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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

bekannt sind. Diese sind kaum fort, so tritt ein Waffelmädchen ein; da sie täglich kommt, um ihre Waffeln zum Füttern für die Affen „des Scherzes wegen“ los zu werden, so ist sie sehr intim mit dem Personal. Auch höhergestellte „Künstler“ machen oft Vormittags ihre Besuche und manchmal sieht man sie in ganzen Gruppen dastehen und sich über ihre oder die Geschäfte ihrer Concurrenten unterhalten. Andere Menageriebesitzer sehen sich an, was der College gegenwärtig hat, suchen wohl auch einen Kauf abzuschließen. Ueberhaupt ist um diese Zeit der Eigenthümer am besten zugänglich und auch zur Unterhaltung mit Laien aufgelegt.

Die stillste Zeit ist begreiflicherweise Mittags. Publicus fehlt da ganz oder ist so vereinzelt, daß man ihm die Ehre einer Erklärung gar nicht anzuthun braucht. Das Personal kann, wenn auch verstohlen und vereinzelt, ein Schläfchen machen, nur darf „der Alte“ nicht dazu kommen. Auch die Thiere, welche ja zur Fütterungszeit aufgeregt sein müssen, bereiten sich zu dieser wichtigen Zeit durch fortgesetztes Ausruhen aus, wobei sie sich zur Abwechselung höchstens einmal anders legen. Das sind schöne Stunden für den studirenden Künstler. Er kann mit Muße seine Studien betreiben und ist noch unbelästigt von den oft höchst beharrlichen Zuschauern und ihren Fragen.

Je weiter der Mittag vorüber ist, desto mehr kommt nun Leben in die Bude und man kann von innen ziemlich zuverlässig auf das Treiben außerhalb schließen. Jetzt werden auch diejenigen Gäste häufiger, deren Vergnügen hauptsächlich in dem Necken der Thiere besteht und die an keinem Käfig vorübergehen können, ohne mit ihrem Spazierstock oder Regenschirm das Thier zu stoßen. Ich habe stets eine herzliche Freude gehabt, wenn in solchen Fällen von dem Thier der Stock zerbrochen, der Schirm zerrissen wurde. Auch jene sieht man jetzt, welche mit großer Selbstbefriedigung über die Macht ihres Blickes eine Bestie so lange anglotzen, bis dieselbe aus Langerweile wegsieht.

Je zahlreicher nun die Menge draußen wird, desto lauter brüllt der Recommandeur. Kann er nicht mehr und der Augenblick ist drängend, hat vielleicht ein Herr College nebenan zu viel Publicum vor seiner Bude versammelt, so werden dann Extraanstrengungen gemacht. Die Riesenschlange wird ihrem beschaulichen Dasein entrissen und aus dem Kasten geholt. In gefährlichster Weise schlingt ein Wärter sie sich um Leib und Hals und tritt so vor das Publicum, welches noch säumt hereinzukommen. Er schreit dazu, der „Alte“ schreit, und der wieder zu sich gekommene Recommandeur schreit, der kleine Elephant wird gleichfalls herausgeholt, ein Junge muß sich auf seinen Nacken setzen, vielleicht sind ein paar kleine Bären auch bereits vor der Bude angebunden; nun, wer da noch nicht hereingeht, an dem ist eben Alles verloren.

Solche Anstrengungen werden aber gewöhnlich nur Sonntags unternommen, wo Alles auf den Beinen ist, besonders auch das Publicum, welches sich nicht vorher den Besuch der Menagerie vornimmt, sondern hineingelockt sein will.

Wie es Nachmittags in der Menagerie zugeht, das wissen die Leser aus eigener Anschauung. Je nach der Größe und Berühmtheit einer Menagerie ist auch der Besuch in diesen Stunden mehr oder weniger zahlreich, und in der Zeit der etwaigen Vorstellungen und der Fütterung drängt er sich natürlich am meisten zusammen. Ohne Vorführung von Zahmheitsproductionen kann sich, wie ich glaube, eine Menagerie jetzt kaum noch halten. An manchen Tagen bestehen besondere Anreizungen in der Fütterung der Schlangen, die aber gewöhnlich nicht fressen, und ähnliche Extrafälle.

