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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Blätter und Blüthen.

Verlorene Brüder. Sie haben in Ihrem vielgelesenen Blatte die Rechte Deutschlands auf Schleswig-Holstein so tapfer verfochten, daß ich wohl hoffen darf, Sie werden den Mittheilungen, welche ich über eine deutsche Frage bei meiner letzten Anwesenheit in Trient und Roveredo in Tirol sammelte, ein paar Spalten nicht versagen, obgleich einiges trockene statistische und geographische Material nicht umgangen werden kann. Galt es im Norden gegen die Unterdrückung deutscher Brüder durch die Dänen aufzutreten, so müssen wir in Südtirol leider die Verwelschung von vielen tausend Deutschen beklagen. Der Türke hat nicht Unrecht, daß man mit einer neuen Sprache eine neue Seele erhalte, und so müssen wir jene vielen tausend Deutschen als verloren betrachten.

Wir wollen nicht auf die Zeit zurückgehen, wo das Concilium nach Trient als einer deutschen Stadt verlegt wurde, damit die Reformatoren um so eher erscheinen möchten; auch nicht vom herrlichen Thal des Avisio, dem Fleims reden, wo noch im fünfzehnten Jahrhundert deutsche Passionsspiele aufgeführt wurden. Jetzt redet hier Alles welsch und dennoch zogen 1848 die Fleimser als Schützen gegen die Italiener aus und antworteten, als man sie fragte, warum sie wider das eigene Volk stritten, der deutschen Abstammung bewußt: „Anche noi siamo tedeschi!“ Ob sie jetzt noch für Oesterreich in’s Feuer gingen? Als im Jahre 1703 die Franzosen einbrachen, gehörten die Einwohner des Trentino zu ihren erbittertsten Gegnern und thaten es den Deutschen gleich, jetzt sind sie großentheils Italianissimi. Doch das wollen wir nicht weiter ausführen. Gewiß hat mancher Leser schon von den sette und tredeci communi (den sieben und dreizehn Gemeinden) läuten gehört, die, ehemals ganz deutsch, nach früherer Ansicht von den Resten der zersprengten Cimbern bevölkert sein sollten.

Ein Blick auf die Karte zeigt uns am linken Ufer der Etsch ein großes, zusammenhängendes Gebiet zwischen Trient, Bassano und Verona, dessen Gebirge ohne Unterbrechung von Leuten deutschen Stammes bewohnt sind, allein auch im Thale der Brenta begegnet man noch mancherlei Spuren deutscher Bevölkerung. Am See von Caldonazzo wurde noch im sechszehnten Jahrhundert deutsch gepredigt und in der Nähe von Pergine deuten zahlreiche deutsche Namen von Höfen und Familien auf deutschen Ursprung. Vielleicht verschmäht der Leser nicht, eine kleine Probe der Sprache zu hören, wir theilen sie aus einem Schulbuche mit. „Main kint! Baz dain oghe sighet, daz ist von Gott. Gott macht, daz de sunna so liichte und barm schaint. Gott macht, daz der mand so schön glanzeghet. Ist net koan stearn, deme er ghit koane liichte. Gott macht anckes u balt an so schön grün. Perk und tal saint von Gott.“

Don Tecini, der lange Zeit in diesen Gegenden die Seelsorge versah, schildert diese Aelpler durchschnittlich als Leute von hohem Wuchs, kräftigem Körperbau, abgehärtet, wohlgefärbt, von blondem oder braunem Haar. Mit der Sprache schwand auch die alte Tracht, welche der im Sarnthal glich; nach der Erzählung des Gemeindevorstehers von Vallarsa, Joseph Noriller, bestand sie in einer scharlachrothen, kurzen Jacke mit gleicher Weste, aufstehendem, weißem Halskragen und Krause an der Brust, niedrigem, schwarzem Hut mit breiten Felgen und kurzen, ledernen Hosen, dann einer ausgenähten Leibbinde von Leder, in welcher Messer und Pistolen steckten, oder auch einer Seidenbinde. Es ist echt deutsche Bauerntracht. Don Tecini bringt auch ein Verzeichniß der Ortschaften bei, wo 1821 noch deutsch gesprochen wurde; sie waren damals von zweiundfünfzigtausend Seelen bewohnt, jetzt darf man sie wohl gegen sechszigtausend veranschlagen. Und diese wurden allmählich verwelscht und die Verwelschung schreitet ohne Hinderniß immer weiter nach Norden vor! Wir sind wahrlich kein Feind Italiens, möchten aber das Recht Deutschlands besser gewahrt wissen, als bisher; nennt sich ja Oesterreich doch so gern eine deutsche Vormacht! Preußen hätte sicherlich sein Interesse besser verstanden, als die Regierung unter Metternich, für den es freilich keine Völker, sondern nur geographische Begriffe, keine Nationalität, sondern nur Unterthanen gab; Preußen hätte einem so mächtigen Stock deutscher Bevölkerung an einer so wichtigen Stelle einen festen Halt gewährt.

