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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Du hast eine recht böse Zung’, Kathrin, das ist bei der Fräul’n gewiß nit so …“

„Net?“ fragte die Dirne und rückte traulich näher. „Sag’ einmal, wie lang ist es denn her, daß sie nicht mehr so gut mit Dir ist? Daß Du ihr nichts mehr recht machen kannst? Ist es nit seit der Priminz, seit ich Dir das Kranzel aufgesetzt hab?“

„Ja, ja,“ sagte Franzi nickend, „die Zeit wird wohl zutreffen …“

„Na also – siehst’, daß ich Recht hab’! Das war der erste Verdruß, daß Du Kranzeljungfer ’worden bist und sie nit …“

Franzi lachte hell auf wie ein Glöckchen … „Was Du bös bist!“ rief sie. „Dazu ist die Fräul’n ja doch …“

„Zu alt, meinst Du? Auf das kommt’s nit an. Der zweit’ Verdruß war, daß der – Moosrainer Isidor, will ich sagen, der junge Herr, den Ehrentanz mit Dir gemacht hat und nit mit ihr, sie hat einmal ein Augenmerk auf ihn …“

Franzi erglühte, wie eine Antlas-Rose … „Das sind schon wieder gotteslästerliche Reden,“ flüsterte sie, „ich mag nichts mehr hören …“

„Derenthalben wird’s doch nit anders!“ lachte Kathrin. „Warum hätt’ sie sonst überall herumgered’t im Dorf, daß sie es dahin bringen will, daß der Herr hier bei uns bleibt? Warum hätt’ sie ihm einen solchen Empfang gemacht, der ihr fein sauber in’s Wasser gefallen ist? Warum hat sie Dich ganz vorn hingeschoben, als damit der Herr, der Dich als Kranzeljungfer g’sehn hat, Dich im Stallgewand sehen soll, dieweil sie dabeigestanden und auf’putzt g’wesen ist, wie der Pfingstl?“

Die Hausglocke ertönte und oben im Gange wurden rasche Tritte hörbar.

„Sie kommt!“ rief Kathrin. „Da nehm’ ich meinen Kübel und mach’ mich fort, sie braucht’s nit zu merken, daß wir sie ein Bissel ausgericht’t haben …“

Sie verschwand. Franzi fuhr mit beklommener Emsigkeit in ihrer Arbeit fort; nach wenigen Augenblicken stand das Fräulein schon vor ihr und schnauzte sie an, was sie hier mache.

„Was Sie mir angeschafft haben,“ antwortete sie ruhig, „ich schäle die Aepfel zu den Kücheln …“

„Dummes Ding.“ rief das Fräulein keifend und entriß ihr die Schüssel, daß die Aepfel zur Erde kollerlen, „kannst Du nicht verstehn, was ich sage? Warum soll ich heute, an einem simpeln Werktage, Aepfelküchel backen? Ist das Haushalten nicht theuer genug? Geht nicht schon Geld genug auf?“

Franzi las ruhig die Aepfel auf. „Aber Fräul’n,“ sagte sie schüchtern, „Sie haben es doch angeschafft und haben gesagt, es wär’ wegen …“

„Pack’ Dich in Deinen Stall!“ schrie die Andere entgegen. „Nichts habe ich gesagt, vom nächsten Feiertag habe ich gesprochen. Es wäre wohl der Mühe werth, so viel Aufhebens zu machen wegen eines solchen …“

Sie verstummte, denn die nach der Küche führende Thür ging auf und an der Schwelle stand eine hagere Gestalt in einem langen, schwarzen, sehr abgetragenen Rocke, mit einst weiß gewesener Halsbinde und einem unförmlichen Hute, dessen Krempe der Mann mit behenden Fingern im Kreise herumlaufen ließ. Das Gesicht war von scharfgeschnittenen, gemeinen Zügen und das Haar verrieth, obwohl es bäurisch kurzgeschoren war, seine brandrothe Farbe nur zu deutlich.

„Ei, sieh da, der Herr Schullehrer!“ rief das Fräulein, plötzlich umgewandelt, mit dem freundlichsten Lächeln. „Sie kommen ja zu ganz ungewohnter Zeit … ist denn die Schule schon aus …?“

„Nein, hochgebornes, höchstgeehrtes Fräulein,“ antwortete der Schullehrer mit tückischem Augenblinzeln, „aber ich habe mich auf einen Augenblick losgemacht … der neue Herr Caplan ist drüben, und da wollte ich in aller Geschwindigkeit dem Herrn Pfarrer …“

„Ah, ich verstehe Sie …“ rief nähertretend das Fräulein, „schade nur, daß Hochwürden Herr Onkel nicht zu Hause sind; aber ich bin da. Sagen Sie mir, was Sie zu sagen haben, ich werd’ es bestellen, wie er heimkömmt … Hab’ ich es errathen? Betrifft es den neuen Caplan? Er macht auch drüben, auch in der Schule verkehrte Sachen?“

