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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

sie unendlich viel Anderes zu überwachen hatten, konnte es nicht entgehen, daß in dem eigenen Sohn ihm ein Zerstörer seines Riesenwerkes heranwuchs. Wenn sein bitterer Unmuth über die körperliche und geistige Nullität Alexei’s, über des Prinzen totalen Mangel an politischem Verständniß und kriegerischem Sinn, über dessen Trägheit und Verpfaffung zum Explodiren kam, wetterte er von Zeit zu Zeit in seiner wilden Weise darein, fuhr auch wohl mit Stock und Kantschu dazwischen, schien sich dann aber wieder Jahre lang gar nicht um den Sohn zu kümmern und verdarb natürlich mit sothaner Pädagogik vollends, was überhaupt noch zu verderben war.

Daß jedoch der Czar seiner väterlichen Pflicht keineswegs uneingedenk gewesen, beweist sein Versuch, den rohen und lüderlichen Jungen mittelst einer gebildeten, sittsamen und liebenswürdigen Frau zu bessern. Die arme Charlotte von Braunschweig wurde das Opfer dieses Experiments. Ihre Ehe mit dem Czarewitsch war vom Anfang an bis zuletzt nur ein Martyrium. Der bildungslose Schwachkopf Alexei haßte seine junge Frau schon darum, daß sie eine Lutheranerin war, denn man hatte die Prinzessin bei ihrem väterlichen Glauben gelassen, weil die Politik damals noch nicht das Wunder zu wirken wußte, deutsche Prinzessinnen im Handumdrehen von der lutherischen „Ketzerei“ zur griechisch-katholischen Rechtgläubigkeit zu bekehren. Der Czarewitsch lebte auch nach seiner Verheirathung mit seiner Magd Affraßja, einer hörigen Finnin, und das mochte für seine Frau mehr eine Erleichterung, als ein Leid, sein. Denn das Zusammensein mit dem wüsten Trunkenbold war für Charlotte eine Qual. Der Elende soll auch, was sehr glaubhaft ist, die Arme gelegentlich mit Schlägen und Fußtritten mißhandelt haben. Sie gebar ihm eine Tochter, Natalia, im Juli 1714 und am 23. Oktober 1715 einen Sohn, den nachmaligen Czaren Peter den Zweiten, welcher seiner Stiefgroßmutter Katharina auf dem Throne folgte, aber nur als ein kurzathmiger Schemen über die russische Staatsbühne ging. Dann legte sich die Unglückliche hin, sagte noch: „Das Dasein liegt zu schwer auf mir!“ und wurde von dem Allerbarmer und Allerlöser Tod zur Ruhe gebracht. Der Czar, welcher sich seiner Schwiegertochter stets rechtschaffen gegen den verwilderten Sohn angenommen hatte, war an ihrem Sterbebette gestanden und hatte der darum Flehenden versprochen, ihrer Kinder väterlich sich anzunehmen. Er traf auch persönlich die Anordnungen zum Leichenbegängniß, welches am 7. November mit feierlichem Gepränge stattgefunden hat.

Aber aus dem Grabe, in welchem dieses junge, so vorzeitig gebrochene Leben verschwunden war, ließ die Dichtung, welche es ja allzeit geliebt hat, über die herben Thatsachen der Geschichte mildernde Schatten zu breiten oder auch erklärende Lichter hinzustreuen, ein wunderlich Sagengebilde herauswachsen, an welches viele Menschen lange geglaubt haben als an eine Wahrheit. Der Tod der armen Charlotte – so lautete die Sage – sei nur ein Scheintod gewesen und es sei statt ihrer ein Holzblock begraben worden. Die Todtgeglaubte aber sei von treuen Freunden und Freundinnen, unter welchen wunderlicher Weise die berühmte Liebeskünstlerin Aurora von Königsmark eine vortretende Stelle eingenommen, aus Rußland nach Paris und von dort nach Louisiana in Amerika gerettet worden. Da habe ihr ein ritterlicher Franzos, der Chevalier d’Aubant, viele Freundschaftsdienste zu erweisen Gelegenheit gehabt und derselbe habe sich auch erboten, die Prinzessin, welche sich ihm entdeckte, nach Eintreffen der Nachricht von dem Untergang und Tod ihres Gemahls nach Rußland zurück zu geleiten. Sie jedoch, nach dem Glanz und der Barbarei des czarischen Hofes keineswegs sehnsüchtig zurückblickend, zog es vor, zu bleiben, wo sie war, gab eine Weile später der Werbung des wackern Chevalier Gehör, reichte ihm ihre Hand und lebte lange Jahre mit ihm in Glück und Zufriedenheit … Man sieht, die Poesie hat sich bemüht, das arme Opfer der Politik für die am Ufer der Newa erduldeten Leiden am Ufer des Mississippi zu entschädigen. Schade nur, daß die Poesie in diesem Falle, wie in unzähligen anderen, nur ein schöner Traum war, die Geschichte dagegen eine wüste Wirklichkeit! –


