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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Das unterseeische Kabel im Bunde mit der unterseeischen Schifffahrt.
Nach schriftlichen Mittheilungen Wilhelm Bauer’s.

Das Kabel ist verloren!“ Als in der zweiten Woche des August diese Nachricht durch Europa blitzte, war es wohl der Ausspruch eines Einzelnen, aber der Gedanke vieler Tausende: „Der Untergang einer Silberflotte wäre ein Scherz gegen diesen Verlust!“

Nicht die materiellen Vortheile allein sind es, die dem transatlantischen Kabel so unschätzbaren Werth verleihen; wie fühlbaren Einfluß in unsern Tagen die großen Schicksale von Handel und Verkehr auch auf die Existenz jedes Einzelnen im Volke üben, so würde dennoch der niederschlagende Eindruck des abermaligen Mißlingens des größten Unternehmens der Gegenwart sich nicht weiter, als bis auf die Handelswelt der Küsten und die großen Fabrikherren des Festlandes, überhaupt auf die am Verkehr mit Amerika zunächst Betheiligten erstreckt haben. Wie ganz anders war aber diese Theilnahme! Im kleinsten Städtchen des Binnenlandes, ja auf dem höchsten Gebirgsdorfe, soweit nur denkende Menschen den Lauf der Welt beachten, verfolgte man mit Tag um Tag steigendem Interesse die Riesenarbeit des Riesenschiffs, die Kabellegung des Great-Eastern. Und als die Nachrichten stockten, als sie ganz aufhörten und endlich die Kunde erscholl: „Das Kabel ist verloren!“ – so ward sie wie eine Trauerbotschaft von der ganzen gebildeten Welt empfangen. Solche Theilnahme wird nimmermehr dem Verlust blos materieller Vortheile gezollt; sie gehört dem geistigen Band an, das die Völker, die nach Humanität und Freiheit streben, auf das Engste umschlingen, das eine Gemeinschaft ihres Fühlens und Denkens und Strebens herbeiführen, das den Sieg der Wahrheit und des Rechts, die für alle Nationen die gleichen sind, endlich erringen helfen soll und erringen wird.

Wenn unsere Leser sich mit uns auf diesen Standpunkt der Betrachtung der unterseeischen Telegraphie stellen, so sind sie auch mit uns einverstanden, daß zur Erreichung eines solchen Endzwecks weder materielle Opfer, noch die Wagnisse des Menschen gespart werden dürfen, und dann werden sie auch nicht vor der Kühnheit des Planes zurückschrecken, welchen Wilhelm Bauer, der deutsche Submarine-Ingenieur, für die Regung, Bewachung und großartigste Ausbeutung eines europäisch-amerikanischen Kabels entworfen hat.

Wir würden Anstand nehmen, eine neue Idee des erfindungsreichen Mannes vor unser Publicum zu bringen, nachdem derselbe seit fast zwei Jahren vergeblich nach der Möglichkeit ringt, in und für Deutschland die unterseeische Schifffahrt in’s Leben zu rufen, denn weder die Industrie noch der Staat, weder die Speculation noch der Patriotismus haben ihm die helfende Hand geboten, und schon wird das alles große Neue so gern benagende Mißtrauen rege, das so spottwohlfeil die Schuld auf den rastlosen Ringer statt auf Diejenigen wirft, welche, mit den reichsten Mitteln gesegnet, den seltenen Geist verkümmern lassen; wir würden Anstand nehmen, den Lesern der Gartenlaube abermals einen Artikel über eine Erfindung Wilhelm Bauer’s vorzulegen, wenn wir uns nicht durch eine äußere Veranlassung dazu aufgemuntert und wegen der Wichtigkeit der Sache dazu verpflichtet fühlten.

Das Kabel ist verloren! Von den sechshundert deutschen Meilen seiner Länge liegen über zwei Fünftel im Meere; mit dem Rest kehrte der Great-Eastern nach England zurück. Aber aufgegeben ist das Unternehmen nicht; abermals fließen Tausende von Pfunden zusammen, um „das große Ostschiff“ für das nächste Jahr zur neuen Kabel-Fahrt auszurüsten. Da nun sich die ungewöhnliche Erscheinung zeigt, daß das zweimalige Mißlingen eines so außerordentlich kostspieligen Unternehmens dasselbe nicht vor Concurrenz sichert, indem nicht nur eine französische Compagnie sich bildete, welche den Draht von Paris über Lissabon zum Cap Vincent zu Lande und von da über die canarischen Inseln auf das Festland von Marocco und bis zum Cap Vert (grünen Vorgebirg) leiten und von hier unterseeisch das Cap Roque (Rochus) an der brasilianischen Küste gewinnen will, von wo dann über Cayenne und New-Orleans die Verbindung mit Nordamerika hergestellt werden soll; – sondern auch eine zweite englische Gesellschaft, die sich „Allan’s Ocean-Telegraph-Company“ nennt, ein neues, von dem Ingenieur Allan hergestelltes Kabel von Falmouth (in Cornwall) aus über Oporto nach Halifax zu legen beabsichtigt: – so muß die alte erste Gesellschaft jetzt Alles aufbieten, um nicht durch ein drittes Mißlingen die Opfer ihrer Actionäre in’s Unerträgliche zu steigern. Ihre Direction forderte deshalb die Fachmänner zur Einsendung ihrer Verbesserungsvorschläge für Construction und Legung des Kabels auf, und dieser Aufruf ist’s, der uns zur Veröffentlichung des Bauer’schen Kabellegungsplans veranlaßt hat.[1]

