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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

strahlte ihre unvergleichliche Schönheit ihm entgegen, sein Haupt sank an ihre Brust. Wie im Traume empfand er noch das Wehen ihres Athems, eine entzückende Ruhe kam über ihn, ein Gefühl, als läge er gerettet in den Armen seiner Mutter.




Wenige Augenblicke später durchdrang ein greller Lichtschein die Säle, laute Schritte kamen hastig näher und näher, Lord Francis, von zwei Dienern gefolgt, suchte in unbeschreiblicher Aufregung den Bruder. Melusine hatte ihm gestanden, wohin sie ihn gesandt.

Mit einem Schrei stürzte er auf den Zusammengesunkenen zu. Eine tiefe Ohnmacht hatte Guy umfangen, er lag am Boden ausgestreckt neben dem Ruhebett der Madame St. Amaranthe. Die champagnerfeuchte Rose lag auf der Brust der wunderschönen Frau, sie hob und senkte sich leise unter ihrem Athem.

Die Diener nahmen den Bewußtlosen in ihre Arme, um ihn hinwegzutragen. Lord Francis löschte die Kerzen und folgte. Seufzte es nicht tief auf hinter ihm? Rauschte es nicht wie seidene Gewänder? Er wagte nicht, rückwärts zu schauen. Hatte sich die schöne Madame St. Amaranthe erhoben, um ihnen zu folgen? Während der Fahrt hielt Lord Francis mit einem Schmerzensgefühl ohne Gleichen den Regungslosen in seinen Armen und nannte ihn mit den zärtlichsten Namen. Vergebens, Guy verblieb in todtenähnlicher Erstarrung.




Als der Wagen an dem Hause der Brüder in das Thor einfuhr und vor dem Portal hielt, trat eine verschleierte Frau an den Wagenschlag, die hier gewartet zu haben schien.

„Wie ist’s mit ihm?“ fragte sie hastig.

„Seht Euer Werk,“ antwortete Francis verzweiflungsvoll, als der Schein der Lichter auf das bleiche Antlitz seines Lieblings fiel.

Man trug den jungen Mann in das nächste Zimmer, den Speisesaal; Melusine folgte. Wie der Todesbote selber, starr und mit düsterem Blick, stand sie zu Füßen des Divans, auf den man ihn gebettet. Ein Arzt war bald zur Stelle und seinen Bemühungen gelang es, den Regungslosen in’s Leben zurückzurufen. Guy schlug langsam die Augen auf. Mit irren Blicken schaute er suchend umher. „Amaranthe, wo bist Du?“ rief er mit herzzerschneidendem Klageton. „Ich will zu Dir! Laßt mich fort, ihr Larven! Ihr seid doch Alle todt, sie allein lebt!“

Und mit ungewöhnlicher Kraft aufspringend, versuchte er zu entfliehen. Francis hielt ihn fest. Melusine neigte sich zitternd zu ihm nieder. „Guy, komm zu Dir!“ flüsterte sie in sein Ohr, „ich sterbe vor Angst und Reue. Hier bin ich, Dein auf ewig, ich will Dich lieben! Kennst Du Melusine nicht mehr?!“

„Du bist nicht Amaranthe,“ sagte er schmerzlich nach einem langen Blick in ihr thränenüberströmtes Gesicht. „Melusine ist todt, wie alle Frauen. Amaranthe lebt und athmet, meine Hand hat auf ihrem Herzen geruht. Sie hat ein Herz, sie allein von allen Frauen der Welt!“

Mit einem Jammerruf wandte sich Melusine ab. Der Arzt befahl Ruhe für seinen Patienten. „Hoffen wir, daß nur eine vorübergehende Störung eintrat,“ sagte er, „ich allein werde heut’ Nacht bei dem Kranken wachen!“




Warum Alles schildern, was nun folgte? Thatsache war und blieb der Wahnsinn Guy’s. Keinen Augenblick kehrte das Bewußtsein des Unglücklichen zurück. Aber sein Wahnsinn hatte eine milde, fast schöne Gestalt angenommen. Die Besucher der Madame Tussaud in der letzten Hälfte der vierziger Jahre werden sich ohne Zweifel eines auffallend schönen Mannes erinnern, der in Begleitung eines alten Dieners zur bestimmten Stunde, wenn das Museum geöffnet wurde, vor der Eingangsthür erschien, leichten, schnellen Schrittes durch die Säle eilte, um in dem letzten der Räume vor der schlummernden Madame St. Amaranthe Platz zu nehmen. Hier saß er in ihren Anblick vertieft stundenlang unbeweglich, bis ihn der Diener leise an der Schulter berührte, wenn der Schließer mit dem Schlüsselbund über die Schwelle der Schreckenskammer trat. Die bewundernde Menge, die sich so oft vor der herrlichen Gestalt versammelte, um sie athmen zu sehen, das einzige Kunstwerk dieser Art in den Sälen der Madame Tussaud, störte ihn nicht, er sah und hörte Niemand. Tag für Tag hielt sein kleines, elegantes Coupé in Bakerstreet, weder Regen noch Sturm verhinderte sein Erscheinen. Sein trauernder Bruder und seine Schwägerin ließen ihn gewähren, seit er einmal, als man versucht hatte, ihn gewaltsam zurückzuhalten, in Raserei gefallen war.

