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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Blicke von unten bis oben und erwiderte ihm sodann vornehm näselnd: „Ich bedauere recht sehr. Sie sind bürgerlich. Ich tanze nur mit Edelleuten.“

Der junge G. zog sich, trotz der ihm sonst eigenen studentischen Keckheit, doch durch diese Antwort einigermaßen verblüfft, zurück.

„Was! Die alte Schachtel hat es gewagt, Dir, meinem Freunde, den Tanz zu versagen? Das ist ja zugleich eine directe Beleidigung für mich. Na, warte, ich werde sie gleich einmal abtrumpfen!“ brauste Graf Bodo R. auf, als sein Freund G. ihm, nach beendigtem Walzer, das eben erlebte Unglück im Nebenzimmer erzählte.

„Nein, laß das jetzt, Bodo,“ entgegnete Heinrich G., „mache jetzt keinen Spectakel, der die ganze Lustbarkeit stören würde.“

„Halt! mir kommt da ein Gedanke,“ wandte sich Graf Bodo zu seinem andern Freunde, dem Studiosus Arnold F., „gehe Du jetzt auch zu der Dame und bitte sie ebenfalls um einen Tanz! Wollen doch sehen, ob sie es mit Dir eben so macht.“

Herr Arnold F. machte seinen Gang und kam ebenfalls mit demselben Resultat zurück. Ihm war ein gleicher Korb gereicht worden.

„Nun, bei Gott, das ist zu viel!“ loderte der Graf Bodo auf, „dafür muß der alten eingebildeten Kokette eine exemplarische Züchtigung werden. Kommt, laßt uns bei ein paar Flaschen Wein darüber nachsinnen; zum Tanzen werden wir nun alle Drei doch keine Lust mehr haben.

Es war am zweiten Tage nach besagtem Balle, etwa um die zehnte Vormittagsstunde, als eine schwerfällige Landkutsche, in welcher zwei mit Pelzen und Fußsäcken gegen die Winterkälte wohlverwahrte Damen, eine ältere und eine jüngere, saßen, um die Ecke eines reifbedeckten Tannengehölzes, im langsamen Schritte der vorgespannten feisten Ackergäule, in einen Haideweg der weithin sich dehnenden schneebedeckten Ebene einbog. Die beiden weiblichen Insassen der Kutsche mochten, bei der Eintönigkeit und Stille der Landschaft, eben zu einem kleinen Morgenschläfchen eingenickt sein, als ein donnerndes Halt! von drei Männerstimmen sie wach schüttelte. Drei Männergestalten zu Pferde, mit langen Reitstiefeln, Jagdröcken und Pelzmützen bekleidet, wovon der eine eine Violine am Bande auf dem Rücken trug, waren, aus den Tannen heraussprengend, die drei Acteurs dieses Impromptus. Während der Fiedelträger, nachdem er dem Kutscher einige Worte in’s Ohr geraunt, abgestiegen war und den Zügel seines Pferdes an eine Radspeiche festgebunden hatte, trat der eine seiner beiden berittenen Begleiter an den Kutschenschlag, öffnete denselben, lüftete zierlich seine Mütze und sprach: „Gnädigstes Fräulein, Comtesse von A., vorgestern Abend verweigerten Sie mir und meinem Freunde im Ballsaal des Grafen R. einen Tanz. Wir, als deutsche Studenten, sind aber nicht gewohnt uns derartig abspeisen zu lassen. Wir sind deshalb gekommen, und ersuchen Sie jetzt hier mit uns ein Tänzchen zu machen.“

Die Gnädige wollte sich sperren; allein der Redner wiederholte seine Aufforderung so eindringlichen Tones, mit einer Miene, die ihn entschlossen zeigte, die Dame nöthigenfalls gewaltsam aus dem Wagen zu holen und draußen mit sich im Kreise herumzuschwenken, daß sie wohl oder übel sich der Zumuthung zu fügen vorzog. Die Comtesse stieg, doch wohl mit einigem Zittern, aus ihrer Kutsche, der Student G. machte zierlichst seine Verbeugung, erfaßte seine nunmehrige Tänzerin, der vermummte Fiedler spielte einen raschen Walzer auf und das Pärchen machte seine Rundtour über und durch den Schnee der Haidfläche rings um den Wagen. Als diese erste Tour beendigt war, trat der Student F. vor und erbat auch für sich eine zweite von der Dame. Sie konnte auch dies natürlich nicht verweigern.

Derselbe Rundtanz wie vorhin um die Kutsche. Dann ward die Dame höflich wieder in ihren Wagen gehoben, eine artige stumme Verbeugung der beiden Tänzer gegen sie, und die Kutsche setzte sich langsam wieder in Bewegung nach der angeerbten Stammveste schützendem Dache.

