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und Virginien einer weit längeren Einwirkung dieser Stoffe, um ohne Nachtheil rauchbar zu werden, ja eine Probe aus Kentucky mußte mehrere Tage lang diesem Macerationsprocesse ausgesetzt werden, bis sie den größten Theil des Nicotingehalts verloren hatte und ohne Beschwerde geraucht werden konnte, während sie vorher einen so bissigen und giftigen Geschmack gehabt hatte, daß schon wenige Züge aus einer damit gestopften Pfeife hinreichten, um Uebelkeit und Ekel zu erregen. – Auf dieselbe Weise ist der Tabak vor der Verarbeitung zu Cigarren zu behandeln, welche, je nach der längern oder kürzeren Maceration des dazu gebrauchten Tabaks, einen um so mildern Geschmack, dabei aber ein sonst ungeschmälertes Aroma haben und ohne allen Nachtheil auch in größeren Mengen geraucht werden können.

Dr. E. R. Pfaff.




Der Morgen einer Sängerin.
Aus den Erinnerungen eines Theaterfreundes.
Von Max Ring.

Wir haben sie noch gekannt, die reizende Sängerin, das Bild der Jugend, den verkörperten Frühling mit Wangen gleich Rosen und Augen, blau wie der lachende Himmel. Aus ihrer Silberkehle stiegen die Töne wie eine jubelnde, schmetternde Lerchenschaar über den jungen Saaten empor und schwangen sich bis in den höchsten Aether hinauf.

Kein Wunder, daß sie der Liebling des sonst so launenhaften Publicums war, daß sie angebetet, vergöttert wurde, noch dazu in einer Zeit, wo die ganze Oeffentlichkeit der Nation sich auf das Theater beschränkte und jedes Interesse sich der Bühne zuwendete. Die höchste Aristokratie, die reichsten Banquiers lagen zu ihren Füßen, die ernstesten gelehrten Schriftsteller und Künstler brachten ihr ihre Huldigungen dar, selbst das Volk jauchzte ihr Beifall zu, wenn sie erschien. Kein Stand, kein Alter entzog sich dem Zauber der lieblichen Erscheinung; leicht entzündbare Jünglinge und besonnene Männer, sogar die strengen Frauen erkannten willig ihre Herrschaft an und vereinten sich zu ihrem Lobe.

Sie stand damals im Zenith ihres Ruhmes, auf dem Höhenpunkte ihrer Triumphe und war so glücklich, wie nur eine junge, schöne, allgeliebte Primadonna sein kann. Aber auch das herrlichste Leben hat seine Schattenseiten und selbst die viel beneidete Sängerin war nicht frei von den kleinen, neckenden Leiden des menschlichen Daseins. So eben war sie aus der Probe einer neuen Oper, die beiläufig mehrere Stunden gedauert hatte, in ihre Wohnung zurückgekehrt. Erschöpft von der übermäßigen Anstrengung hatte sie ihre Toilette gewechselt und die beengende Seidenrobe mit dem bequemen, eleganten Schlafrock von weißem Cachemir vertauscht. Zierliche Pantöffelchen bedeckten den kleinen Fuß und fessellos durften die von den Banden der Frisur befreiten Locken um die schöne Stirn und den weißen Nacken flattern. In bequemer Stellung sank sie auf den schwellenden Divan nieder, um von den Mühen des Tages auszuruhen. Mechanisch griff sie nach einem Buch, weniger um es zu lesen, als um sich zu zerstreuen.

Sie wollte allein sein mit ihren Gedanken, ihren Träumen, sie sehnte sich nach Ruhe, nach einem stillen Augenblick der Sammlung, die ihr in dem Wirbel und Strudel ihres bewegten Daseins heute doppelt Noth that. Sie hatte in der Loge des Directors während der Probe den fremden Freiherrn bemerkt, für den sie sich unwillkürlich interessirte. Instinctmäßig ahnte sie, daß er nicht zu der gewöhnlichen Schaar ihrer zahlreichen Anbeter zählte, daß er sie wirklich liebte, aber eine unübersteigliche Kluft trennte sie von dem einzigen Mann, zu dem sie sich hingezogen fand. Außerdem war sie vor Allem Künstlerin, ihr Leben, ihr Herz hing an der Kunst wie die Pflanze an dem Boden, in dem sie wurzelt, aus dem sie ihre Nahrung zieht. Dennoch umschwebte sie das Bild des Freiherrn, und indem sie an ihn mit geschlossenen Augen dachte, entfiel das Buch ihren schönen Händen.

