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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und erhabenste Felsgebilde der gesammten Alpenwelt; aus grünem Vorgrund von Matten und Waldhügeln gipfelt sich ein Amphitheater von Felsen empor, so riesig, so thurmartig, so gestaltenreich und schwindelhoch, daß wir lautlos nur hinaufschauen und Gott danken, der uns bis hierher geführt hat. Dieser Anblick allein ist viele Tagereisen, Mühen und Gefahren werth. Die weitgereistesten Männer finden nur in den Pyrenäen europäische Seitenstücke zu diesem Naturwunderbau. Hier betritt man den Hochwald, um sich zu einer Stelle emporzuarbeiten, die eine Uebersicht der ungeheuren Festungswerke gewähren soll, deren Unbezwingbarkeit mit jedem Schritte mehr einleuchtet. Nach zwei Stunden mühseligen Kletterns über Steingeröll und Holzriesen und einer halben Stunde weiteren Steigens steht man vor der Bergwand Okreschel (Rundung), von welcher eine Cascade etwa fünfzig Fuß hoch herabstürzt. Hier überschauen wir das ganze Panorama der Sulzbacher Hochgebirge, der ununterbrochenen Wälle und himmelaufragenden Thürme dieser – Räuberburg! Zur Linken zeigt uns jetzt die Oistritza ihr Doppelhaupt, näher rücken uns die Pyramiden und Kronenzacken des Kotschna-Gebirgs, die bis zu 8580 Fuß aufragen, aber Alles überstrahlt die Hoheit und Pracht der Rinka, der über 9000 Fuß hohen Jungfrau dieser Berge, die noch kein Sterblicher bestiegen hat.

So sehen wir nach allen Seiten, nach Steiermark, nach Kärnthen und hier nach Krain hin, die Festung der Sulzbach sturmfrei geschlossen. Nur wenige (im Ganzen vier), ebenso beschwerliche wie gefährliche Alpensteige führen aus dem Thal nach Kärnthen und Krain, und auch sie scheinen mehr als Ausfallpforten für die Räuber, denn für den Verkehr mit jenen Nachbargegenden da zu sein. Die nur den kühnsten Bergsteigern zugänglichen Plateaus der meilenweiten Wälle dieser Felsenburg sind bedeckt mit undurchdringlichem Urwald und belebt von Urwalds-Thiergeschlechtern, die sich einer vollkommen amerikanischen Freiheit erfreuen.

Nachdem somit der Leser einen Blick in die Fels- und Urwaldburg von Sulzbach gethan, wird er die Möglichkeit erkannt haben, daß hier Zustände sich ausbilden konnten, wie sie Schiller’s jugendfeurige Phantasie für „die böhmischen Wälder“ kaum großartiger ersonnen hat. Dazu gehörte allerdings, daß die Bevölkerung des Thals selbst für ein der staatlichen Ordnung feindseliges Treiben empfänglich war oder durch die Vortheile, die es ihr bot, gemacht wurde. Abgeschlossen vom großen Verkehr der Welt, auf niederster Bildungsstufe stehend und durchschnittlich arm, vermochte sie mit ihrem moralischen Fonds der Verführung schon an sich kaum zu widerstehen, hier half aber außerdem die angeborene Gutmüthigkeit des Alpenvolks über die letzten Bedenken hinweg, denn die große Mehrzahl und wahrscheinlich überhaupt die ersten Schaaren der zu ihr Geflüchtetnn bestanden aus Deserteuren und der Recrutirungspflicht Entwichenen. Diese vor ihren Verfolgern sicher zu stellen, hielt man für ein gutes Werk; solchen Söhnen der Wildniß gilt die Obrigkeit nicht als Beschützer, dessen Gebote dem allgemeinen Wohl dienen, sondern als eine feindliche Gewalt, die man sich allezeit fern halten muß.

Dieser wilde Begriff vom Staat gab den Sulzbachern frühzeitig das klügste Mittel ein, ihr Thal und seine Gehöfte möglichst vor dem Besuch von Gensd’armen zu sichern. Sie wußten aus Erfahrung, daß die häufigste Veranlassung dazu die Steuereintreibung gab, und deshalb besorgten sie dieselbe unter sich selbst und schickten das Geld stets pünktlich zu den bestimmten Terminen an die Behörde, gewiß auch eine seltene Erscheinung im österreichischen Staate. Aber die Sicherheit gegen die Obrigkeit, die dadurch im Thale fühlbar wurde, mochte nun die Hauptveranlassung sein, daß auch die vom Gesetz verfolgten Verbrecher aller Art dort ihre Zuflucht suchten. Hatten bisher die Flüchtlinge meist als Arbeiter in den Holzschlägen und als Wildschützen ihr Brod verdient, so kam jetzt als neuer Erwerbszweig der Raub dazu, zu dem bald von verwegenen Führern auch mancher in dieser Beziehung vorher Unbescholtene verlockt wurde.

