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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

ein Lächeln zu entlocken. Es währte aber doch lange, ehe er es wagte, eine Kiste in ihr Zimmer tragen zu lassen, die unter dem Poststempel Paris, mit einem Begleitschreiben von unbekannter Hand, im Auftrage des Malers Gaston Dumont, eine Woche nach dem Tode desselben angekommen war. Fast bereuete er es jetzt noch, denn die tiefe Erschütterung seines Kindes ängstigte ihn namenlos. Aber Melanie faßte sich wieder und bat, das Vermächtniß des Todten ihr nicht länger vorzuenthalten.

Man öffnete die Kiste. Sie enthielt das von Jacob Hauer’s Hand gemalte Portrait der Charlotte Corday, dessen Anblick der unglücklichen Laura so oft das Herz zerrissen. Aber auch ein Profilkopf Gaston’s, eine wunderbar schöne Zeichnung, war beigefügt. Ein kleiner Zettel, der daran befestigt war, enthielt nur die Worte, die Melanie einst selbst für den Geliebten niedergeschrieben: „Vergiß mich nicht, wie ich Dich nicht vergessen werde, so lange ich athme.“ Diese letzten Worte waren verwandelt: „in alle Ewigkeit!“ hatte Gaston geschrieben.

Seine Malergeräthschaften hatte er ebenfalls beigepackt und im Fall seines Todes seinem gütigen Freunde Herrn M. vermacht. Und ganz unten auf dem Boden der Kiste, in einem besonderen Kästchen, fand man den Portraitkopf Melanie’s, mit einem Glanz und einer Grazie, mit einer Wärme und Schönheit gemalt, die wahrhaft hinreißend wirkten. Es war ein Tizian’sches Colorit, Tizianische Goldlichter und Schatten. Daneben stand: „in doloribus pinxit“ (er hat es in Schmerzen gemalt).




Mit all’ diesen Schätzen hat sich Melanie später jenes Erkerstübchen des linken Flügels ausgestattet, das sie vorzugsweise liebte und ausschließlich bewohnte. Die Fenster dieses Gemachs gingen auf die Terrasse und auf den Park. Dort war ihr liebster Aufenthalt, dort zog sie ihre Blumen, dort träumte, las und zeichnete und – weinte sie, und keine fremde Hand durfte hier schalten und walten. Unter diesen Reliquien wartete sie geduldig auf ihre Vereinigung mit dem Geliebten. Sie führte kein thatenloses Leben der Trauer, sie blieb ihrem Vater eine zärtliche, sorgende Tochter, war geduldig und freundlich den immer deutlicher hervortretenden romantischen Neigungen ihrer alten Pflegerin gegenüber und wurde von allen Armen der Gegend gekannt und geliebt, so daß man sie später die heilige Elisabeth nannte.

„Laß mich nicht allein, das ist Alles was ich von Dir erflehe!“ hatte ihr der Vater in jener ersten Trauerzeit immer und immer wieder gesagt, und sie hatte ihre feinen Finger in seine Hand gelegt und lieblich gelobt: „Ich gehe nicht vor Dir zu ihm!“

Und sie hielt Wort. Der alte Herr lebte noch manches Jahr in rüstiger Gesundheit und unermüdlicher Thätigkeit in seinem Atelier. Seit er mit der Palette Gaston’s malte, behauptete er den Fleischton der großen Meister gefunden zu haben; zum Schrecken der Köhler malte er nur noch unbekleidete Figuren. Er schonte aber ihr jungfräuliches Gefühl, indem er sie nie einlud, seine Schöpfungen zu bewundern, noch weniger sie bat, ihm ihre Arme, ihren Nacken oder ihre Schultern als Modell zu leihen, was sie heimlich immer fürchtete.