2. Vater und Sohn.

Es hat heiß in dem Czaren gekocht, während er am schon genannten 7. November 1715 dem Sarge, welcher die erlöste Charlotte barg, zur Gruft nachschritt. Mit der Trauer um die todte Schwiegertochter rang der Zorn über den lebenden Sohn; aber die weiche Stimmung war doch so vorwiegend, daß keine der gewohnten Peter’schen Vulcansexplosionen statthatte. Er gab nur dem Bedürfnisse nach, zwischen sich und dem Sohn einmal reine Bahn zu schaffen, und so hat er sich unmittelbar nach der Bestattungsceremonie hingesetzt und an den Czarewitsch einen Brief geschrieben, worin da und dort ein nicht verhaltener Zorn grollt, im Ganzen aber aus den Vorwürfen, Ermahnungen und Warnungen des Herrschers die Stimme des Vaters deutlich heraustönt. Zu wahrhafter Ehre gereicht es dem Czaren, daß er seine Epistel mit den Worten beschloß: „Ich will noch einige Zeit warten, ob Du Dich nicht aufrichtig bessern werdest. Sollte dies aber nicht geschehen, so sei hiermit versichert, daß ich Dich als ein brandiges Glied von der Nachfolge trenne. Denke nicht, daß ich Solches blos zum Schrecken schreibe, und steife Dich nicht darauf, daß ich ja keinen andern Sohn habe. Es soll wahrlich, so Gott will, erfüllt werden! Da ich mein Leben für Vaterland und Volk nicht geschont habe und noch nicht schone, wie sollte ich Dich als Unwürdigen schonen? Lieber ein würdiger Fremder als ein unwürdiger Eigener“ – (soll, wollte der Czar sagen, mein Thronnachfolger sein).

Der Czarewitsch beantwortete diese Zuschrift noch an demselben Tage, unter demüthigen Selbstanklagen seinen Trotz, dem Vater zu Willen zu sein, nur schlecht oder gar nicht verbergend. „Wofern ich nicht fähig sein sollte, die russische Krone zu tragen, so möge mir geschehen nach Deinem Willen. Ich bitte dringend darum, indem ich mich zu solchen Geschäften ungeschickt und untauglich fühle, auch mein Gedächtniß fast hin ist und ich, an geistigen und körperlichen Kräften durch mancherlei Krankheiten geschwächt, untüchtig bin, ein solches Volk zu beherrschen, das keinen so verfaulten Menschen verlangt, wie ich bin. Ich mache daher keine Ansprüche auf die Thronfolge.“ Der Czar hatte guten Grund, mit einer in diesem Tone gehaltenen Antwort des Sohnes unzufrieden zu sein, und schrieb daher zurück, er fürchte sehr, die „Bartleute“ (die altrussisch Gesinnten) möchten, so er todt, den Czarewitsch leicht dahin bringen, sein ganzes Werk wieder zu vernichten. Er sagte daher schließlich kategorisch: „Bessere Dich, bereite Dich vor, ein würdiger Nachfolger zu werden, oder aber geh’ in’s Kloster!“

Gerade an diesem Tage gebar Katharina dem Czaren einen Sohn, welcher jedoch nur wenige Jahre am Leben blieb. Man thut der Czarin wohl kaum Unrecht, wenn man annimmt, daß sie von der Geburt dieses Prinzen an darauf hingearbeitet habe, demselben auf Kosten ihres Stiefsohns die Thronfolge zuzuwenden. Allein es ist mit Bestimmtheit zu behaupten, daß ihre derartigen Bemühungen ohne die Verkehrtheit und Verbohrtheit des Alexei fruchtlos gewesen sein würden. Denn der Czar war überhaupt über dynastische Engherzigkeit so erhaben, daß er zu derselben Zeit zu einem der fremden Gesandten an seinem Hofe sagte: „Man nennt es Grausamkeit, wenn ein Fürst, um sein Reich, das ihm lieber sein soll als alles Blut seiner Adern, zu erretten und zu erhalten, die Erbfolge der Blutsverwandtschaft ändert. Ich dagegen nenne es die größte aller Grausamkeiten, das Wohl des Staates dem bloßen Rechte einer herkömmlichen Erbfolge zu opfern.“

Der Czarewitsch nahm die Geburt seines Stiefbruders zur Veranlassung, seinem Vater abermals zu erklären, daß er sich zur Thronnachfolge für untüchtig halte und demnach derselben entsage. Worauf der Czar in einem Schreiben vom 19. Januar 1716: „Ueber die Thronfolge habe ich allein zu entscheiden. Aber warum gehst Du nicht in Dich? Bessere Dich und werde thätig und tüchtig! In Nichts stehst Du meinen Bemühungen und Sorgen bei. Statt dessen verleumdest und verfluchst Du Alles, was ich aus Liebe zu meinen Unterthanen Gutes gestiftet, und ich habe große Ursache, zu glauben, daß Du, so Du mich überlebst, Alles wieder über den Haufen werfen werdest. Ich darf Dich fürder nicht so nach Deinem Gefallen hinleben lassen, als ob Du weder Fisch noch Fleisch wärest. Bemühe Dich entweder, der Thronfolge würdig zu werden, oder geh’ in ein Kloster.“ … Jeder unbefangene Urtheiler wird zugeben müssen, daß Peter bislang gegenüber dem Czarewitsch ganz verständig und pflichtgemäß gehandelt habe. Er gab den widerspenstigen Sohn auch jetzt noch nicht auf; aber Alexei rannte thöricht und blind in sein Verderben.

Im Begriffe, zur Badecur nach Pyrmont und von da zur Betreibung des schwedischen Krieges nach Kopenhagen zu gehen (1716), wollte der Czar den Czarewitsch noch besuchen, um ihm persönlich Ermahnungen zu geben; allein Alexei stellte sich krank, um den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_633.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)