„Während die zerstreuten Sprachinseln in der Nähe des Monte Rosa unter der welschen Regierung von Piemont,“ so schreibt ein österreichischer Beamter, Friedrich von Altmayr, der freilich in der Kanzlei die Sympathie für Deutschland nicht verloren hat, „mit deutschen Schulen und Priestern fortwährend ihre deutsche Nationalität bewahren, bleibt es sonderbar und bedauerlich, daß diese in den ausgedehnten und zusammenhängenden Colonien an der Ostseite der Etsch unter dem Scepter Oesterreichs zum Theil auf dem Gebiet des deutschen Bundes so unbeachtet verkümmern mußte – und eben so sonderbar, aber am Ende nicht unverdiente Vergeltung ist es, wenn trotzdem die deutsche Regierung von manchen dieser nur welsch redenden Deutschen – der Unterdrückung ihrer (der italienischen!) Nationalität beschuldigt wird, wobei sie dem Wortsinn nach freilich nicht Unrecht haben, nur daß die verkürzte Nationalität die deutsche und nicht die italienische ist.“

So spricht der österreichische Beamte!

Der Leser fragt voll patriotischen Zornes: „Wie konnte das geschehen?“

Um die Unparteilichkeit zu wahren, lassen wir einem Ultramontanen, von dem gewiß Niemand behaupten darf, er sei Oesterreich feindlich, das Wort: „Als im Jahre 1813 Südtirol von den österreichischen Heeren besetzt wurde und später auf dem Wiener Congresse wieder zu Oesterreich kam, war das Land durch die dreijährige fränkisch-italienische Herrschaft nur unbedeutend verwelscht, trotz der bekannten energischen Vorkehrungen der napoleonischen Regierung in dieser Richtung. Die Südtiroler betrachteten von Alters her ihr Gebiet als deutsches Reichsland, die Theorie der Sprachgrenzen war damals dem Gehirn der Menschen noch nicht entstiegen, daher begrüßte allgemeine Freude die Rückkehr der kaiserlichen Adler in diese Thäler. Nun wäre eine Zurückführung deutscher Bildungsanstalten, wie sie früher unter Oesterreich, dann während einer vierjährigen Periode von 1806 bis 1810 unter Baiern bestanden, nach den allergewöhnlichsten Regeln der Politik angezeigt und eine allmähliche Germanisirung Südtirols leicht auszuführen gewesen. Jeder größere Staat sucht die Regierungssprache auszubreiten und zur herrschenden zu machen, so Frankreich im Elsaß, Preußen in Posen, Rußland in seinem weiten Reiche, England in der ganzen Welt. Es ist bezeichnend für die in Südtirol vordem herrschende Strömung, daß viele Adelsfamilien deutsche selbstgewählte Prädicate von hiesigen Besitzungen führen, die sie jetzt in aller Stille rückübersetzen; daß beiläufig bis zu den dreißiger Jahren das Deutsche die Sprache der höhern Gesellschaft war und daß Oesterreich 1814 Vertrauensstellen, welche zuverlässige Beamte erforderten, im lombardo-venetianischen Königreich mit Südtirolern besetzte.

Es wäre also nicht schwer gewesen, die Spuren einer kurzen Gewaltherrschaft zu verwischen und das altgewohnte deutsche Wesen wieder einzuführen. Unsere Regierung that von alledem das Gegentheil. Die deutsche Sprache wurde nicht nur nirgends als obligat eingeführt, es bestand in den Gymnasien kein Lehrstuhl dafür; wer neben den andern Studien Deutsch lernen wollte, fand hierzu in den kaiserlichen Anstalten keine Gelegenheit. Noch mehr: in einigen Seitenthälern hatte sich die deutsche Sprache durch mehrere Jahrhunderte, nachdem das welsche Element im Hauptthale vorgedrungen, in ihren älteren Formen erhalten. Die Ausrottung derselben wurde österreichischerseits durch italienische Beamte und Seelsorger begonnen und glücklich vollführt. Die Regierung Victor Emanuel’s hätte es heute nicht besser zu machen verstanden. Diese Dinge klingen unglaublich, und doch hat sie hier jeder ältere Mann mit angesehen und mit erlebt. Es darf nicht vergessen werden, daß nach 1830, als eine siegreiche Revolution das Werk des Wiener Congresses in Frankreich und Belgien über den Haufen geworfen und Jungitalien seine ersten Sprünge machte, auf den hiesigen Gymnasien der liberale Luftzug als Teutophobie unvermerkt und unbeachtet durch die Hörsäle zu wehen begann. Daß die südtirolische Jugend, welche in den öffentlichen Schulen nicht deutsch, im Gegentheil alles Tedeske gründlich verlachen und hassen gelernt hatte, die Universitäten in Padua und Pavia den deutschen vorzog, war natürlich, nicht minder, daß diese Jugend ganz welsch gebildet und verbildet nach Hause kam.