In homerischem Gelächter aufbrausend aber sprengten die beiden Studenten und ihr vermummter Begleiter, dessen Person wohl unschwer zu errathen, nach des Freundes väterlichem Sitze heimwärts. Die beiden Damen sollen zwar nie von diesem „Walzer im Schnee“ erzählt haben, aber auf der Holsatenkneipe wie auf der ganzen Universität Kiel wurde die Geschichte davon bald und noch lange nachher jubelnd des Oeftern vorgetragen als einer der bestgelungenen Studentenstreiche.

W. S.




Helgoland noch einmal. Herr Redacteur! Als Besucher und Bewunderer der Königin aller Seebäder, der Insel Helgoland, und sehr wohl bekannt mit allen Einrichtungen dieses Ortes, kann ich nicht umhin, Sie im Vertrauen auf Ihr Rechtlichkeitsgefühl aufzufordern, der folgenden Antwort auf einen Artikel Ihres Blattes vom 24. August ebenfalls einen Platz in demselben zu geben.

Sie sagen, daß „das stolze England“ für ein bedeutendes Pachtgeld erlaube, daß auf Helgoland, wie Sie sich ausdrücken, eine „Spielhölle“ bestehe, und fügen dem die etwas überraschende Angabe bei, daß der Gouverneur der Insel einen Theil des Gewinns erhalte. Außer der Thatsache, daß während der Badesaison eine Roulette sich auf Helgoland befindet, ist auch nicht ein einziges Wort der Wahrheit in obigem Artikel enthalten. Bis zu den letzten zwei Jahren mischte England sich kaum weiter in die Angelegenheiten Helgolands, als daß es einen Gouverneur hierher sandte, welcher das höchste Appellations-Gericht der Insel bildete, daß es jährlich bedeutende Summen für Schulwesen und andere Zwecke hergab, die Gehalte aller öffentlichen Beamten zahlte und dafür auch nicht einen einzigen Kreuzer von der Insel bezog. Die innern Angelegenheiten der Insel wurden geleitet und verwaltet durch einen aus sechs Eingebornen bestehenden Magistrat und eine sogenannten Vorsteherschaft. Diese Municipal-Behörden vermietheten Räumlichkeiten an eine Gesellschaft zur Haltung einer Roulette während der Badesaison und bezogen die Miethssumme. Alle dergleichen Dinge sind zwar verwerflich, ich kann indessen nicht umhin, hinzuzufügen, daß die Helgoländer Roulette nur als eine sehr bescheidene bezeichnet werden darf.

Sehr bald nach Ankunft des gegenwärtigen Gouverneurs verlieh die englische Krone dieser kleinen Besitzung eine Constitution, und einer der ersten Beschlüsse der neuen gesetzgebenden Körperschaft, welcher der Gouverneur präsidirt, war, daß die Spielbank mit Ablauf des gegenwärtigen Contractes aufhören müsse. Der Contract und gewisse eingegangene Verbindlichkeiten machten den unverzüglichen Schluß der Roulette unmöglich. Alle Ihre Leser werden mit Ihnen, betreffs der außerordentlichen Rathsamkeit des Schlusses aller solcher Spielbanken, übereinstimmen, und es ist sehr zu hoffen, daß benachbarte Seebäder wie Dobberan, Travemünde etc. dem guten Beispiele Helgolands folgen werden.




Ich kann bestätigen, daß obiger Bericht die volle Wahrheit enthält. Was auch früher statt gefunden haben mag, der jetzige Gouverneur hat Alles gethan, was in seinen Kräften stand, um die Spielhölle zu beseitigen, und sie wird auch aufgehoben, sobald der – wie ich glaube noch drei Jahr dauernde – Contract mit dem Spielpächter abgelaufen ist.

Gotha, September 1865.

Fr. Gerstäcker.




