, die wir auswendig lernen mußten; dieselbe verbesserte unverdrossen unsere Hefte und fügte den gemachten Fehlern mit rother Tinte umfassende Bemerkungen an; dieselbe strafte auch ohne langes Federlesen und in einer uns fürchterlichen Gemüthsruhe mit ein paar tüchtigen „Kläpsen“ auf den Hintern. Ohrfeigen waren uns unbekannte Größen.

Die Gemüthsruhe verließ überhaupt, meines Wissens, den Vater Zschokke nur ein Mal. Ein Mann bewarb sich bei ihm um das Amt eines Forstaufsehers, das Zschokke zu vergeben hatte. Um der Sache mehr Nachdruck zu geben, zog der Aspirant ein Stück Geld aus der Tasche und wollte es auf den Tisch legen. Als ihn Zschokke mit Entrüstung zurückwies und ihm erklären wollte, nun gerade darum solle er das Amt nicht erhalten, denn wer besteche, lasse sich wieder bestechen, wendete sich der Unglückliche an einen der Kleinen, welcher eben anwesend war, mit den Worten: „So nimm’s denn Du!“ Da entbrannte des Vaters Zorn. Er faßte den Mann am Kragen und warf ihn die Treppe hinunter, freilich zugleich besorgt, daß er nicht Schaden leide.

Die strenge Handhabung von Wahrheit und Rechtlichkeit, die sich die Eltern ihren Kindern gegenüber angelegen sein ließen, wurde einst auf eine harte Probe gestellt. Wenn ein Kind bei Tische eine Speise nicht gern aß, hieß es: „Das Kind hat keinen Hunger, warte man ab, bis sich derselbe einstellt.“ Dann ließ man das Kiud warten, ohne ihm weiter Etwas zu reichen, bis das verschmähte Gericht von ihm gewünscht und verspeist wurde. Nun waren die weißen Rüben nicht nach dem Geschmacke des Töchterleins und es sollte den ihm zugefallenen Antheil dieser Speise mehrere Stunden nach aufgehobener Tafel noch beseitigen. Es saß also am Tische, vor ihm die Rüben, die Mutter in eine Flickarbeit vertieft am Fenster. Alles war mäuschenstill im Hause und im Zimmer. Ein Blick der Mutter auf den Teller überzeugte sie, daß der Rüben weniger geworden. Aber was bemerkt Frau Zschokke weiter? Schiebt nicht das Kind den vollen Löffel unter den Tisch und zieht ihn entleert wieder zurück, und liegt nicht ein Bruder vor dem Kind auf den Knieen unter dem Tische verborgen und nimmt die bittern Gaben des Schwesterchens in seinen Mund auf? Richtig, so ist’s! Daß die Strafe für eine derartige Umgehung des elterlichen Willens nur milde ausgefallen, das kann sich Jeder denken.

(Schluß folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_631.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)