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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zu tilgen und den ihrer Schwester dafür einzusetzen suchte. Als nun das Wort gesprochen und der Herzensbund zwischen Schiller und Lotte geschlossen war, ist Schiller noch glücklich, daß er mit dem Besitze der Einen auch den Besitz der Andern sich gesichert habe. „Eueres Besitzes bewußt werde ich mit Allem, was mich umgiebt, versöhnt. In Euch zu leben und Ihr in mir, das ist ein Dasein!“ jubelt er. Aber mit dem Gürtel und dem Schleier mußte naturgemäß die Wendung kommen.

Schon in dem letzten Briefe an Beide, kurz vor der Hochzeit mit Lotten, ist das gemeinsame Element aufgelöst in die beiden vom Leben geweihten Begriffsformen Braut und Schwägerin.

Gemeinsam mit der bräutlich geschmückten Schwester trat Caroline noch ein in das Kirchlein von Wenigenjena, aber mit der dort am 20. Februar 1700 vollzogenen Trauung Schiller’s vollzog sich auch die Trennung. Lotte wurde nicht blos sein Geschöpf, sie wurde der gute Engel seines Hauses und seines Lebens. Sie nahm nun seine Liebe ganz für sich, und duldend und opfernd hat sie in den fünfzehn an Schmerz und Seligkeit überaus reichen Jahren ihrer Ehe und über sein frühes Grab hinaus diese Liebe treu bewahrt. Doch noch einmal schloß sich der Geisterbund – am Sterbebette Schiller’s. Und wie dort Charlotte gebrochenen Herzens auf den Knieen liegt, während Caroline aufrecht starken Geistes mit dem Arzt am Fuße des Lagers steht und die Füße des Sterbenden hülfreich in Kissen hüllt, so ist es das charakteristische Bild von beiden Schwestern.

Nach der Trennung des Dreibundes fühlte Caroline mehr als je das Drückende ihres Ehebündnisses mit Beulwitz. Schiller übernahm es die Ehetrennung herbeizuführen.

Aber die „Angelegenheit“, wie sie Schiller nennt, verzögerte sich und kam erst nach vier Jahren zur Ordnung. Caroline hat in dieser Zeit viel gelitten. Sie half sich dabei zum Theil mit dem Goethe’schen Mittel. Wie dieser seine innere Verstimmung oft in ein poetisches Product ergoß und so von sich ablöste, so schrieb Caroline damals einen Roman, „Agnes von Lilien“, in welchem sie ihr eignes Leben zum treuen Spiegel nahm. Dann wendet sie ihr liebebedürstig Herz wieder zu einem Verlassenen: Wilhelm von Wolzogen. Derselbe war inzwischen hinausgezogen in die Welt, hatte dort seine Leidenschaft gefühlt, seinen Geist gebildet. Er, der von der Leidenschaft Freigewordene, bot der von dem Irrthum Freigewordenen seine Hand und sie beschloß den Abend ihres Lebens „mit ihm zu verleben“.

So war Carolinens Liebe.

Schon hier konnte sie sagen: ich irrte, litt und liebte; denn wie immer Liebe lohnt mit Leide, hat sie schon da, wenn auch kein laut geklagtes, aber tief verschlossenes Leid erfahren. Ihr tiefstes Leid war ihr aber noch aufgespart.

Der Zufall führte mich an den Ort, darin es ihr geschah, und ließ es mich dort erfahren. Da die Verhältnisse wohl nicht sehr bekannt sein dürften, verstatte ich mir eine genauere Erzählung.

Zwischen Arnstadt und Rudolstadt liegt das zum Großherzogthum Weimar gehörige Dorf Bösleben. Der Drang, meinen lieben Freund R–n, der dahin als Pfarrer versetzt war, einmal wieder zu sehen, war es allein, der mich vor nun schon länger als zwei Jahren an den vorher unbekannten Ort führte.

Bald mußte ich erfahren, daß ich mich daselbst nicht blos auf einem durch eine reiche historische Vergangenheit, sondern auch durch allerhand Berührungspunkte mit Weimars classischer Zeit bemerkenswerthen Boden befand – eine Entdeckung, welche mich und meine Reisegenossen für den Mangel materiellen Genusses entschädigte, an dem das damals noch der waltenden Hausfrau entbehrende Pfarrhaus litt.

Von der Pfarrei grad über lag mit der Breitseite der Straße zugekehrt ein stattlich Gebäude, gegenwärtig die Schule des Ortes. Das Haus war einst das Herrenhaus des von Wolzogen’schen Gutes.

Auf allen Gassen konnte ich nun bald erzählen hören von „Geheimraths von Wolzogen“, von Carolinen, von dem unglücklichen Tode ihres einzigen Sohnes, von Schiller. Ja, auch Schiller sollte dort zum öftern gewesen sein. Ein gekritzelter Namenszug in einem Fenster des Hauses sollte von ihm herrühren. Wahr oder unwahr: die guten Bösleber hielten auf das Fenster als ein Ortsheiligthum.[1] In der südöstlichen Ecke des an das Schulhaus anstoßenden Gartens begrenzten vier Steinwürfel eine Grabstätte, an deren mittägiger Seite sich ein hohes eisernes Kreuz auf steinernem Sockel erhebt. Die ausgestreckten Kreuzesarme tragen die Worte: „Friede sei mit Euch“, während es auf der Nordseite des Sockels heißt: „Hier ruhet Adolf Freiherr von Vollzogen. Er starb im Glauben, Lieben und Hoffen seines Erlösers! Im 30. Jahre den 10. September 1825.“

Dieses Kreuz hat Carolinens tiefsten Schmerz gesehen, diese vier Leichensteine halten ihr herbstes Leid umschlossen.