Wer verbessern will, muß vor Allem die Ursachen des Mißlingens kennen. Darüber sind nun die Meinungen sehr getheilt. Das Geheimnißvolle der Meerestiefe, die Geheimnißkrämerei, mit welcher die Compagnie selbst zu Werke ging, indem sie jede Vertretung der Presse, der englischen wie der amerikanischen, vom Great-Eastern zurückwies, und die Sucht des Menschen, das in der That Ungeheuere des Unternehmens auch mit Ungeheuerlichem zu umgeben, dies Alles verführte zu den verschiedenartigsten Vermuthungen und Schlüssen. Bald wollte man schon in den ersten Unfällen Kabelattentate erkannt und sollte nun ein Kabelmord dem englischen Werk den Todesstoß gegeben haben, angeblich zu Gunsten des russischen Telegraphenzugs, der durch Sibirien und von Kamtschatka über die Aleuten nach Nordamerika gehen soll; bald erklärten Männer der Wissenschaft (wie z. B. der bekannte und verdiente Chemiker Dr. Mohr) die Haltbarkeit des Kabels auf dem tiefsten Grunde des Meers überhaupt für eine Unmöglichkeit, weil das Seewasser bei einem Wasserdrucke von circa vierhundert Atmosphären (also circa 64 Centner Druck auf einen Quadratzoll bei ungefähr 12,000 Fuß Tiefe) in die „Poren“ der den Leitungsdraht umhüllenden Gutta-Percha eindringe und die Isolation desselben aufhebe, d. h. den elektrischen Strahl in das Wasser ableite; noch Andere behaupteten sogar, das Wasser werde in so bedeutenden Tiefen durch seine eigene Schwere so heftig comprimirt, daß es das Kabel nicht mehr sinken lasse, so daß es demnach in einem fürchterlichen Durcheinander von allerlei in dieser Höhe schwimmenden todten Masten und lebenden Thieren treibe und vernichtet werde. Allen diesen Behauptungen stellte endlich Dr. Werner Siemens in Berlin, der auf dem Felde der Telegraphie längst als Autorität anerkannt ist, die einfache Erklärung entgegen, daß das Mißlingen des transatlantischen Kabels rein mechanische Ursachen habe, die in der unzweckmäßigen Construction des Kabels begründet seien. „Bekanntlich,“ sagt er, „ist der mit Gutta-Percha bekleidete Leiter mit einer Spirale von Eisendrähten umgeben, von denen jeder mit Hanf umsponnen ist. Die Drähte müssen zusammengeschweißt werden, da sie continuirlich fortlaufen müssen. Solche Schweißstellen brechen bekanntlich leicht, und es ist sehr erklärlich, daß von den nach Hunderttausenden zählenden Schweißstellen vielleicht mehrere Hunderte beim Passiren der Rollen des Abwickelungs-Apparates brachen und daß drei von diesen Bruch Enden gerade so unglücklich gebrochen waren, daß sie bei dem großen Zuge, dem das Kabel beim Verlassen der letzten Rolle ausgesetzt ist, durch die mit Hanf gefüllten Zwischenräume zwischen den Eisendrähten hindurch und in die Gutta-Percha hineingedrückt wurden. Alles spricht dafür, daß diese Ursache die plötzliche Aufhebung der Isolation herbeigeführt hat … Beim nächsten Versuche, ein transatlantisches Kabel herzustellen, wird man gewiß auch diese Schwierigkeit überwinden, da es nicht an Mitteln dazu fehlt. Dadurch wird das Unternehmen selbst freilich noch immer nicht gesichert sein. Die Legung eines langen Tiefsee-Kabels wird stets mit großen Gefahren für das Gelingen verbunden bleiben, und selbst wenn sie vollständig gelungen ist, können unbekannte Bodenverhältnisse des Meeres, wie z. B. unterseeische Bergketten und Meeresströmungen, das Kabel kurze Zeit nach der Legung wieder vernichten!“ –

  1. Da der Gedanke, das Kabel in ähnlicher Weise, wie Wilhelm Bauer vorschlägt, über den Ocean zu führen, neuerdings auch in Frankreich angeregt, ja als im Haupte des Kaisers Napoleon III. selbst entsprungen verkündet wurde, so bemerken wir, um Bauer’s Proritätsrecht zu wahren, hiermit, daß sein Kabellegungsproject mit den dazu gehörigen, die Ausführung desselben allein ermöglichenden Erfindungen schon im Jahre 1860 in England patentirt ist.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_667.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2022)