Um dem Zauber zu entfliehen, nahm sie die Zeitungen und warf einen flüchtigen Blick hinein. Ihr Auge fiel zuerst wie natürlich auf die Theaterkritik, auf ihren eigenen Namen. Obgleich an die Oeffentlichkeit gewöhnt, empfand sie doch jedes Mal einen leisen Schauer, wenn sie ihren Namen gedruckt, ihre Leistungen besprochen sah. Diesmal hatte der ihr wohlbekannte Referent, dessen zudringliche Besuche sie mit Höflichkeit abgelehnt, die Gelegenheit benützt, um sich zu rächen, indem er mit perfider Geschicklichkeit dem Lobe den giftigsten Tadel beimischte und die allerdings von ihr selbst nicht gebilligte Uebertreibuug ihrer schwärmerischen Verehrer auf ihre eigene Rechnung stellte, sie der Lächerlichkeit zugleich mit jenen preisgebend. Empört warf sie das Blatt fort, als hätte sie eine schlimme Natter gestochen. Wäre sie ein Mann gewesen, so hätte sie für die ihr zugefügten persönlichen Beleidigungen Rechenschaft gefordert. Sie war aber nur ein Weib und schutzlos. Thränen füllten ihre schönen Augen, die viel beneidete Sängerin weinte.

Doch sie hatte keine Zeit ihrem Schmerze nachzuhängen, die eintretende Kammerfrau meldete einen vielgenannten Theater-Agenten. Wie gern hätte sie den Zudringlichen zurückgewiesen, aber sie durfte nicht, da der einflußreiche Geschäftsmann und Seelenverkäufer, wie sie wußte, ihr den Abschluß eines höchst vortheilhaften Gastspiels überbrachte, von dem er nicht unbedeutende Procente bezog. Sie war die Stütze einer alten Mutter, einer jüngeren Schwester und trotz ihrer Jugend die Ernährerin ihrer ganzen Familie. Konnte sie ein so glänzendes Anerbieten zurückweisen, sich den gefährlichen, habgierigen Mann zum Feinde machen? Die angebetete Primadonna hatte keinen eigenen Willen, sie mußte den schmuzigen Wucherer empfangen, seine widrigen Schmeicheleien und noch widerlicheren Späße dulden. Das verlangte ihr Stand, ihre ganze Stellung, ihr eignes Interesse, diese Rücksicht war sie sich und ihrer Familie schuldig.

Endlich verabschiedete sich der Theater-Agent, indem er den Contract ihr mit einer Miene überreichte, als hätte er ihr ein Königreich geboten. Sie athmete wieder auf und freute sich, allein sein zu können. Allein im nächsten Augenblick ließ sich Seine Herrlichkeit, der englische Gesandte, bei ihr melden. Vergebens schützte sie den Zustand ihrer Toilette, den Mangel an Zeit vor, der halsstarrige Engländer ließ sich nicht abweisen. „Ich habe Zeit und kann warten,“ sagte der phlegmatische Lord, indem er sich in einen bequemen Lehnstuhl des Empfangzimmers warf. Sich in die unabänderliche Nothwendigkeit fügend, wechselte die Sängerin so schnell wie möglich ihren Anzug und begrüßte Seine Herrlichkeit mit ihrem freundlichsten Lächeln, während sie innerlich ihren lästigen Gast, trotz ihres guten Herzens, dahin wünschte, wo der Pfeffer wächst. Aber der Lord war am Hofe angesehen, gab die glänzendsten Gesellschaften, hatte ihr durch seine Empfehlungen in London die höchsten Kreise der dortigen exclusiven Aristokratie eröffnet, sie stets protegirt und zu großem Dank verpflichtet. Er war zwar überaus langweilig und litt am Spleen, allein dabei höchst gutmüthig und außerordentlich gefällig. Schon aus Dankbarkeit, wenn nicht aus Klugheit, war sie verpflichtet, seine Gesellschaft zu dulden und die Kosten einer Unterhaltung zu tragen, welche sich von seiner Seite auf ein grinsendes Lächeln und einige nichtssagende Worte beschränkten; was ihn jedoch nicht hinderte, zwei volle Stunden zu bleiben, worauf er in Begleitung seines prächtigen Neufundländer Hundes, der unterdeß im Vorzimmer den Teppich und die Stühle beschmuzt hatte, seinen steifen Abschied nahm.

Aber jetzt bin ich für keinen Menschen zu sprechen! Mit diesem Vorsatze kehrte die erschöpfte Sängerin in ihr trauliches Ruhezimmer zurück, um sich von Neuem ungestört ihren Gedanken zu überlassen. Auf der Schwelle wurde sie jedoch durch einen lauten Wortwechsel zwischen ihrer Kammerfrau und einem sehr dicken Herrn zurückgerufen. Dieser hatte sich, wenn auch nur mit der kleineren Hälfte seines unförmlichen Körpers, in die halbgeöffnete Thür geschoben und dieselbe in Belagerungsstand erklärt, während die Kammerfrau vergebliche Anstrengungen machte, diesen neuen Koloß von Rhodus zum Rückzug zu bewegen. Der Anblick war so komisch und wirkte so erheiternd, daß die Sängerin ihren Entschluß, ungestört zu bleiben, aufgab und den dicken Herrn, der kein Anderer als der geistreiche Schriftsteller und Theaterkritiker Karl Schall und einer ihrer wärmsten Verehrer war, zu sich hineinzog, während er, wie ein Betender, flehend die Arme zu seiner Göttin empor hob.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_732.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)