Die Folgen dieses Systems, oder besser dieser Systemlosigkeit, kamen erst 1848 zu Tage, obschon sie für offene Augen fünfzehn bis zwanzig Jahre früher sichtbar waren.

Zur großen Verwunderung des Innsbrucker Guberniums hatte die italienische Revolution in Südtirol, besondern in den Städten, ein lautes Echo gefunden. Der Magistrat von Trient sagte in einem Manifeste am 20. März 1848, ,daß das Land seit langer Zeit den Augenblick ersehnt, sich mit seiner Nation, der italienischen, zu verbinden’. Die österreichische Armee stand damals in Verona und hatte durch ein paar Monate keine andere Verbindung mit der Monarchie, als über Tirol. Ein k. k. Gymnasialprofessor forderte öffentlich dazu auf, die Straße zu sperren, um den Feldmarschall Radetzky zur Uebergabe zu zwingen. Diese seit dem Jahre 1816 in den Kreisen der Halbbildung großgezogenen Gesinnungen hatten im Jahre 1848 keine Handlanger gefunden, die Sache war neu, in engen Grenzen bekannt und besprochen. Die seither verflossenen sechszehn Jahre wurden von der Partei der Italianissimi besser ausgenützt, als von der Staatsverwaltung.“

So spricht ein ultramontaner Freund Oesterreichs. Die Bevölkerung Welschtirols ist für Deutschland verloren, wenn wir auch dem Anspruch der Italianissimi gegenüber unser Recht auf jenen Boden nicht aufgeben dürfen, wie A. Flix in der Paulskirche ganz richtig hervorhob. Bliebe es jedoch nur bei Welschtirol! Immer weiter schreitet die Verwelschung gegen Norden vor, die Schule hat zu wenig Einfluß und beschäftigt sich mit andern Dingen, als der Weckung deutschen Gefühles; der Klerus betrachtet alles Deutsche ohnehin mit Argwohn, denn die deutsche Literatur ist ja protestantisch; die große Masse der Bevölkerung verharrt in dumpfer Abgeschlossenheit und träger Indolenz und wird so bleiben, bis man fremdem Capitale, fremder Intelligenz, und wäre sie auch lutherisch, freimaurerisch oder jüdisch, den Zugang öffnet.

Auf der Rückreise besuchte ich einen Freund zu Innsbruck. Wir gingen den Inn entlang spazieren; ich war von der Schönheit der Alpen an diesem Sommerabend so entzückt, daß ich einen Soldaten, der mit gepflanztem Bajonnet auf- und abging, ganz übersah. Da faßte mich mein Freund beim Arm und deutete mit einem Wink auf einen Thurm. Durch die Eisenstäbe der Gitter lugten blasse Gesichter – Welschtiroler, die wegen der Absicht eines Putsches, der zur Annexion an Italien führen sollte, in Untersuchung lagen. Die meisten hatten deutsche Namen, z. B Kandelberger und ähnliche. Es waren also verwelschte Deutsche. Hätte man ihre Väter bei der Stammsprache erhalten, so ständen sie als treue Grenzwache Deutschlands auf der Hochburg der Alpen gegen jeden Feind aus Süden, dem sie jetzt weit, weit die Thore öffnen und an das Herz fallen möchten. So büßt Oesterreich bitter, was es versäumt; den schwersten Schaden trägt jedoch Deutschland, das viel tausend Söhne verlor und, wenn Venetien verloren geht, das vorgeschobene Südtirol schwerlich zu behaupten im Stande sein dürfte.

H. Z.




Noch einmal der Pariser Geisterhumbug. Von zuverlässiger Hand gehen uns aus Frankreich die nachfolgenden interessanten Mittheilungen zu: Auf eine in Nummer 42 der Gartenlaube beschriebene Vorstellung der bekannten Gespensterschwindler Gebrüder Davenport erschien in den meisten Pariser Journalen eine interessante Polemik. Der Abendmoniteur publicirte einen Brief des ausgezeichneten Taschenspielers Robin, welcher über die letzte der Davenport’schen Sitzungen, der er beigewohnt, berichtet und die stattgehabten Geistermanifestationen auf die natürlichsten Ursachen zurückführt. Der Brief des Herrn Robin schließt mit einer Herausforderung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_735.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)