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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

sich ein bärtiger Jude in seinen weiten Kastan; neben einem Franciscaner schreitet gemessen ein Derwisch einher. Um den grünen Tisch sitzen die Gesandten der englischen Conferenz, während eine andere Gruppe ebenfalls in naturgetreuen Figuren die letzte Fürstenversammlung zu Frankfurt a. M. darstellt. Dabei sind alle Zeitalter repräsentirt; wir gewahren moderne Trachten neben Gestalten aus dem Alterthume, dem Mittelalter und der Renaissance. Alle Männer der Gegenwart, welche in Staat und Kirche, in Kunst und Wissenschaft, in Politik und Literatur unser besonderes Interesse in Anspruch nehmen, begegnen uns hier wieder. Neben allerlei niedlichen musikalischen Instrumenten, Flöten, Geigen, Pfeifen, Trompeten und Pauken etc. gewahren wir ein reich ausgestattetes Arsenal von Flinten, Säbeln, Pistolen, Trommeln und Kanonen. Keine Menagerie, ja kein zoologischer Garten ist reichhaltiger, als die Sammlung von Thieren, welche uns der Mustersaal zeigt. Jeder pomologische Verein würde stolz sein auf die Ausstellung der hier ausgelegten Sorten von dem verschiedenartigsten Obst, von Weintrauben, Beeren, Kirschen in Glas, Porcellan und Papiermaché. Niemals hat einem Jockeyclub eine größere Auswahl von Pferden aller Racen zu Gebote gestanden, als hier vorhanden sind, ebenso würde ein Theaterregisseur wegen der zu beschaffenden Requisiten hier niemals in Verlegenheit kommen. Tausende von neckischen Geistern umhüpfen uns in Gestalt von Humoresken und Caricaturen. Vom ellenlangen Hampelmann und der tragikomischen Figur unseres Flotten-Fischers bis zu dem Herrn Doctor Eisele ließe sich eine lange, lange Reihe von äußerst schalkhaften und possirlichen Gegenständen dieses Genres nennen. Kurz, die Stecken- und Wiegenpferde der kleinen wie der großen Kinderwelt aller civilisirten und uncivilisirten Nationen sind hier zur Schau ausgestellt. Noch mehr Interesse gewinnt aber der Mustersaal für uns, sobald wir von dem uns begleitenden Kaufmanne einige Andeutungen darüber hören, nach welchen Ländern der eine und der andere Artikel seinen hauptsächlichen Absatz findet. Hier ist uns Gelegenheit geboten, die Eigenthümlichkeiten und namentlich die verschiedenen Geschmacksrichtungen der einzelnen Völker gründlich zu studiren.

Außer den im Sonneberger Bezirk selbst gefertigten Spielwaaren sehen wir hier zugleich den größten Theil aller übrigen in Deutschland und selbst im Auslande, wie z. B. in Paris, fabricirten Spielwaaren, da Sonneberg große Quantitäten dieser Artikel von allen Seiten bezieht und wieder ausführt. Aus dem sächsischen Erzgebirge und namentlich aus Seiffen bei Marienberg kommen ganz ordinäre kleinere Holzspielwaaren in Schachteln, Noahkästen, Pfennigpfeifen und dergl., während aus der Umgegend von Lichtenfels in Oberfranken eine Menge niedlicher Korbspielwaaren bezogen werden. Auch Böhmen und Schlesien führen nach Sonneberg verschiedene Artikel aus. In Westphalen sind es besonders die Städte Solingen und Lünen, welche für Sonneberg viele Artikel, z. B. metallene Kindersäbel, Kindermesser und -Gabeln und dergl. liefern. Die bekannten Berchtesgadner Schnitzereien sind in Sonneberg natürlich auch vertreten. Katholische Heiligenbilder und Crucifixe sendet Tirol, wo Gröden unter andern Artikeln auch eine Gattung von Crucifixen, jene erst neulich in der Gartenlaube erwähnten „Herrgottle“, aus Holz schnitzt, welche zwei bis drei Zoll lang sind und kaum neun bis zehn Kreuzer das Dutzend kosten. Selbstverständlich sind diese „Herrgottle“ außerordentlich roh gearbeitet. Dagegen bekommt man um wenige Kreuzer mehr „Herrgottle mit Muschculatur“, d. h. mit einigen Andeutungen eines Rippenkastens und einiger Hauptmuskelformen. Feinere, nicht aus Holz oder Papiermaché gefertigte Spielwaaren, die zunächst zur Belehrung und zu geistiger Unterhaltung dienen, kauft Sonneberg in Paris, Cassel, Stuttgart, Berlin und Nürnberg. Besonders mit dem letztern hat Sonneberg als eine gute Tochter viele Beziehungen unterhalten. Während Nürnberg selbst sehr viele Artikel von Sonneberg bezieht, sendet es den Sonneberger Kaufleuten vorzugsweise Blech-, Zinn- und Messingwaaren, wie Klingeln, Säbel, Küchengeräthe, ferner Baukästen, Cubus-, Geduld-, Metamorphosen- und Tivolispiele, Lottos, Kanonen, Gewehre, Harmonicas, Blechtrompeten, zinnerne und bleierne Ringe, Kinderuhren, Eisenbahnen, Hornwaaren, z. B. Hornschlangen, Kaleidoskope, Buchdruckerpressen für Kinder, magnetische Spielwaren, Guckkästen, Roulettespiele, Cartonagen, Bilder und Spiegel in Rahmen und dergleichen.