„Schauderhafte!“ seufzte der Schullehrer wie zuvor. „Er verfährt in einer Weise, wie sie hier zu Lande noch nie dagewesen, – so lang’ eine Schule besteht … Hochgebornes, höchstgeehrtes Fräulein, es sind bald zehn Jahre, daß eine hohe, reichsgräfliche Gutsherrschaft für Belohnung treuer Dienste, so ich dem jungen Herrn als Kammerdiener auf Reisen und auch in sonstigen Dingen geleistet, mich auf den Schuldienst loci präsentirt hat: es ist ein gutes Plätzchen, das seinen Mann nährt, und ich befinde mich in dem bequemen Hause und den Grundstücken, die dazu gehören, wie der Fisch im Wasser, aber wenn dieser neue Herr Caplan noch einmal in meine Schule kommt, dann nehme ich den Hut untern Arm, hänge den Schlüssel an den Nagel und gehe auf und davon …“

„Erzählen Sie doch,“ drängte das Fräulein, indem sie den Erregten am Arm faßte und in das nahe Gemüsegärtchen führte. „Kommen Sie da herein, da sind wir ungestört, und damit Niemand erräth, wovon wir reden, geben Sie sich den Anschein, als wenn Sie mir Etwas an meinen Pflanzen und Samen bemerken wollten …“

„Vortrefflich!“ sagte der Schullehrer, geschmeidig nachschlüpfend, und bückte sich, der Weisung gemäß, zu den Kohlköpfen nieder; „es würde mich auch umbringen, wenn ich es nicht erzählen dürfte. Zuerst, wie der Herr in’s Schulzimmer kam, da wollt’ ich ihm eine Ehre anthun und ließ die Kinder den Katechisi aufsagen und den schnurrten sie her, daß es nur so eine Lust war. Ich denke, wie’s vorbei ist, nun wird das Lob nicht ausbleiben, aber statt dessen fängt er die Kinder zu fragen an, ob sie das, was sie auswendig gelernt hätten, auch verständen, und setzt ihnen und nebenbei auch mir auseinander, daß das Denken die Hauptsache sei beim Lernen … Er hatte die Weber’s Hanne vorgenommen und wollte ihr das Denken lernen … Höchstgeehrtes Fräulein, die dickköpfige Weber’s Hanne und meine Bauerntölpel alle … und denken!“

„Schön, recht schön! Das sind ja herrliche Grundsätze für einen Caplan!“ rief giftig das Fräulein. „Aber weiter, weiter!“

„Es ging dann bald nicht mehr weiter,“ fuhr der Lehrer fort. „In der hintern Bank fingen ein paar Buben zu raufen an, des Wirths seiner und der Steiger Lenz. Die beiden Schlingel können kaum über den Tisch heraussehen, aber sie haben eine Feindschaft aufeinander, wie ein paar Große, und wo sie nur können, prügeln sie sich durch. Ich hab’ daher gleich meinen Haslinger hervorgeholt und wollt’ ihnen tüchtig über die Köpfe … da … ich hab’ gemeint, der Schlag müßte mich rühren auf dem Fleck … da nimmt mir der Herr Caplan den Stock aus der Hand, läßt die beiden Lümmel vor sich hinkommen, den einen rechts und den andern links, und mir sagt er, die Kinder müsse man mit Liebe ziehen … ich bitte Sie, Fräulein, kann man so was ruhig anhören? Den Hinterpolster gehörig ausgeklopft, wer nicht pariren will, das ist die wahre Liebe!“

„Und die Buben?“

„Die haben ihn angeschaut, wie die Kuh das neue Thor, dann hat er angefangen, ihnen zu erzählen, daß er auch einmal in dieser Stube gesessen und ein Bauernbub’ gewesen sei, wie sie, und daß er noch jedes Kind gern habe, das da zu Hause sei, und daß sie einander auch gern haben sollten, und hat ihnen die Geschichte erzählt von David und Jonathan … Da hab’ ich’s nicht mehr ausgehalten, ich hab’ gesagt, es wär’ mir übel, und das war auch wahrhaftig nicht gelogen … ich machte, daß ich fortkam, und sah nur noch unter der Thür, daß die Buben zu flennen anfingen und der neumodische Friedensstifter ihre Hände ineinanderlegte …“

„Es ist genug,“ rief das Fräulein, „ich werde dem Herrn Onkel, wie er nach Hause kommt, Alles gehörig auseinandersetzen … Es ist klar, wir haben uns Alle in diesem Menschen getäuscht … er ist ein Freigeist, vielleicht gar …“

„Ein zerstörender Wurm mitten in dem Herzen der gesunden Pflanze,“ sagte der Lehrer, über eine Kohlstaude gebückt … „den muß man zertreten …“ Er nahm den Wurm vom Blatt, schleuderte ihn zu Boden und zertrat ihn im Kies des Weges. „Meine ganze Hoffnung ruht auf Ihnen, hochgebornes, höchstgeehrtes Fräulein; Sie vermögen Alles! Befreien Sie mich, befreien Sie die unverdorbene Jugend von diesem heimlichen Freimaurer … Und ach,“ fuhr er mit zärtlichem Augendrehen fort, „wenn Sie auch meiner andern geheimen Wünsche nicht vergessen wollten … Die Behausung eines Dorfschullehrers ist zwar nicht würdig, daß solcher Glanz in sie einziehe, allein ein Wort von Ihnen verschafft mir eine Lehrerstelle in der Stadt, und dann dürfte ich vielleicht hoffen, daß diese seine Hand aus ihrer Höhe herniederreicht und ihren innigsten Verehrer zu sich emporzieht …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_738.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)