Der verfluchte Jung’. Prinz Albert von Sachsen-Coburg mochte ungefähr zwölf Jahre alt sein, als er und sein Bruder Ernst für einige Zeit, während einer Abwesenheit ihres eigenen Studienleiters, dem damaligen Hofmeister der mit dem herzoglichen Hause verwandten Familie des Grafen Mensdorff-Pouilly zur Führung übergeben waren. Dies geschah in Gotha, wo bekanntlich der coburgische Hof jeden Winter residirt. Auf einem der Jagdausflüge nach dem Thüringerwalde überfiel die junge Gesellschaft ein kräftiger Platzregen, der sie nöthigte, mit ihrem interimistischen Hofmeister sich in einen omnibusartigen Jagdwagen zur Heimfahrt zu flüchten. In diesem engen Gefährt[WS 1], wo die Kniee der einander Gegenübersitzenden sich fast berührten, gefiel es nun dem Prinzen Albert, zu seinem besondern Vergnügen auf und ab zu wandeln. Dies nöthigte den durchnäßten Hofmeister, jedesmal den kaum eingenommenen bequemen Sitz wieder zu verrücken. Aber gerade dies schien dem Schelm besondere Freude zu machen, und so trieb er’s eben fort, trotz der Bitten, trotz der Ermahnungen und endlich trotz des mürrischen Gesichts des Lehrers. Da riß plötzlich der dicke Geduldsfaden und der explodirte Zorn fuhr auf den Sünder mit dem echt coburgischen Donner los: „Kann denn der verfluchte Jung’ kei’ Ruh’ halt’!“ Schamübergossen duckte der Getroffene sich in den Winkel, und die Sache war aus. – Der Prinz wurde Gemahl der Königin von England und der Hofmeister Pfarrer in der Nähe von Coburg. Wohl vierzehn Jahre nach jener Jagdpartie war es, als Prinz Albert seine Gemahlin zum ersten Mal in seine Heimath führte; sie wohnten auf der Rosenau. Da trieb es den Pfarrherrn, sich auch dahin zu verfügen, in der Hoffnung, der Königin Victoria vorgestellt zu werden. Sein Wunsch wurde erfüllt, Graf Mensdorff, der Vater, verschaffte ihm das ersehnte Glück – der Augenblick nahte, die Thür öffnete sich, er steht vor der ihm freundlich entgegen lächelnden Königin und los läßt der überglückliche Pfarrherr den gewichtigen Eingang seiner wohl einstudirten Anrede. Da, mitten im schönsten Strom der geflügelten Worte, tritt zu einer Seitenthür Prinz Albert herein, erblickt den alten Bekannten, reicht ihm die Hand und stellt ihn seiner Gemahlin mit den Worten vor: „Sieh, das ist der, der mich einen verfluchten Jungen genannt hat!“ – Die schöne Rede war nun freilich ruinirt, aber die Herzlichkeit des Empfangs entschädigte dafür, und damit der treue Pfarrherr ja an kein Nachfragen wegen seiner alten Majestätsbeleidigung denken könne, übersandte ihm andern Tags das glückliche Paar die Oelgemälde seiner Portraits.



Zu Schiller’s Tell. Börne hat in seiner Kritik dieses Dramas auch die Stelle mit scharfem Tadel begossen, wo es heißt:

Ich aber sprach: Ja, Herr, mit Gottes Hülfe
Getrau ich mir’s und helf’ uns wohl hindannen.
So ward ich meiner Bande los und stand
Am Steuerruder und fuhr redlich hin etc.

Diese drei letzten Worte mit dem Stein des Anstoßes „redlich“ sind nun nicht Product von Schiller’s Feder; sondern sie stehen in des Dichters Quelle, in Tschudi’s Chronik. Da heißt es in der Baseler Ausgabe vom Jahre 1734 pag. 239: „Also ward Er uffgebunden, stund an das Stürruder, und fur redlich dahin, doch lugt Er allweg uff den Schieß-Züg, der ze nächst bi Im lag“ etc. Börne hat etwas Recht; es ist wirklich stark, hier von Redlichkeit zu sprechen, Nun aber ist bekanntlich die Sprache der schweizerischen Chroniken sehr mundartlich gefärbt und in der Mundart der Urcantone heißt „redli“ nicht was in der ebenen Schweiz und in Deutschland, sondern es heißt: eilig, schnell, geschwind. So hab’ ich mit eigenen Ohren das Wort angewendet gehört. Schiller konnte diese Bedeutung des Wortes nicht wissen; und wenn er vielleicht am Worte Anstand nahm, so mochte er sich wohl sagen: Wenn Tschudi so schreiben konnte, so darf ich’s auch. – Die Etymologie des Wortes ist mir unbekannt, vielleicht giebt das sich in Arbeit befindende schweizerische Idiotikon einst Aufschluß darüber; oder heißt es etwa: so geschwind wie man redet? oder: so geschwind wie man geredet, d. h. versprochen hat? also so geschwind wie man konnte?

Aarau.

J. R.




Berichtigung. In einem Theile der Auflage von letzter Nummer ist ein Druckfehler übersehen worden; der Verlobte der Heldin in der Erzählung „Die Locke der Charlotte Corday“ ist ein Mal irrthümlich Rouer anstatt Dacier genannt worden. unsere Leser und Leserinnen werden diesen Irrthum gewiß schon selbst berichtigt haben.


Europa Nr. 40 enthält:

Die Frau der Zukunft, von Pelletan. – Eine sibirische Winterreise. – Die eigentlichen Helden des Vertrags von Tauroggen. – Die Führer in den österreichischen Alpen. – Aus der Gesellschaft: Shakespeare eine Mythe. – Die rothen Eminenzen. – Literarische Wochenschau. – Bildende Kunst. – Theater. – Kleine Notizen.


Verantwortl. Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gefähr
Empfohlene Zitierweise:
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