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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Das Mädchen streckte bebend, ohne aufzustehen, die Hand nach ihm aus. Da fühlte sie sich festgehalten, diese kleine, schlanke Hand, und mit glühenden Küssen bedeckt. Heiße, halblaute Worte hauchten seine Lippen auf die zuckenden Finger, ach! und Melanie wehrte ihnen nicht. Draußen blühten ja die Rosen zum letzten Mal! Dann zog Gaston ein Tabouret neben den Sessel der Geliebten und begann leise, leise zu reden, ohne ihre Hand zu lassen. Wie aus weiter Ferne klang seine Stimme; erzählte er ein Märchen oder eine todestraurige Wahrheit? Melanie lauschte mit heftig klopfendem Herzen.

„Es war ein junger, talentvoller Maler, Johann Jacob Hauer, aus Gau-Algesheim in Rheinhessen, der am 18. Juni 1793 in die Conciergerie zu Paris beschieden wurde, um das Portrait einer Frau zu skizziren, welche an einem der nächsten Tage hingerichtet werden sollte. Obgleich die Gefängnisse damals mit einer Menge von Unglücklichen angefüllt waren, die den Tod aus Henkershand erwarteten, so konnte der Künstler doch keinen Augenblick im Zweifel sein, wessen Portrait er malen sollte, – das Bild der schönen Charlotte Corday, der Mörderin Marat’s. Ganz Paris war ja wie im Fieber über dies Ereigniß, Charlottens Name schwebte auf allen Lippen, ihr Proceß beschäftigte alle Gemüther. Ein Franzose, Armand Rouer, hatte ihr Bild bereits vor dem Tribunal begonnen, man erzählte sich aber, daß er es nicht vollenden durfte, weil er eine rasende Leidenschaft für das wunderbare Mädchen gefaßt und Pläne zu ihrer Befreiung entworfen. Der Feuerkopf wurde sofort in sichern Verwahrsam gebracht. Einige meinten sogar, daß man ihn im Geheimen hingerichtet, Andere, daß man ihn in’s Ausland geschafft. Es war eben die Zeit der Gerüchte und des Schreckens, und Thatsache nur das spurlose Verschwinden Armand Rouer’s. Auch in das harmlose Stillleben des deutschen Malers, der mit Weib und Kind und einer jungen entfernten Verwandten, der reizenden Laura, die von den Malern nur die blonde Spanierin genannt ward, im Quartier Latin wohnte, war das Gerücht gedrungen. Er war heimwehkrank und wollte in wenigen Wochen in sein deutsches Vaterland heimkehren. Blos die schwere Krankheit seiner Frau, bei deren Schmerzenslager Laura die Rolle der barmherzigen Schwester übernommen, hatte ihn bis zur Stunde zurückgehalten. Sein Name als Maler hatte einen guten Klang, er lieferte tüchtige Portraits von warmer Farbe und idealer Auffassung; die Ruhe und Harmlosigkeit seines Wesens, sowie sein Verkehr mit dem Volke, schützten ihn und sein Haus vor jeder Beschuldigung und jedem Angriff. Johann Jacob Hauer verlor keinen Augenblick seine Besonnenheit, selbst als er die Treppe betrat, die zu dem Kerker Charlottens führte. Er hatte zudem ein Vorurtheil gegen ein Mädchen, dessen Hand Blut vergossen, und sah, seiner Natur nach, mehr mit Schauder und Widerwillen, als mit Theilnahme und Interesse, seiner Zusammenkunft mit der Verurtheilten entgegen. Nur wenige Stunden waren ihm zur Aufnahme des Bildes gegönnt, aber diese kurze Zeit genügte, ihn vollständig zu verwandeln. In einer Erregung ohne Gleichen kehrte er nach Haus zurück und aufgelöst in Thränen, warf er sich in die Arme seines Weibes mit den Worten: ‚Ich sah eine Heilige, die sich zur Himmelfahrt vorbereitet.‘ Die ganze Nacht blieb er auf, um jedes Wort aufzuzeichnen, das sie zu ihm geredet, Alles zu beschreiben, was er in ihrer Nähe gesehen, und am nächsten Morgen ging er schweren Herzens noch einmal in die Conciergerie, um in ihrer Nähe die letzte Hand an sein Bild zu legen.

Am Tage ihrer Hinrichtung war er so krank, daß er dem Arzte große Besorgniß einflößte, und erst lange Zeit nachher hatte er sein gewöhnliches Gleichgewicht in dem Maße wiedergefunden, daß er ausführlich von dem wunderbaren Mädchen zu reden vermochte. Er konnte nicht müde werden, den Eindruck zu schildern, den ihr Anblick auf ihn gemacht. ‚Ich erwartete eine fanatische Heroine zu sehen, als sich die Thür ihres Kerkers öffnete,‘ sagte er, ‚und fand ein sanftes, schönes Mädchen mit der Stimme eines Kindes. Wie ein Licht umfloß die edelste Weiblichkeit ihr ganzes Wesen, all ihre Bewegungen. Der gewöhnliche Ausdruck ihres Gesichts war eine fast verklärte Sanftmuth, nur wenn sie sprach und lebhaft wurde, flog jener hinreißende Zug kühner Entschlossenheit über ihre Stirn, den ich in ihrem Bilde festzuhalten versuchte. Man konnte nichts Süßeres hören, als den Ton ihrer Stimme, er drang mit unwiderstehlicher Gewalt zum Herzen. Sie erstickte eine Natter, von der sie glaubte, daß ihr Gift Tausenden den Tod gebracht.‘

‚Was haßtet Ihr an Marat?‘ hatte Johann Jacob Hauer sie gefragt.

