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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 41.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Die Locke der Charlotte Corday.
(Fortsetzung.)

Melanie streckte ihre kleine Hand lebhaft nach Gaston aus. „O, das war ein böser Zufall, ein schauerliches Zusammentreffen,“ sagte sie. „Trotzen wir solchem Zufall! Ich fürchte mich gar nicht – nicht ein Bischen – und da, denke ich, können Sie es getrost wagen! Bitte, bitte, sagen Sie Ja!“

„Dringen Sie nicht in mich, ich kann und darf Ihren Wunsch nicht erfüllen, es ist eine Unmöglichkeit! Versprechen Sie, mich nie wieder darum zu bitten!“

Er stand dicht vor ihr und sah auf sie herab. Aber ihre Augen blieben gesenkt, sie spielte mit dem Stift in ihren Händen und sagte nur langsam und traurig: „Sie sind ungalant!“

„Melanie!“

Hatte er wirklich ihren Namen mit diesem unbeschreiblichen Accent der Trauer und Leidenschaft genannt? Wie ein elektrischer Schlag durchzuckte es ihr Herz, ihr Athem flog, ihre Hände zitterten. Eine Empfindung, wie sie nie gekannt, durchdrang mit diesem einen Laut ihr Inneres. War es denn möglich, daß dies eine kleine Wort, ihr eigener Name, solche Wirkung hervorbrachte?! Wie im Traume flüsterte sie: „Es ist gut – ich werde nie wieder bitten!“

„Später erzähle ich Ihnen Alles – nur jetzt, nur heute nicht. Sie vor allen Frauen der Welt würde ich nicht malen!“ sprach Gaston mit einem eigenthümlich wehmüthigen Ausdruck in seinem Gesicht.

Ein Schauer überflog sie bei diesen hastigen, leidenschaftlichen Worten. Eine glühende Röthe stieg in ihre Wangen, sie beugte sich über ihre Zeichnung. In diesem Augenblick trat Herr M. ein. „Ich habe ein kleines Geschäft im Bade D.,“ sagte er, „haben Sie Lust mich zu begleiten, so wird es mir eine Freude sein – vorausgesetzt, daß Sie Nichts dagegen haben, wenn ich meinen Wildfang hier und die gute Köhler mitnehme!“

Eine Stunde später war man auf dem Wege nach dem reizenden Curorte.




Aus dem Tagebuche Ludmilla Köhler’s.

Köstliches Wetter, Fahrt nach D. Hochgefühl des Daseins! Weicher Wagen, beim Einsteigen mir aufs Kleid getreten, gute Pferde. Welt, wie bist du so schön! Melanie sah recht hübsch aus in ihrem braunen Hütchen, obgleich sie ohne Zweifel besser in einem schwarzen mit rothem Federbusch ausgesehen haben würde, zu welchem ich sie vergeblich beredete. Sie ist eben eigensinnig und ihre Seele hat keine Flügel! Dies ist der Abgrund zwischen uns Beiden. Ein Erdenkind ist sie, aber in Weiß wirklich reizend. Ich begreife den Maler nicht, daß er sich nicht in sie verliebt. Es wäre so natürlich gewesen! Eben so natürlich, wenn er mich dann zur Vertrauten gewählt. O, ich würde ihn so sanft zur Entsagung geführt haben! Aber die Romantik ist ausgestorben. Heut verliebt sich Niemand mehr in’s Blaue hinein, weder Mann noch Mädchen. Wo ist sie geblieben, jene himmelstürmende, titanenhafte Liebe? Sollte sie sich wirklich in ein gewisses keusches, streng verschlossenes Frauenherz geflüchtet haben? Ja, ich, Ludmilla Köhler, die schlichte Pfarrerstochter vom grünen Rhein, würde so geliebt haben, und wenn der Mann mit dem unersättlichen Herzen, mein angebeteter Lord Byron, von dem ich zwar nur einige Kleinigkeiten gelesen, mir begegnet wäre, er würde zur Ruhe gekommen sein. Aber er hat mich nicht gekannt! Später freilich, wenn die glühenden Träumereien meiner bis zur Stunde noch verkannten Seele flügge geworden sind, würde er, der große Brite, eingesehen haben, daß nur ein deutsches Frauenherz ihn zu begreifen vermocht. Die Engländer – o, wie ich für diese reinlichen Menschen mit der tadellosen Wäsche furchtsam schwärme, bei deren Händen man allezeit denken muß: wie leicht könnten sie dich erschlagen! – haben das ausdrucksvolle Wort: fall in love (in Liebe fallen). Melanie lachte darüber wie ausgelassen, mir ist es immer rührend gewesen. Die starke Nation so kindlich demüthig in der Liebe zu sehen, hat etwas mächtig Ergreifendes. Sie fallen in die Liebe. Ja, ich verstehe sie! Es ist himmlisch, in Liebe zu fallen; aber, es muß doch eigentlich immer eine Hand da sein, die da aufhebt. Ludmilla, sei ehrlich und gestehe hier in deinem Tagebuche, daß du sehr oft wieder allein aufstehen mußtest! Seit jener rührenden, fast Jean Paul’schen Idylle meiner Jugend, wo ich mich mit dem im Hause meiner Eltern wohnenden Unterlehrer an der Armenschule verlobte, hat mein Herz nie wieder Glück gehabt in der Liebe. Zwölf Jahre lang war ich seine treue Braut. Anfangs liebte ich ihn nur, weil er blaß war und die Leute von ihm sagten, er würde die Schwindsucht bekommen. Ach, einen schwindsüchtigen Geliebten haben, welch’ Entzücken für ein poetisches Gemüth! Leiser Husten, verklärter Blick, ätherische Ernährung! Du stehst wieder vor mir, stille Gestalt mit dem blonden, scharf zurückgestrichenen Haar. Er hieß – noch jetzt sträubt sich meine Feder, diesen prosaischen Namen niederzuschreiben: Christian Wurm. Aber nur vor den Menschen nannte er sich so, ich rief ihn Arthur Vermis. Es ist unmöglich für ein höher begabtes Wesen, einen Christian zu lieben! Aber Arthur ist der echte Heldenname! Alle Helden meiner Romane heißen Arthur!

Ach, er war so geduldig, mein Arthur, und trank ohne Klage den furchtbaren Kräuterthee, er lächelte so verklärt, wenn ich ihm

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_641.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)