Es ist die Grabstätte ihres einzigen Kindes, welches in den Blüthenjahren des Menschenlebens an jener Stelle einen ungewöhnlichen Tod gefunden. Der vier Jahre nach Schiller auch heimgegangene Gatte hatte ihr nur einen Sohn hinterlassen. Der zu schönen Hoffnungen berechtigende Jüngling hatte in den Strapazen des Feldzugs von 1813 bis 1815, denen er beiwohnte, oder wohl auch im Uebermaß des Lebensgenusses den Keim einer zehrenden Krankheit in sich gelegt. Die besorgte Mutter zieht ihn zur Erholung zu sich in die ländliche Stille des väterlichen Erbgutes. Dort fällt er in eine schwere Krankheit. Wieder im Genesen, steigt er an dem sonnighellen Herbsttage vom Krankenlager auf und tritt mit seiner von neuer Hoffnung belebten Mutter in’s Freie. Ueber den Garten hinaus, weit in die Felder, trägt ihn der frischgekräftigte Schritt. Bei der Heimkehr bemerkt er an der Gartenthür einen Zug Feldhühner. Er heischt nach einer Flinte. Als ihm diese sein Diener gebracht und sich kaum gewendet, vernimmt er einen Schuß – und der junge Herr liegt am Gartenzaun in seinem Blute. Das Kirchenbuch des Ortes erzählt von dem Vorfall: „Während er (Adolf v. W.) geht, verwirrt sich sein Mantel im Gebüsche, er, noch schwach, wankt, das Gewehr geht los und trifft ihn in die linke Brust. Tags darauf endete er sein Leben.“

Das Volksgerücht, immer geschäftig, jedem Ereigniß eine düstere Seite abzugewinnen, hat wohl dem Todten eine Versündigung gegen sich selbst angedichtet. Der seinen Herrn begleitende Diener, welcher erst vor Kurzem heimgegangen ist, hat mir und Andern gegenüber dieser Deutung entschieden widersprochen. Das tiefe Weh über diesen Verlust des einzigen Kindes raubte Carolinen fast die eigne Kraft zum Leben. Jahre lang zitterte es noch nach in ihrem Herzen. Länger als ein halb Jahr darnach schreibt sie in ihrem Tagebuch:

„An dem Schreibtisch, wo ich einst leicht und fröhlich die Blumen der Dichtkunst pflückte und streute, als vier liebe Augen nach mir schauten und mir ein neues Leben in dem Deinigen aufging, geliebtes Kind, hier sitzt die Einsame, verödet im harten Schmerz Untergegangene.“ Und im Jahre 1827: „Wie ist Alles verödet um mich her! Wie war Alles voll Hoffnung, als Deine Augen, geliebtes Kind, dem Lichte offen waren!“ Und am dritten Jahrestage des Todes: „Heute vor drei Jahren legte ich mich zum letzten Male mit Lebenshoffnungen nieder. O, mein Gott, daß du mich im unsäglichsten Jammer bei Sinnen erhieltest, war Gnade, Gnade.“ Dann noch im Jahre 1832: „Nur Lichtblicke der Liebe treffen mich zu Zeiten in der Erinnerung an meinen Adolf. Sein Bild steht vor Allem.“ Die äußern Zeichen der Trauer legte sie nie wieder ab.

  1. Von Schiller’s Besuch in Bösleben wird bestimmt folgende Einzelheit dort erzählt. Vor dem Ort erhebt sich nach dem Dorfe Willersleben zu eine lebhaft ansteigende Ebene, weshalb es geschehen kann, daß bei heftigen Regengüssen das Wasser stark gegen das Dorf andrängt. Als nun einmal Schiller im Frühjahr mit seiner Familie bei „Geheimraths“ zum Besuch war, strömte da auch in Folge eines raschen Thauwetters das Wasser mächtig in das freiliegende „Herrenhaus“. Die im Hause befindlichen Damen – es war zahlreicher Besuch von Weimar da – fingen an, sich darob sehr zu ängstigen und den Einsturz des Hauses zu fürchten. Sie ließen sich deshalb auf den Rücken einiger stämmiger Bauernbursche durch das Wasser über den Fahrweg hinüber in ein geschützter gelegenen Bauernhaus tragen.
    Nur Schiller harrte muthig aus auf dem Posten, spottete zum großen Aerger der furchtsamen Damenwelt sehr lustig und ausgelassen über dies wahrhaft tragikomische Ereigniß und erließ vom offenen Fenster herab ergötzliche Anrufe und Anreden, ganz im Stile seines Kapuziners in Wallenstein’s Lager.
    Seinen dann aus dem Geisterseher citirten Beschwörungsformeln gelang es hierauf auch bald, das aufgeregte Wasser zu besänftigen, und die Damen konnten trockenen Fußen wieder in’s Haus zurückkehren, um sich von Schiller wegen ihrer Furchtsamkeit auslachen zu lassen. Sehr gelehrte Forscher wollen behaupten, Schiller habe aus diesem Vorfalle die Motive zum Taucher, zu Hero und Leander und der Stelle im Graf von Habsburg, wo dieser das Pfäfflein über den reißenden Bach trägt, entnommen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_703.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)