Seit jenem ersten Roman sind noch zehn andere geboren worden, abgesehen von leichtfüßigen Novellen und flatternden Gedichtschmetterlingen, in denen es mehr oder weniger grausam hergeht. Sie hatte sich aber entschlossen, ihre Gesammtwerke erst zwölf Jahre nach ihrem Tode herauszugeben und einem namhaften Buchhändler Leipzigs zu vermachen, mit der Bestimmung, den Ertrag zur Erbauung eines stattlichen Hauses für unbemittelte Schriftstellerinnen zu verwenden, die von den Sorgen des Lebens unberührt zu arbeiten wünschten.

Ob jener Buchhändler, für den die sechs Kisten noch im alten grauen Schlosse stehen, sich freuen wird über dies Vermächtniß? Ich kenne seine Adresse.

Leider sind erst zehn Jahre seit dem Tode der Ludmilla Köhler verflossen, sie überlebte alle Bewohner im grauen Schlosse. Den alten Herrn fand man eines Mittags todt vor seiner Staffelei, und ein Jahr später schlief, in ihrem geliebten Erkerstübchen, die noch immer schöne Melanie für immer ein. Ihr von Gaston gemaltes Portrait hängt in demselben Zimmer mit dem Bilde der Charlotte Corday, es ist ein so frischer bedeutungsvoller Mädchenkopf, daß man die Augen nicht von ihm abwenden kann. Das Fräulein hatte doch Recht: sie sieht aus, als müsse sie Etwas erleben. – Hat sie nicht genug erlebt?



Blätter und Blüthen.


Erklärung. Gestatten Sie mir, gegen den Artikel in Nr. 21 der Gartenlaube von 1865 Einspruch zu thun. Meine Persönlichkeit wie meine Wirksamkeit sind darin in solcher Weise überschätzt und mit so wenig passenden Bezeichnungen belegt, daß ich im Bewußtsein, wie wenig ich in Wirklichkeit eine solche Charakteristik verdiene, keineswegs angenehm davon berührt werden konnte.

Erlauben Sie mir die nothwendigsten Zurechtstellungen. Der seit längerer Zeit in der russischen Presse zu Tage tretende Haß gegen die Deutschen rührt durchaus nicht von einer altrussisch aristokratischen Partei her, er stammt aus ganz andern Quellen und Ursachen, die hier auseinanderzusetzen viel zu weit führen würde. Meine schriftsstellerische Thätigkeit bei der St. Petersburger Zeitung beschränkte sich in den letzten Jahren auf politische Leitartikel und das Feuilleton. Die Polemik mit den russischen Zeitungen führte mein treuer College und Mitarbeiter, Herr Friedrich von Stein; und wenn ich, wie sich von selbst versteht, die ganze Verantwortlichkeit seiner Artikel übernahm, so kann ich unmöglich das Verdienst derselben, besonders in Bezug auf das erwachte Selbstbewußtsein der hiesigen Deutschen, mir zuschreiben lassen. Zum Schweigen hat die St. Petersburger Zeitung hier Niemanden gebracht, das würde Ihnen am deutlichsten die Fülle der heftigen Angriffe beweisen, welche die Deutschen, die St. Petersburger Zeitung und meine Person fast täglich in den russischen Zeitungen zu erdulden haben.

Was die Schillerfeier betrifft, so ging zwar die erste Anregung von mir aus, doch habe ich sonst um dieselbe kein größeres Verdienst als jedes Mitglied des damals in allgemeiner Versammlung gewählten Comités.

In Hochachtung und Ergebenheit

St. Petersburg, den 13. Juli 1865. Dr. C. F. Meyer.


Der Verfasser des Artikels: „Ein deutscher Mann in Rußland“, dem obige Erklärung vorher von der Redaction zugeschickt ward, fügt hinzu, daß die Thatsachen zu diesem Artikel auf Mittheilungen von Mitarbeitern des Herrn Dr. Meyer und eigenen Erfahrungen aus einer mehr als zehnjährigen literarischen Verbindung mit der St. Petersburger Zeitung beruhen. Ich habe seit einer Reihe von Jahren mich und Andere über die oft entmuthigende Trostlosigkeit unserer engeren Vaterlands-Verhältnisse durch Hervorhebung der Verdienste Deutscher in aller Herren Ländern rund um die Erde herum zu trösten gesucht, und die kosmopolitische Mission und Thätigkeit Deutscher unter fast allen Längen- und Breitengraden ist eine erhebende und immer tröstlicher werdende Thatsache. Auch der kleine Artikel in der Gartenlaube über die Wirksamkeit des Dr. Meyer entsprang aus diesem Motive, nur daß darin die Verdienste eines Einzelnen neben wirklich und besonders vermeintlich größeren deutschen Männern in Rußland zu einseitig hervorgehoben wurden.

