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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Der zärtliche Bewerber sprach diese Worte, indem er dem Fräulein eine ausgewachsene Salatdolde vorhielt und wie erklärend daran herumdeutete.

Mit gezierter Verschämtheit nahm sie die Dolde in Empfang, als wär’ es eine jungaufbrechende Rosenknospe, und wandte sich zum Gehen. „Ich habe das Gelübde gethan, meine Tage in jungfräulicher Reinheit zu verleben, und es ist sündhaft von Ihnen, einen so frommen Entschluß erschüttern zu wollen; aber wenn es so der Wille Gottes sein sollte, würde es Sünde sein, ihm zu widerstreben!“ –

Der Pfarrer war bei dem Gutsherrn zu Tisch geblieben und kam erst zum Abendessen zurück. Die beiden Geistlichen nahmen es gemeinsam ein; nachdem abgespeist war, erschien das Fräulein und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Es war das ihr Hausrecht, sowohl als Verwalterin wie als Verwandte des Hausherrn. Sie war wieder so freundlich und lächelnd wie am Morgen; der Anblick des hübschen jungen Mannes hatte sie wieder in etwas besänftigt und entwaffnet, und sie schwankte noch, ob sie ihrem Grimm sofort freien Lauf lassen oder dem Frevler Zeit lassen solle, sich eines Andern zu besinnen. Während eines allgemeinen gleichgültigen Gesprächs, in welches Isidor einige anziehende Mittheilungen aus der eben erst verlassenen Hauptstadt verflocht, neigte sie sich immer mehr zur Milde, und es war eine Art von Vermittlungs-Versuch, daß sie von der Schule zu sprechen begann, das dort Vorgefallene erzählte und über die Neuerungen des Caplans in einem leichten spöttischen Tone sich erging. Sie war dabei mit häuslicher Arbeit beschäftigt, indem sie ein schadhaftes Stück Leinen ausbesserte. Isidor hörte gelassen zu und versuchte einigemal, das Gespräch auf etwas Anderes zu bringen, aber je zurückhaltender er sich benahm, desto muthiger drang sie vor und rückte ihm zuletzt geradezu mit Fragen auf den Leib.

„Sie antworten nicht, Herr Caplan?“ sagte sie. „Das beweist, daß Ihre Gründe auf so schwachen Füßen stehen, daß Sie deren Widerlegung fürchten und sich deshalb mit denselben nicht herauszutreten getrauen. Ich bleibe dabei, daß die Pädagogik mit ernster Strenge weiter kommt, als mit schwächlicher Güte…“

Isidor neigte sich etwas über den Tisch und zeigte mit dem Finger auf die Näherei. „Diesen Lappen sollten Sie hierher setzen, mein Fräulein,“ sagte er.

Sie lachte auf. „Das hieße geradezu, wie man im Sprüchwort sagt, den Flecken neben das Loch setzen!“ rief sie. „Nein, das sehe ich schon, bei der Näherei dürfen Sie nicht mit reden, davon verstehen Sie nichts …“

„Was schadet das?“ fragte er unbefangen entgegen. „Es kommt wohl öfter vor, daß Jemand über Dinge mit spricht, die er nicht versteht …“

Die Getroffene saß einen Augenblick wie unbeweglich, dann stieß sie mit funkelnden Augen den Stuhl zurück, daß er zu Boden schlug, eilte aus der Stube und warf die Thür hinter sich in’s Schloß, daß das Haus in den Grundvesten erbebte.

„Ei, ei, mein junger Herr,“ sagte der Pfarrer, „was machen Sie denn? Stören Sie mir doch den Hausfrieden nicht, der geht mir über Alles! Wer das Regiment der Liebe so eifrig verficht, der sollte mehr Nachsicht haben mit den Schwächen der Menschen!“

„Ich bekenne mein Unrecht,“ entgegnete Isidor beschämt, „und werde es morgen auch dem Fräulein gegenüber thun, eine augenblickliche Aufwallung des Zorns und Unmuths riß mich dahin … es ist die Gemüthsregung, die ich leider noch immer nicht völlig zu beherrschen vermag. Meine Rechtfertigung kann ich nur darin suchen, daß ich durch den vorausgegangenen Spott gereizt war!“

„Spott? Du lieber Gott, das müssen Sie so scharf nicht nehmen! Das ist nun einmal die Manier meiner Nichte … an die werden Sie sich schon gewöhnen. Muß man sich doch an so gar Manches gewöhnen im Leben!“

„An nichts, was den Grundsätzen eines Mannes widerspricht. Eh’ ich an Solches mich gewöhne, will ich zu Grunde gehen!“

Der Pfarrer sah ihn gütig an. „Sehen Sie, junger Herr,“ sagte er, „das könnt’ ich nun auch übelnehmen, aber ich thu’s nicht, weil mir Ihre Frische und Natürlichkeit gefällt! Na, neue Besen kehren gut; werden auch anders reden, wenn Sie einmal Ihre Fünfzig auf dem Rücken haben, und werden wie ich einsehen, daß es nichts Besseres giebt, als die Ruhe! Meine Nichte hat ihre schlimmen Seiten, aber ich bin an sie gewöhnt und bin ihr Verpflichtungen schuldig … Sehen Sie, meine Pfarrei ist mit großer Oekonomie verbunden … wie hätte ich die übernehmen können, ein armer Taglöhnerssohn, der schon seine Studien nur mit Noth, Entbehrung und Geduld durchmachen mußte? Ein Bruder meines Vaters hatte studirt, war ein hoher Beamter geworden und hatte glücklicher Weise seiner einzigen Tochter ein Vermögen hinterlassen, das für sie nicht ausreichte, für mich aber mehr als genug war. So nahm ich sie zu mir und es war uns Beiden geholfen. Ich bin noch immer ihr Schuldner … die Zeiten sind allzu schlecht, das Getreide hat keinen Preis … das ist das Unglück!“