‚Seine Verbrechen,‘ lautete ihre feste Antwort.

‚Was versteht Ihr unter seinen Verbrechen?‘

‚Die Verheerungen Frankreichs, die ich allein als sein Werk betrachte.‘

Als sie die Portraitskizze Hauer’s zuerst sah, bat sie: ‚Malt mich nicht so traurig, ich freue mich ja zu sterben!‘

‚Aber da steht eine unverwischbare düstere Falte auf Euerer Stirn, zwischen den Brauen, und ein unendlich trauriger Zug um den Mund; ich kann keins von beiden verwischen, sonst ist das Bild nicht Charlotte Corday.‘

‚So laßt sie stehen, es ist der Ausdruck des Schmerzes, daß ich nicht Allen helfen konnte, die der Todte und seine Anhänger hingeschlachtet. Es ist vielleicht besser, daß mein Bild so auf die Nachwelt komme, als mit dem Lächeln einer Siegerin. Man wird dann barmherziger über mich urtheilen.‘

Ihre Hände waren von überraschender Schönheit, die Finger lang und schlank, von großer Zartheit und den regelmäßigsten Formen. Niemand konnte bei ihrem Anschauen begreifen, daß sie sich so energisch um den Griff jenes Dolches geschlossen, der die Brust eines Mannes tödtlich durchbohrte. Die Farbe und Fülle ihres Haares war es besonders, was den deutschen Maler entzückte. Nie hatte er ein schöneres Aschblond gesehen. Als das Bild fast vollendet war, bat Charlotte Corday ihren neuen Freund, später eine kleine Copie desselben anzufertigen und ihrer Familie nach Caen zuzuschicken. Mit Thränen versprach der Maler die Erfüllung ihres letzten Wunsches.

‚Ich kann Euch nicht dafür belohnen; auch nicht, daß Ihr Charlotte Corday so menschlich einer richtenden Nachwelt überliefert,‘ sagte sie, ‚man hat mir Nichts gelassen. Mein großmüthiger Vertheidiger, Chaveau Lagarde, hat sogar übernehmen müssen, die Schulden zu bezahlen, die ich im Gefängniß gemacht. Und doch schenkte ich Keinem lieber ein Angedenken, als Euch. Was könnte ich Euch geben?!‘

‚Eine Locke von Euerem Haar!‘ rief Jacob Hauer feurig.

‚Habt Ihr ein Messer bei Euch? Man hat mir keine Waffen gelassen!‘ fragte sie.

Der Maler reichte ihr eine kleine Scheere, und sie schnitt eine lange Locke ab und gab sie ihm hin. – Kaum eine Stunde später nahm er von ihr Abschied.

Das Gerücht dieser Gabe verbreitete sich in ganz Paris, und am Tage nach ihrer Hinrichtung trat jener junge, feurige Deputirte aus Mainz, Adam Lux, in die Malerstube Jacob Hauer’s, um ihn zu bitten, das Haar der Märtyrerin an seine Lippen drücken zu dürfen. Er war es, von welchem der deutsche Maler die Schilderung jenes Zuges Charlottens zur Hinrichtung empfing. Adam Lux hatte den Karren an sich vorbeifahren sehen in der Straße St. Honoré und zugleich zum ersten Mal in jenes Antlitz geschaut, das für ihn fortan der Inbegriff alles Adels und aller Schönheit blieb. Trotz des Gewittersturmes, trotz Blitz und Donners, trotz des wüthenden Geheuls der tobenden Menge, der Schmähungen der entmenschten Weiber, trugen ihre Züge denselben Ausdruck der Sanftmuth, den das Bild Hauer’s wiedergab. Der Ausdruck edelster Festigkeit lag auf der Stirn, ruhige, heldenhafte Entschlossenheit. Die wunderbaren Augen, mit den langen Wimpern, blitzten feucht oder schauten in unbekannte Fernen hinaus, und von ihren Wangen war jener zarte, rosige Hauch nicht gewichen, der sie schmückte. Die nahende Hinrichtung, die Schrecken des Schaffots hatten ihren Muth nicht gebrochen. Adam Lux las seinen begeisterten Nachruf, jene Worte, die ihn kaum vier Monate später der Guillotine überlieferten, zuerst in der stillen Werkstatt des deutschen Malers vor.

Alle diese Dinge pflegte Jacob Hauer wiederholt zu erzählen und bei dieser Gelegenheit enthüllte er das wunderbare Bild auf der Staffelei, von dem er dem Convent eine Copie geliefert. Eine schwarze Schleife war daran befestigt und ein mit festen großen Zügen eigenhändig niedergeschriebener Vers Charlottens:

Nicht Nachruhm ist es, den mein Geist verlangt,
Nicht Lob ihn freut, vor Tadel ihm nicht bangt.
Stets unabhängig und stets Bürgerin,
Hab’ nur die Pflicht, nichts Anders ich im Sinn.
Auf, denkt auch Ihr blos, wie Ihr frei Euch kämpft.

Die Locke aber lag in einem Ebenholzkästchen auf schwarzem

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