In der Zeit, die er daheim verlebte, beschäftigte er sich damit das Ideal seines irren Geistes in den verschiedensten Haltungen zu zeichnen. Jahrelang wurde dieser seltsame Besucher des Museums von den Fremden mit Interesse betrachtet. Allmählich ging er langsamer. Sein Schritt wurde müde und schwer und eines Morgens blieb der regelmäßige Gast zur größten Verwunderung des Thürstehers aus. Er war in der Nacht gestorben.




Und Prinzessin Champagner? Sie kehrte nach Paris zurück und bezauberte nach wie vor die Männerwelt und brachte sie durch ihre unberechenbaren Capricen in Verzweiflung. Außer dem Theater erschien sie nur in tiefer Trauer und in ihrem reizenden Schlafzimmer stand, ihrem Lager gegenüber, ein offener Sarg, der einstigen Bewohnerin wartend. Bei den Festen ihrer Freunde und Bewunderer war und blieb sie die unvergleichliche Königin, aber sie konnte mitten in der übermüthigsten Lust in Thränen ausbrechen und sich in die Einsamkeit zurückziehen. Jetzt ist Prinzessin Champagner längst verflogen und vergessen und lebt nur noch in der Erinnerung einiger alter Theaterbesucher der Variétés. Sie starb am Allerseelentage, drei Jahre nach jenem Abend bei Cyrilla.

Elise Polko.




„Der Freiheit eine Gasse!“

„Willkommen in der Schweiz!“ rief Freund B. uns auf dem Perron des Luzerner Bahnhofs entgegen. „Ihr kommt zur guten Stunde, die Eidgenossenschaft im Festschmuck zu schauen. Morgen feiern wir in Stans den Helden, dem die Schweiz es verdankt, daß sie heutzutage nicht ein österreichisches Kronland ist mit irgend einem Erzherzog als Statthalter.“ Und so geschah es. Der nächste Morgen brachte uns auf kurzer, herrlicher, unvergeßlicher Fahrt nach Stansstad, von wo die schönste Nußbaumallee nach Stans führt.

Je näher wir Stans, dem Cantons-Hauptflecken, kommen, desto lauter rauschen uns die hochgehenden Wogen eines erregten Lebens entgegen. Wir wandeln zwischen Gruppen von Unterwaldner Landleuten, die im Sonntagsstaate zum Feste eilen. Gar kleidsam ist die Frauentracht. Solch ein Unterwaldner Mädchen mit dem silber- oder goldfunkelnden Mieder und den Ketten, die bis zur Hüfte reichen, dem banddurchflochtenen Haar und dem goldenen Pfeil in demselben, schmückt eine ganze Straße.

„Nicht blos schmuck, auch wacker und brav ist das Völklein,“ bemerkte B. „Es kennt die Geschichte seines Landes und ehrt seine großen Männer in sinniger Weise. Als die Marmorgruppe, die heute enthüllt wird, von Rom glücklich bis zum Alpnachersee gelangt war, befestigte das Volk Seile an den Wagen, der sie trug, und zog seinen Winkelried selbst auf dieser Straße hin bis nach Stans, und das vergißt Keiner, der die Hand mit an das Trumm eines Strickes brachte.“

„Von Rom, sagst Du?“

„Ja, dort ist das Meisterwerk von einem Schweizerkünstler, Herrn Schlöth aus Basel, entworfen und vollendet worden.“

Und auch Dich feiern sie mit, alter Sänger der Sempacher Schlacht? Am letzten Nußbaum und unweit der ersten Ehrenpforte hängt, gemalt vom Stanser Künstler Deschwander, das Bild Halbsuter’s von Luzern, dem u. A., in Beziehung auf die Wappen von Habsburg und von Nidwalden, die Worte in den Mund gelegt sind:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_692.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2022)