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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

fünften Capitel ihres zweiten Bandes und dachte: „Es ist doch seltsam, daß man so wenige Tragödien und herzbrechende Geschichten in nächster Nähe erlebt. Wie geht Alles so alltäglich her, heut’ zu Tage! Konnte nun zum Beispiel meine Schülerin sich nicht ein klein Wenig – in allen Ehren natürlich – aber doch mit einigen Kämpfen und Thränen, für den jungen Maler interessirt haben? Welch’ pikante Würze des ewigen Einerlei hätte solche Episode gegeben und welch’ Studium für mich! Die Romantik ist ausgestorben, das ist mein nie verhallender Seufzer. Aber freilich, ein Maler, der aussieht wie ein Assessor, ein Maler ohne lange Locken und mittelalterliches Barett?! Melanie hatte Recht!“

Nach einiger Zeit lief ein langer Brief von Alphons ein, an seinen Schwiegervater, für Melanie lag kein Blättchen bei. Der alte Herr gerieth nach Lesung des Schreibens in die lebhafteste Unruhe, die er auf das Aengstlichste zu verbergen sich mühte. Er ließ sofort die Erzieherin seiner Tochter zu sich bitten und berieth mit ihr, wie der Inhalt des Briefes auf die schonendste Weise dem jungen Mädchen beizubringen sei. Es handelte sich nämlich um nichts Geringeres, als um eine Forderung von Alphons Dacier für Gaston Dumont, und der Maler hatte das Duell zurückgewiesen bis – nach dem Tode seiner Mutter, die schwer erkrankt daniederlag. Alphons nannte ihn nun höhnend einen Feigling und verlangte von seinem Schwiegervater, daß für alle Zeiten der Name Gaston Dumont in seinem Hause ein vergessener sei und bleibe.

„Weshalb die Beiden so hart aneinander gerathen, sei ein Familiengeheimniß, schreibt Alphons, er spricht sich darüber etwas mystisch aus,“ fügte der alte Herr hinzu. „In jedem Falle bleibt das Zurückziehen Gaston’s eine unedle That. Ich hätte dergleichen nimmer von ihm erwartet.“

„Aber seine Mutter hat doch Nichts, als eben ihn,“ wandte die Köhler ein, „es hieße ja die Mutter tödten, wenn er das Duell annähme!“

„Ach was, das sind Weiberbegriffe! Es giebt gewisse Gesetze der Ehre, die der Mann in keinem Falle umgehen darf. Und man stirbt ja nicht gleich in jedem Duell. Weshalb sollten auch die Beiden so blutdürstig auf einander sein, dazu ist gar kein Grund denkbar. Sie konnten sich von jeher nicht leiden – das war Alles. Mit ein paar tüchtigen Schrammen wäre Alles abgethan gewesen! Bringen Sie nun die Sache dem Kinde bei, so daß Melanie sich um Keinen der Beiden zu sehr betrübt; ich kann nun einmal durchaus keine traurigen Geschichten mit ihr besprechen!“

Die Köhler war in der größten Erregung. Mit zitternden Knieen eilte sie zu ihrer Schülerin in den Garten hinab. Endlich, endlich ein wirkliches Ereigniß, ein erfrischender Hauch von Romantik in der Wüste des Alltagslebens, eine wirkliche Duellabsicht! Schade nur, daß die beiden Männer nicht hier, auf bekanntem Terrain aneinander geriethen, daß man hätte vermitteln, trösten, beruhigen und vielleicht gar verbinden können! Es war hier noch nie das kleinste Unglück geschehen, kaum einmal ein Schnitt in den Finger! Schade freilich noch mehr, daß in der Duellgeschichte Alles aus war, ehe sie noch begonnen! Das Fräulein sah deshalb auch gar keinen Grund ein, mit dem jungen Mädchen so besonders vorsichtig umzugehen. Es schadete diesem allerliebsten, gesunden, prosaischen Geschöpfchen durchaus nichts, einmal der Möglichkeit eines romantischen Unglücks in die Augen zu schauen. Ohne Einleitung wollte sie mit ihr reden, Melanie war nie schreckhaft gewesen. Sie trat in die Veranda, wo sie ihre Schülerin am andern Ende vor ihrem kleinen Zeichentische bemerkte. Das Mädchen saß in einem leichten blaßrothen Kleide, dessen Falten die reizende Gestalt lose umflossen, gedankenvoll da, spielte mit dem Stift und schaute in die grüne Nacht des Parks hinein. Die Profillinie ihres Gesichts war der Beschauerin zugekehrt. Es lag eine solche Anmuth und Frische auf diesem lebenden Bilde, daß das Fräulein einen Augenblick in Bewunderung versank. Das schöne Haar war herabgeglitten, eine der schweren Flechten berührte die Schultern.