„Hoher Sinn liegt oft in kind’schem Spiel!“ Dies Wort wird durch die Sonneberger Spielwaarenindustrie von einer Seite aus illustrirt, an welche man gewöhnlich wohl nicht denkt. Sonneberg ergiebt mit seinen Erzeugnissen nämlich einen jährlichen Umsatz von anderthalb Millionen Gulden. In neuerer Zeit, wo unsere besten Künstler bestrebt sind, durch wahrhaft gute Bilderbücher die unheilvollen Struwwelpetriaden zu verdrängen, ist man auch in Sonneberg thätig, mehr und mehr feinere Spielwaaren herzustellen, wobei Geschmack, Eleganz und Naturtreue die leitenden Ideen sind. Zudem ist es ein besonderes Verdienst der Sonneberger Spielwaaren-Industrie, nicht nur plastisch schön geformte Spielwaaren zu produciren, sondern dieselben auch zu äußerst billigen Preisen zu liefern. Darum haben auch die Sonneberger Artikel überall in den gebildeteren Familien willkommene Aufnahme gefunden. Der Gedanke, daß ein gut geformtes Spielzeug in gewissem Sinn das Alphabet der Kunst genannt werden kann, gewinnt von Tag zu Tag mehr Terrain. In dieser Hinsicht können die Verdienste des Kaufmanns Adolf Fleischmann um die Sonneberger Industrie nicht hoch genug angeschlagen werden. Seit 1858 ist auch eine Zeichen- und Modellirschule in Sonneberg in’s Leben gerufen worden, welche wesentlich zur Heranbildung tüchtiger und künstlerisch schaffender Arbeiter beiträgt. Vom Staate unterstützt ist außerdem in jüngster Zeit unter der Leitung des aus Imst in Tirol hierher berufenen Holzbildhauers Klotz eine Schule für Kunst-Holzschnitzerei errichtet worden, in welcher auch eine Anzahl von Zöglingen aus dem Schnitzerdistricte Sonnebergs unentgeltlich Unterricht erhalten.

Kaum möchte heute das Sonneberger Geschäft an Umfang demjenigen Nürnbergs viel nachgeben. Gegenwärtig verschickt Sonneberg noch einmal so viel Waaren in die Welt, wie in den vierziger Jahren. Mehrere Chefs der großen Sonneberger Handelshäuser haben Jahre lang in New-York oder in London, in Brüssel oder in Paris gearbeitet und im Auslande große Reisen gemacht. Die Hauptabnehmer der Sonneberger Artikel sind die deutschen Zollvereinsstaaten, Frankreich, Holland, England, Rußland und Nord- und Südamerika. Da Jahr aus Jahr ein viele Grossisten aus den entferntesten Ländern nach Sonneberg kommen, so hat man hier im Interesse dieser Fremden seit einigen Jahren eine permanente Musterausstellung von auswärtigen, in das Sonneberger Fach einschlagenden Industrieerzeugnissen in’s Leben gerufen, wodurch zu gleicher Zeit dem Sonneberger Geschäfte neue Handelsartikel zugeführt werden.

Wenn durch die genannten Anstalten der Sonneberger Industrie Gelegenheit geboten ist, sich immer weiter und weiter zu entfalten und mehr und mehr der Kunst zu nähern, so hat die letztere selbst seit einigen Jahren ihren Einzug in Sonneberg gehalten durch das in seiner Art in ganz Deutschland einzig dastehende industrielle Etablissement von A. Schmidt. Was hier unser ganz besonderes Interesse in Anspruch nimmt, ist die Herstellung von antiken Gefäßen, welche den mit Patina überzogenen Bronce-Originalen auf das Täuschendste ähnlich sehen. Bekanntlich ist die blaugrüne oder chromgrüne Farbennüance der antiken Patina selbst auf wirklicher Bronce nur mittels eines französischen Geheimmittels herzustellen. Dem in Rede stehenden Etablissement ist es aber gelungen, nach antiken Originalen oder Originalabgüssen Gefäße aus Terracotta – gebranntem, naturfarbigem, rothem, gelbem und gelb-rothbraunem Thon – herzustellen, deren Patina von der antiken nicht zu unterscheiden ist. Die Producte der berühmten Kerameutik der Alten sind gegenwärtig wieder ein Lieblingsgegenstand zur Decoration der Salons, der Zimmer und Vorsäle geworden und haben deshalb seit geraumer Zeit in Neapel und einigen Fabriken Englands Nachahmung gefunden. Wir sehen in dem A. Schmidt’schen Etablissement die in dem großen Gerhard’schen Vasenwerke zusammengebrachten antiken Gefäße in einer Vollendung erstehen, daß wir uns unwillkürlich nach Pompeji und Herculanum versetzt glauben. Als höchst anschauliche Illustration zu den in alten Epopöen geschilderten Gesäßen ist jeder höheren Lehranstalt eine übersichtliche Gruppe derartiger Gesäße nicht genug zu empfehlen.

Nicht weniger sind wir überrascht beim Anblick der in Terralith ausgeführten Helden- und Götterfiguren des trojanischen Krieges nach der Ilias des Homer. Der Raum gestattet uns leider nicht, diese neun Zoll hohen Figuren, welche ebensowohl in bunter Ausführung, als auch in brauner, schwarz decorirter Terracotta zu sehen sind, hier ausführlich zu besprechen. Wir können

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_714.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)