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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 45. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Dorfcaplan.
Erzählung aus Oberbaiern nach einer wahren Begebenheit.
Von Herman Schmid.

Es ist lange her, wohl in die sechzig Jahre.

Die erste Frische eines thauigen Augustmorgens lag auf dem weiten Thale, in dessen Mitte der Innstrom aus den Tirolerbergen lustig blitzend heranbrauste; drüben am andern Ufer stieg aus dem buschigen Vorland das Wildkaiser-Gebirge mit seinen vielzerklüfteten, kahlen und wettergrauen Felsschrofen wie eine trotzige Grenzmauer empor, während herüben anmuthiges Bergland, abwechselnd mit grünen Matten, gelben Saatfeldern und dunklen Waldstreifen, sich immer höher und höher hinanzog, bis, dem Nachbar gegenüber beinahe ebenbürtig, der Wendelstein sein ruhiges Haupt so fest und klar in die wolkenlose sonnenschimmernde Morgenbläue hinauftrug, als wär’ es das eines Wächters, der mit dem ersten Strahle auf seinem Posten ist, das schöne Gelände zu überschauen, das sich ihm vertrauend an die Felsenbrust geschmiegt.

So früh es war, regte es sich doch schon allenthalben im Dorfe und in den Gesang der Schwarzamsel, die aus dem Laubdach eines Geheges von Apfelbäumen hervorpfiff, mischte sich der Klang fröhlicher Menschenstimmen; lachende oder singende Töne, die in den Kehlen wach zu werden schienen, wie in den Zweigen die Vögel. Die Thüren der Häuser öffneten sich schon; dort trat der Bauer heraus und blickte mit wohlgefälligem Lächeln und Nicken nach dem Prachtwetter, das sich zum Feste gemacht hatte und wohl auch auf ein paar Tage länger für den Kornschnitt auszudauern versprach; hier huschte eine Dirne im luftigen Morgenanzug nach dem Stalle, damit die Arbeit sicher gethan sei, wann das Zeichen der Feier ertöne, und daneben stürmte jubelnd ein Paar kräftiger Knaben zum rauschenden Röhrenbrunnen, um Kopf und Brust in der bergfrischen Quelle zu baden.

In der Mitte des Dorfs, wo die Pfarrkirche ihr verwittertes Gemäuer aus den Gräbern und Kreuzen des kleinen Friedhofs erhob, war es am lautesten und der Gesang von zwei Mädchenstimmen schwebte heiter und spielend durch das Gras und über die wenigen Blumen auf den ländlichen Hügeln; die Töne waren wie Schmetterlinge, welche ihren kurzen Erdentag vergaukelten, unbekümmert um Tod und Ewigkeit, unbekümmert um den Boden, dem die Blume entsprossen, mit der sie spielen.

Der Gesang kam von einem stattlichen, steingemauerten Gebäude her, das sich mit städtischbreiten und vornehmen Fenstern längs der Kirchhofwand hinzog und an das sich in einiger Entfernung der mächtige Getreidstadel mit seinem altersbraunen Gebälke, in rechtem Winkel wie zum Schutze vorspringend, anschloß.

Das breite Stadelthor mit der Dreschtenne stand weit offen und auf dem festgeschlagenen Lehmboden war eine Schnitzelbank zum Sitze der Sängerinnen bereitgestellt.

Die eine derselben saß auf der Bank; das Haupt leicht vorgeneigt, die Hände im Schooße gefaltet, sang sie mit lauter frisch tönender Stimme vor sich hin und ließ die andere gewähren, welche, mit tieferer Stimme und leiser in den Gesang einfallend, vollauf damit beschäftigt war, das reiche nußbraune Haar der Cameradin in gleiche Zöpfe abzutheilen, sie mit schmalen rothen Bandstreifen zu durchflechten und zuletzt obenauf ein stattliches Krönlein von Silberzindel mit schwankenden bunten Glassteinen zu befestigen.

Die Sitzende war jung und hübsch; ihr Anzug, wenn auch noch unvollendet, bestand aus dem rothen Rock mit den weißen bauschigen Aermeln und der durchscheinenden Florschürze, wie damals noch die Mädchen als Bräute und bei andern feierlichen Gelegenheiten, als Kränzeljungfern bei Hochzeiten oder als Prangerinnen am Frohnleichnamsfeste, zu tragen pflegten. Es war eine schlanke, frische Mädchengestalt mit wohlgeformtem, freundlichem Angesicht, an dem außer einem Paar besonders rosiger Lippen auf den ersten Blick nicht viel des Besonderen zu gewahren war; aber die Stimme klang weich und lieblich, und wenn die braunen Augen sich von dem Florband emporhoben, mit dem die Hände tändelten, so war es, als sei das gar nicht mehr das vorige Antlitz, es glänzte so eigen darin und so wunderbar, wie wenn einem Wandrer, der tagelang durch Bergesöden und finstere Tannenwaldung dahingeschritten, da er um eine Ecke biegt, plötzlich aus der Tiefe, von Buchenlaub eingerahmt, ein dunkler verschollener Bergsee entgegenglänzt.

Das ihr dienende Mädchen war älter und mochte wohl nie erlebt haben, daß viele Bewerber um ihrer Schönheit willen sich den Rang abgelaufen; aber der Ausdruck in ihren Zügen war gutmüthig und sie schien es nicht schwer zu tragen, daß des Lebens reichere Hälfte abgeblüht hinter ihr lag.

Die Mädchen sangen:

Zwei schneeweiße Täuberln
      Flieg’n über mei’ Haus
Und der Bue, der mir b’schaffen is,
      Bleibt mir nit aus!

Und den Bub’n, der mir b’schaffen is,
      Den kennet i’ gern
Und es wird’s do’ koa’ Blinder
      Koa Buckleter wer’n!


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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_705.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)