Einen anderen Fehler, als den dieser Einseitigkeit, erkenne ich nicht an. Daß Herr F. von Stein seit vier Jahren hauptsächlich die kräftigen Artikel zur Vertheidigung deutscher Cultur gegen russische Verleumdung schrieb und schreibt, war mir unbekannt. Wenigstens sind irrthümliche Nebensachen, wie das Privilegium Deutscher auf Weißbrodbäckerei, wovon ich in einem altem Buche über Petersburg gelesen, eben nur Nebensache. (Es hat doch wohl ein solches Privilegium existirt?)

Es haben sich aber, wie mir aus Petersburg geschrieben ward, Russen und Deutsche in Bosheit und verletzter Eitelkeit nicht damit begnügt, solchen Nebendingen große Köpfe zu machen, sondern auch allerhand Verleumdungen und Lügen daran zu kleben. Als ein derartiger Artikel zeichnet sich eine Correspondenz aus Petersburg in der Augsburger Allgemeinen Zeitung Nr. 192 aus. Für diese „schrieb“ Dr. Minzloff, der einst sich mit Dr. Meyer um die Petersburger Zeitung bewarb und über dessen wissenschaftliche Heldenthaten seine Collegen an der Bibliothek eine „öffentliche Erklärung“ unterzeichnet und publicirt haben. Das Actenstück ist noch vorhanden und liegt mir gedruckt vor, sowie eine andere Thatsache dazu dienen würde, diesen Herrn zu charakterisiren.

Diese Correspondenz in der A. A. Ztg. spricht die Vermuthung aus, daß Dr. Meyer den Artikel in der Gartenlaube selbst geschrieben habe und daß der wackere Deutsche und christliche Westphale ein Jude sei. Damit glaubte der Correspondent, der hoffentlich nicht Dr. Minzloff heißt, gewiß keinen ehemaligen glücklichen Mitbewerber in den Grund gebohrt zu haben.

Allerdings ist Meyer wirklich kein Jude, und wenn er auch einer wäre, würde er zu den vielen gehören, die wir Deutsche als Deutsche ehren. Dem starken Deutschfresser, der bei allen russischen Redactionen herumlief, Uebersetzung und höhnische Exegese des Artikels in der Gartenlaube besorgte, können wohl zwei Redacteurs nur dankbar sein. Ich bin es auch.

Dr. H. Beta.

Aus Reuter’s Festungszeit. Das Beiblatt der Gartenlaube, die „Deutschen Blätter“, bringt in der neuesten Nummer (42) einen Auszug aus einem demnächst in Berlin erscheinenden sehr interessanten Buche „Fritz Reuter und seine Dichtungen“ von Otto Glagau, auf das wir hiermit die allgemeine Aufmerksamkeit lenken wollen. Dies Buch hat sich die dankenswerthe Aufgabe gestellt, Fritz Reuter auch hochdeutschen Lesern, die des Plattdeutschen nicht mächtig sind, zugänglich zu machen und sie damit in einen Dichter und Humoristen einzuführen, welchen jeder Deutsche kennen lernen sollte. Der von den „Deutschen Blättern“ mitgetheilte Abschnitt aber verdient auch um seines Gegenstandes willen noch besondere Beachtung; er schildert in ergreifender Weise ein Stück jener schmachvollen Verfolgungen, unter denen in der Periode der großen Demagogenriecherei und Demagogenhatze ein gut Theil der edelsten Blüthe deutscher Jugend zu leiden hatte und erliegen mußte.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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