„Sie ist ganz wie gemacht, Etwas zu erleben,“ murmelte die Erzieherin, „und heirathet ohne Widerstand und ohne Liebe eine Art von Vetter mit so und so viel tausend Franken Einkünften! Kann man sich etwas Prosaischeres erdenken?“

Nach dieser kleinen Betrachtung trat sie näher, legte ihre Hand Melanie auf die Schulter und sagte in aufgeregtem Ton: „Eine wunderbare Nachricht aus Paris, Melanie – ein Duell – Alphons –“

Sie wurde unterbrochen durch einen Aufschrei des Mädchens. Mit starren Augen schaute Melanie einen Moment in das Gesicht der erschreckten Gouvernante; dann überzog eine Todtenblässe ihr Gesicht und sie sank, zum ersten Mal in ihrem Leben, ohnmächtig zusammen.

„Großer Gott, wie Du mich entsetzt hast, Kind!“ sagte die Köhler eine Stunde später, als sie neben ihrer mattlächelnden Schülerin im Sopha des Gartensalons saß. „Konntest Du nicht warten, bis ich Dir Alles erzählt? Würde ich so zu Dir gesprochen haben, wenn Alphons verwundet gewesen wäre? kleine Voreilige! Nun weißt Du Alles und siehst, daß Alphons gesund und munter, und von Gaston sprechen wir nicht mehr! Laß nur dem Vater nichts von Deiner Ohnmacht merken. Im Grunde bin ich doch stolz, daß meine Schülerin – eine wirkliche, ordentliche Ohnmacht gehabt hat. Es ist dies ein Zeichen, daß –“

„Liebe Köhler, ich möchte gern eine Stunde allein in meinem Zimmer ausruhen,“ bat Melanie, „aber ich fürchte, daß ich noch nicht ohne Unterstützung dorthin gehen kann!“

„Komm, ich führe Dich, mein theures Kind. Sei nur ruhig, in wenigen Wochen ist Alphons bei Dir, um sich nie wieder von Dir zu trennen.“ –

Melanie blieb allein, allein mit ihren marternden Gedanken, mit tausend Fragen und der brennenden Sehnsucht nach jenem Einen, dessen sie nicht mehr gedenken sollte, denn Alphons hatte ihn einen Feigling genannt.

Als Melanie einige Stunden später den Brief von Alphons gelesen, schloß sie sich ein und schrieb an ihren Verlobten. Was sie ihm sagte, erfuhren weder Vater noch Erzieherin, aber es mochten wohl aufregende Dinge gewesen sein, von denen sie zu ihm geredet, denn die Wangen des Mädchens glühten wie im Fieber und die Augen zeigten Spuren von Thränen.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und nun entspann sich ein so lebhafter Briefwechsel zwischen beiden Verlobten, daß selbst der alte Herr bedenklich den Kopf dazu schüttelte und eines Tages bemerkte: „Kind, Du treibst es zu arg, Du hältst den Jungen von seinen Geschäften ab; er hat vor der Hochzeit und Eurer Brautreise noch Manches abzuwickeln, das vergiß nicht. Frauen kennen nun einmal keine Rücksicht für die nothwendige geschäftliche Thätigkeit der Männer! In drei Wochen siehst Du ihn ja!“

„Es wird von seinem nächsten Briefe abhängen, ob ich ihn sehe, um ihn zu heirathen, oder ob ich ihn nie wieder sehe, Vater,“ sagte das junge Mädchen fest.

Der alte Herr ließ vor Schreck seinen Pinsel fallen. „Du träumst wohl, Melanie, oder Du hast Fieber; um Gotteswillen, Kind, was fällt Dir denn ein?“

„Laß das jetzt, lieber Papa, ich gebe Dir mein Wort, Du sollst Alles später erfahren, und ich bin auch nicht unvernünftig oder schlecht, sei nur noch eine kleine Weile geduldig!“

Ihre thränenvollen Augen, die sich jetzt zu dem Vater erhoben, verfehlten ihre Wirkung nicht.

„Sei nur um Gotteswillen nicht traurig, mein Herzenskind, Du weißt, das ist mir unerträglich! Folge Deinem Herzen, ich werde Dich nie zwingen, unglücklich zu werden; aber denke nicht an Dich allein, denke auch an das Versprechen, das Du Deiner todten Mutter gegeben. Das sind gar ernste Dinge, mein Kind, woran ein Begrabener mahnt!“

Es kam kein Brief von Alphons, wohl aber kam er selber. Stand doch eine reiche, reizende Braut einer „albernen Kinderei“ wegen auf dem Spiele. Wer hätte aber gedacht, daß in diesem Kinderkopf so viel Festigkeit stecken würde! Die Auslieferung der Locke in ihre kleine Hand – oder die Verweigerung dieser Hand, das war es, worunter Alphons wählen sollte. Nach allerlei verschiedenen Ausflüchten, Winkelzügen, nach Ausbrüchen von Zorn und Unmuth, nach den heftigsten Schmähungen gegen den feigen und zugleich dreisten Menschen, der sich in das Haus und vielleicht auch Herz der Braut geschlichen, gab er endlich nach. Er erschien selber und gelobte, die Locke auszuliefern unter der Bedingung, daß der Hochzeitstag in einem Monat und mit allem Glanz gefeiert werde. Melanie, bleich, sagte es wie im Traume zu und empfing jenes kleine schwarze Portefeuille, das einst ihre

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_659.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)