Isidor erhob sich. „Ich habe kein Recht, hier eine Meinung auszusprechen,“ sagte er, „aber das weiß, das fühle ich, daß ich eine solche Stellung nicht ertrüge …“

„Du lieber Gott, Gewohnheit thut viel,“ entgegnete der Alte, „und Nothwendigkeit noch mehr! … Weiß wohl, die Jugend hat allerlei schöne Träume, ich habe sie auch gehabt; aber das Leben zertrümmert all’ das bunte Spielzeug, daß man froh sein muß, wenn man eine Scherbe retten und als Erinnerung in einen Winkel flüchten kann! Also thun Sie mir den Gefallen, Herr Caplan, und stören Sie mir den Hausfrieden nicht … und jetzt gute Nacht, ich muß noch mit dem Baumann reden, der fährt morgen mit Haber auf die Schranne … vielleicht kann er doch auch ein paar Scheffel Korn mitnehmen …“

Das war der erste Abend im Pfarrhause.

Wohl versuchte es Isidor, am andern Tag seine Unart gut zu machen, seine Entschuldigung wurde mit kalt ablehnender Höflichkeit angehört, aber das Verhältniß war und blieb gestört. Der Herbst machte dem Winter Platz, ohne daß Besonderes vorfiel und hierin sich Etwas änderte. Isidor, viel beschäftigt, war artig, aber gemessen; das Fräulein ging mit einer Miene herum, in welcher verhaltener Grimm lauerte, wie ein Gewitter am Horizont, das nur eines Windzuges bedarf, um loszubrechen. Eine Menge kleiner Vorfälle dienten, wie Wetterleuchten die Lage zu beleuchten. Isidor’s Gesundheit hatte sich noch immer nicht befestigt, und als der Winter mit besonderer Strenge eintrat, zeigte sich ein Brustleiden mit quälendem Husten, das eine gefährliche Wendung nehmen konnte und darum Vorsicht erheischte. Der Arzt verordnete leichte Speisen, die Haushälterin verweigerte sie, weil der Caplan nichts anzusprechen habe, als die gewöhnliche Kost; der Leidende sollte zu verschiedenen Zeiten Thee trinken, das Fräulein schlug die Bereitung als zu mühsam ab; die Winterkälte war in dem großen Caplanei-Zimmer doppelt empfindlich, sie gab täglich nur ein bestimmtes vorgezähltes Maß von Holzscheiten, mit denen ausgereicht werden mußte. Mehr als einmal war Isidor, durch seine Kränklichkeit besonders reizbar, nahe daran, in Zorn aufzulodern, umsomehr, als die Absichtlichkeit dieser Quälereien offen zu Tage lag; aber er bezwang sich und half sich durch Vermittlung seiner Eltern, denn vom Pfarrer war Hülfe nicht zu erwarten. Dieser stand ganz unter der Gewalt des Fräuleins und war ihr gegenüber vollständig ohnmächtig; wagte er einmal einen schwachen Versuch des Widerstands, so endete der Auftritt immer mit Weinen, Geschrei und der trotzigen Erklärung, der Herr Onkel solle ihr Geld herauszahlen, dann wolle sie ihm nicht mehr im Wege sein.

Franzi kam Isidor fast nie zu Gesicht; geschah es, so war die ganze Begegnung von seiner Seite ein freundlicher Gruß, von ihr eine ehrerbietige stumme Verbeugung.

So kam Weihnachten heran.

Isidor war in seiner Stube, der Stunde harrend, wo der mitternächtliche Gottesdienst, die Christmette, beginnen sollte. Sinnend trat er an’s Fenster und schaute in das blitzende Sterngewimmel der kalten Winternacht, von dem die Freude der Himmel herniedersteigen sollte, und auf die schneebedeckten Dächer der Bauernhäuser, aus deren niedrigen Fenstern röthlicher Schimmer auf den davor aufgehäuften Schnee fiel und all die Erdenfreude verkündete, die dahinter sich vorbereitete. Plötzlich störten eilende Tritte auf dem frostknarrenden Wege ihn aus seinen Gedanken, die Hausglocke ertönte heftig gezogen und eine jammernde Weiberstimme verlangte nach dem Geistlichen. Es war die Magd aus der Schmiede, die mit der Nachricht kam, die Schmiedin liege im Sterben, sie habe einen Streit mit Vigili gehabt, der mit Thätlichkeiten geendet. Nach wenig Augenblicken eilte Isidor dem Schmiedehause zu.

Als er zurückkam, war der Pfarrhof leer; alle Anwohner befanden sich bei dem Gottesdienst in der Kirche, aus welcher das Hosiannah der Orgel feierlich herübertönte. Erst nach mehrmaligem Klopfen wurde geöffnet und Franzi stand vor ihm, ebenfalls zum Kirchgang gerüstet.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_739.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)