Auch andere außergewöhnliche Vorkommnisse unterbrechen oft den Gang des täglichen Gebens. Es sind z. B. vielleicht neue Thiere mit der Eisenbahn angekommen und werden nun der Menagerie einverleibt, wobei die Uebersiedlung aus dem oft sehr lose zusammengefügten Transportkäfig in den Wagenkäfig manchmal viel Zeit und Mühe verursacht. Oder es erkrankt ein Thier und der Thierarzt wird geholt, was aber natürlich gewöhnlich Nichts hilft. Den Raubthieren, wenn sie krank scheinen, aber noch Freßlust zeigen, giebt man meist in den Frühstunden, wo kein Publicum anwesend ist, ein lebendes Thier, Kaninchen etc., wie das auch in den zoologischen Gärten geschieht. Die Voraussetzung, daß das warm genossene Blut und Fleisch zuträglich sei, dürfte auch ganz richtig sein. Stirbt ein Thier, so ist das Nächste der Verkauf des Felles, der aber bei der öfteren Wiederkehr dieser Fälle oft schwierig ist. Hier hängt z. B. an einem senkrechten Balken ein am vorhergegangenen Abend verendeter Leopard. An den Hinterbeinen aufgehangen, ist ihm bereits die Haut, ausgenommen am Kopf, abgezogen und hängt noch am letzteren herunter, und während ich seine bloßgelegten Muskeln und das Gebiß seinen geöffneten Rachens zeichne, ist schon ein Ausstopfer im Handel mit dem Oberwärter begriffen. Gewöhnlich bietet man in solchen Fällen die Haut erst dem naturhistorischen Museum an, wenn sich am Ort ein solches befindet, allein die Häute der größten Raubthiere haben dabei in der Regel die wenigste Aussicht, weil sie am häufigsten angeboten werden.

Sind Reparaturen innerhalb eines Käfigs vorzunehmen, so müssen, wenn gelernte Handwerker dabei beschäftigt sind, die Thiere natürlich abgesperrt werben. Zuweilen geht aber auch einer der Wärter oder der Besitzer hinein, um die Ausbesserung selbst vorzunehmen, wobei ihm dann die Bestie gewöhnlich Gesellschaft leistet. Als der junge Kreutzberg, derselbe, welcher kürzlich von einem seiner Löwen angefallen worden ist, eines Morgens an der zum großen Centralkäfig führenden Thür des Löwenkäfigs etwas auszubessern hatte, spazierte der Löwe dabei gemüthlich ein und aus, untersuchte alle Ecken des großen Käfigs, sprang dabei auf das für die jungen Löwen am Gitter aufgehangene Sitzbret, fiel sammt dem zusammenbrechenden Bret herunter und setzte seine Untersuchungen fort, ohne daß das Herrn Kreutzberg gestört hätte.

Es würde zu weit führen, wollte ich derlei Intermezzos noch weiter schildern.

Wenn endlich der Abend angebrochen und insbesondere die letzte Vorstellung vorüber ist, so leert sich die Menagerie schnell, die Papageien, Affen etc. sind schon mit eintretender Abendkühle hereingenommen worden. Jetzt wird abermals massenhaftes Stroh gebracht, jeder Käfig erhält seine Portion, damit sein Bewohner weich und warm liegt. Gewöhnlich legen sich die Thiere sofort auf ihr Lager nieder, so sehr wissen sie es zu schätzen. Nunmehr werden die Käfige mit den Läden geschlossen, und nachdem der Elephant gleichfalls seine Streu erhalten, strecken sich auch die Wärter auf ihre hinter und unter den Wagen bereiteten Strohlager, neben sich die angekettete Dogge. Alles ruht, nur die Hyäne, jenes berüchtigte Scheusal der Grüfte, rennt unermüdlich in ihrem Behälter umher und entlockt dem noch nicht daran gewöhnten Wärter einen ingrimmigen Fluch; er beneidet jetzt seine Genossen, welche es vorgezogen, ein Trinklocal zu besuchen, um zu zechen.

So und ähnlich vergehen die Tage in einer Menagerie.

L.



Die letzte Todte aus Weimars großer Zeit.

Auf dem Friedhofe zu Jena steht, geschützt durch ein Geländer, zwischen zwei reichentwickelten Cypressen, ein marmornes Kreuz, auf dessen nach Osten gekehrter Seite in vergoldeter Schrift man die Worte liest:

Sie irrte, litt, liebte,
verschied
im Glauben an Christum,
die erbarmende Liebe.“

Wer ist das Frauenherz, drängt es die Neugier des Lesers, das, nachdem es geirrt, gelitten und geliebt und dann mit dem Troste des Glaubens geschieden war, gebrochen unter diesen beiden dem Tode geheiligten Bäumen schlummert?

In diesem kurzen Grabspruch hat sie uns wohl ihr ganzes Leben geoffenbart: ja, es will uns bedünken, als habe sie in den drei Zuständen des Irrens, Leidens und Hebens den Inhalt unsers eigenen Lebens uns enthüllt. Mitten auf dieser Stätte des erstorbenen Lebens tritt die erschütternde Frage an uns heran, ob nicht unser Leben mit seinem ewigen Ringen nach vermeintlich hohen Zielen ein einziger großer Irrthum ist, an dem nichts wahr bleibt, als unser Leiden und unser Lieben!

Wer ist die Todte, die ihr Leben mit einer solchen Erkenntniß geschlossen? Wir wenden uns nach der gen Westen gewandten Seite des Kreuzes und finden dort halbverhüllt von den immergrünen Zweigen der Cypressen die Worte:

Hier ruht Caroline von Wolzogen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_700.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)