Solche Raubzüge wurden Jahre lang mit ebensoviel List wie Kühnheit ausgeführt. Ihre Ausfallpforten, die selten von anderen Menschen betretenen Bergpfade nach Kärnthen und Krain benützend, brachen sie aus dem Dunkel der Wälder und der vielen Höhlen des Gebirgs oft meilenweit bis zu den Heerstraßen des großen Verkehrs vor und wußten stets ihre Flucht nach dem Raubanfall so geschickt einzurichten, daß kein Verdacht auf ihre große Räuberburg fiel. Die Straße von Graz nach Laibach mit dem großartigen Verkehr zwischen Wien und Triest war zu Zeiten durch die vielen nächtlichen Raubanfälle förmlich berüchtigt, so daß Gensd’armerie und Militär zur Sicherheit derselben aufgeboten werden mußte; dennoch fiel der Verdacht eher auf Croaten und Zigeuner, als auf die „freien Flüchtlinge“ von Sulzbach. Drang aber ja einmal die bewaffnete Macht in das Thal, um Haussuchung anzustellen, so gingen die Warnrufe und Warnzeichen von Berg zu Berg, von Haus zu Haus, und nie fand man etwas Anderes, als die „friedlichen Bewohner“ und ihr unverdächtiges Eigenthum. Die Burg war groß genug, um eben so viel Tausende zu beherbergen, als Hunderte in den reichlich verproviantirten Höhlen und Schluchten und auf Urwaldhöhen, wohin nur der Wildschütze den Gemsenpfad kannte, des Gesetzes und seiner Wächter lachten. Wurden sie aber auf frischer That überfallen und verfolgt, so scheuten sie auch kein Mittel der Vertheidigung. Im Jahr 1839 wollte eine Schaar Soldaten aus Kärnthen in das Thal eindringen, um Recrutirungspflichtige dort auszuheben; diesen widersetzten sich die „freien Flüchtlinge“, indem sie mächtige Felsbrocken von den Höhen auf sie hinabschleuderten. Viele dieser Kärnthner fanden den Tod und kein Lebender kam ohne schwere Wunden davon. Dennoch wurde dem Unwesen nicht schon damals ein Ende gemacht, ja es scheint sogar von dieser Zeit an, wo man von der Gefährlichkeit der Bevölkerung der Sulzbacher Gebirge endlich überzeugt sein mußte, die Unbezwinglichkeit dieser Räuberburg zum festen Glauben bei dem Volke und selbst bei den Behörden der benachbarten Provinzen geworden zu sein.

Dieser Glaube war aber nicht weniger fest bei den „freien Flüchtlingen“ selbst. Ihr Uebermuth kannte bald keine Grenzen mehr und gedieh zu seiner höchsten Blüthe, als im Jahre 1848 die Sage von der großen Freiheit draußen im Reiche und sogar in Wien bis in das Thal von Sulzbach gedrungen war. bei dem Sulzbacher Begriff vom Staat nahm natürlich auch der von der neuen großen Freiheit eine ganz eigenthümliche Gestalt an. Die „freien Flüchtlinge“ hielten sich nunmehr für berechtigt, ihr freies Leben auf Kosten Anderer fortzuführen, da es ja zugleich ein Kampf gegen die „herrische“ Obrigkeit war. Am hellen Tage fielen sie in bewaffneten Hausen in Kärnthen ein und brandschatzten die Ortschaften. Dies wagten sie nach und nach immer großartiger, dehnten ihre Razzias bis Windisch-Kappel und Schwarzenbach, ja schließlich bis Bleyburg aus, das trotz seiner zwei Gerichte und eintausend Einwohner sich der Räuber Execution unterwerfen mußte. Das wären die goldenen Tage von Sulzbach: „ein Leben voller Wonne!“

Allein nicht so bald, als die Kunde von der großen Freiheit, war die Kunde von der großen Reaction in das Thal gekommen; hier schwärmte man noch in der üppigsten Freiheit, während sie „draußen im Reich“ schon wieder begraben war. Dieser Irrthum half die Sulzbacher „freien Flüchtlinge“ in gar zu große Sicherheit einwiegen, sie versäumten die alten Vorsichtsmaßregeln, und dies führte auch für sie den tödtlichen Schlag herbei.

Am 17. December 1851 hatte sich eine Patrouille von drei Gensd’armen von Kappel in Kärnthen nach Sulzbach gewagt; der Warnungsruf muß diesmal unterblieben sein, denn sie fanden mehrere Deserteure, fesselten sie und führten sie ab. – Kaum hatten sie jedoch den Gebirgswall überstiegen und den jenseitigen Weg nach Kappel eingeschlagen, so fielen über sechszig der „freien Flüchtlinge“ über sie her, schlugen mit Haken und Cepinen (Griesbeilen mit Haken zum Heben und Schleppen der Holzblöcke) auf sie ein, verstümmelten sie auf das Grausamste und stiegen als Sieger mit den befreiten Gefangenen in ihre Burg zurück. Das war ihr letzter Triumph.

Von den drei Gensd’armen hatte einer sich noch bis Kappel hingeschleppt, die beiden andern waren von einem Hammerschmied, der des Weges kam, aufgefunden und ebendahin gebracht worden. Die Folge der Anzeige dieses Ueberfalls war der Beschluß, endlich einmal „in der Sulzbach“ gründlich aufzuräumen. Nachdem die Behörden der drei Provinzen Kärnthen, Krain und Steiermark die diesmal ungewöhnlichen Maßregeln geordnet, setzten sich Anfangs Januar 1852 mit der verstärkten Gensd’armerie bedeutende Militärmassen gegen die Felsenburg von Sulzbach in Marsch, von Cilli aus Abtheilungen des Infanterie-Regiments Prinz Emil von Hessen, um über Leutschdorf den uns bekannten Weg in das Thal zu verfolgen, und von Kärnthen aus mehrere Compagnien vom Infanterie-Regiment Wimpfen, die über Sappel vordrangen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_745.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)