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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 46.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Dorfcaplan.
Erzählung aus Oberbaiern nach einer wahren Begebenheit.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Rascher, mit lauter Stimme sprach Isidor den Segenswunsch zu Ende und eben zur rechten Zeit regten sich die Glocken im Kirchthurm zu vielstimmigem, feierlichem Geläut und mahnten aufzubrechen zur Feier des Tages. Es war keine Zeit mehr, ein Gespräch zu beginnen und etwa den Vater nach dem Namen der Brautjungfer zu fragen … Das konnte doch unmöglich die Franzi sein das blasse schmächtige Kind – und dennoch, warum hatte es ihn aus diesen wunderbaren Augen angemuthet, wie noch nie? Der dröhnende Glockenton, der Ernst der Stunde scheuchten das irdische Bild von seiner erhobenen Seele hinweg und festen Schrittes schloß er sich dem Zuge an, der sich fröhlich und bunt um ihn bildete.

Voraus bliesen und trompeteten die Musikanten einen lustigen Marsch, wie bei einer Hochzeit. Damals war es so Sitte und man fand nichts Anstößiges daran, daß der Priester beim Eintritt in seinen neuen Stand noch einmal unter Sang und Klang von den Freuden des Lebens Abschied nehme, und das Bild einer Hochzeit war es auch, was bei der ganzen Feierlichkeit festgehalten wurde. Der Priester wurde ja auch auf ewig mit der Kirche verbunden. Ein kleines Mädchen von sieben bis acht Jahren durfte daher als deren Vertreterin, als sogenannte „geistliche Braut“ nicht fehlen, und am Arme des Geistlichen prangte wie an dem eines Hochzeiters das grüne Kränzlein. Die Verwandten schlossen sich an, die Kranzeljungfern dabei, alle die Citrone in der Hand, mit einem Rosmarin-Zweiglein besteckt, und dem Primizianten gab ein älterer Geistlicher das Geleite, welcher der Pathe hieß und ihm in allen Verrichtungen helfend und rathend zur Seite stand. Isidor’s Pathe war der Pfarrer des Dorfs, ein großer Mann von soldatischer Haltung, mit einem ernsthaften, nicht eben geistreichen Gesichte; er war kein Freund davon, sich bei solchen öffentlichen Anlässen zu zeigen, aber da es ein Pfarrkind war, das sein Fest feierte, hatte er die bescheidene Bitte desselben nicht abzuschlagen vermocht.

So ging der Zug der Kirche zu: Alles drängte nach den geschmückten Stühlen, während der Primiziant in der Sacristei mit den gottesdienstlichen Gewändern geschmückt wurde und dann, zum Altare geleitet, sein erstes Hochamt feierte. Während desselben hielt der Pfarrer die Ehrenpredigt, worin er dem Pathen die Pflichten des neuen Standes auseinandersetzte, seinen Entschluß glücklich pries und besonders hervorhob, daß er um dessen willen die Güter der Erde zurückgewiesen und sich entschlossen habe, ewige Schätze zu sammeln, Reichthümer, die der Rost nicht zernagt, einen Besitz, der den Motten widersteht und den Würmern.

Isidor saß während der Predigt zuhörend auf dem sammetbezogenen Seitenstuhle, aber trotz aller Andacht, trotz alles Aufwandes von Kraft begann die Erregung seines Gemüths nachzulassen, die Spannung seiner Nerven zu ermatten; wider Willen streiften andere Gedanken ihm flüchtig durch den Sinn und er mußte sich einige male sammeln und zwingen, um dem Prediger zu folgen. Es kam ihm vor, als wären es mitunter leere Worte, die dieser sprach, als wäre er nicht derjenige, dem sie vor Allen galten. Die Gedanken, obwohl unwillig abgewehrt und verscheucht, kamen dringender wieder und ließen wunderbare Bilder vor seinem inneren Auge entstehen. Es war, als ob die weihrauchdurchdufteten Hallen der Kirche sich weiteten und öffneten – er sah weite grünende Wiesen und rauschenden Wald vor sich und sah sich selber darin als sorglosen, fröhlich spielenden Knaben … er sah das Bild der Bauernfamilie mit dem Kinde vor seinen Augen, aber nicht er war es, der den Segen darüber sprechen sollte, und auch das Gesicht der Mutter veränderte sich wunderbar … das war nicht die behäbige Bäuerin, das waren die Züge, die Augen der Kranzjungfer, die gegenüber im Chorstuhl kniete und ihr Antlitz so tief über ihr Gebetbuch niederbeugte, daß nichts zu sehen war, als auf dem reichen Haare das Krönlein …

Mit dem Schlusse der Predigt erbrauste die Orgel … ihre Töne strömten wie überirdische Fluthen um seine Seele und reinigten sie und hoben ihn empor, daß er mit entrüsteter Stärke die letzte schnöde Versuchung der Erde von sich wies …

In dankbarer Andacht vollendete er das Opfer und als er zum Schlusse die feierliche Choral-Weise des Ita missa est so recht mit voller Stimme zu singen begann, da mochte Jeder es hören und aus diesen Tönen, wie aus einem Siegesliede vernehmen, daß er die alte Schlange bezwungen und ihr den Fuß auf das Haupt gesetzt.

In gleicher Ordnung ging der Zug aus der Kirche, diesmal dem Gasthause zu und ohne die Geistlichen, welche gesondert nachkamen. In einem großen Saale stand die Tafel zum reichlichen Mahle bereit, das für so unentbehrlich galt, wie ein Kirchweihschmaus, bei welchem alle Verwandten und Bekannten zu erscheinen wetteiferten. Zwischen den einzelnen Speisen bliesen die Musikanten lustige Stücklein und manchen schmetternden Tusch, wenn der Pfarrer die Gesundheit und das lange Leben des Herrn Primizianten und dieser hinwider das Wohlbefinden und Gedeihen des Herrn Pfarrers ausbrachte; wenn man nach der Reihe das glückliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_721.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)