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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

So hatte diese Wissenschaft selbst den größten Mann der Zeit, nebst seiner glänzenden Umgebung, zur Theilnahme an ihrer Thätigkeit zu erregen vermocht – obwohl sie damals bekanntlich die Kinderschuhe sich noch keineswegs ausgetreten hatte. Unter allen den hier versammelten würde dem unbefangenen Blick ein junger Mann, der Assistent eines der bedeutendsten Chemiker, aufgefallen sein, ein noch jugendlicher Mensch mit langem, pechschwarzem Haar, welches wirr das schmale, fast aschfarbene Antlitz umflatterte, in dem wiederum die großen, dunklen Augen gar seltsam düster brannten. Zu dergleichen Beobachtungen hatte jetzt jedoch Niemand Muße, denn die gespannteste Aufmerksamkeit Aller war ja auf die sich vorbereitenden Experimente gerichtet. François Bossé, wie er hieß, drängte sich immer in die Nähe des Kaisers und dieser wich, wie unwillkürlich, seiner unheimlichen Erscheinung stets scheu aus.

Jetzt sollten die Experimente beginnen. In großen Tiegeln, über furchtbarem Feuer, sollte geschmolzenes und glühendes Aetznatron dem ungeheuern Einfluß der galvanischen Elektricität ausgesetzt werden. Alle Zuschauer drängten sich neugierig heran, um von den Erscheinungen des interessanten Vorgangs auch nicht das Geringste zu verlieren. Plötzlich stellt sich François Bossé mitten in den schmalen Durchgang, der für den Kaiser offen geblieben, und dieser muß, um schnell heranzukommen, dem zudringlichen Menschen wieder ausweichen; – da, urplötzlich donnert die gewaltige Kraft der voltaischen Säule los (der Kaiser ist dem Leitungsdraht zu nahe gekommen) und, von der ganzen, furchtbaren Gewalt des elektrischen Stromes getroffen, stürzt er zusammen, leblos zur Erde.

Der große Imperator Frankreichs, der Welten erobert, Throne gestürzt und neue gestaltet, dessen allmächtiger Wille Fürsten, Könige und Herzoge geschaffen, vor dem Kaiser und Gewalthaber gezittert und sich um seine Freund- und Bruderschaft gedrängt, er, der unumschränkte Herr und Gebieter fast der gesamten Erde – er liegt da im Staube; seine allgewaltige Menschenmacht konnte ihn nicht schützen vor einem Funken der Naturkraft!

Napoleon ward gerettet. Zwei Hülfsarbeiter in dem chemischen Laboratorium hatten François Bossé beobachtet und waren in sein finsteres Geheimniß gedrungen. Ein glühender Republikaner und von einer hoffnungslosen Liebe vollends seiner klaren Ueberlegung beraubt, hatte er den wahnsinnigen Plan des Kaisermordes, bei dieser Gelegenheit, gefaßt. Während er alle Vorbereitungen zur Ausführung der That noch mit der größten Umsicht und Ueberlegung in’s Werk gesetzt, da umdüsterte sich bereits sein Geist, denn sein schwacher, wohl zu zart organisirter Kopf war den lange andauernden Aufregungen, der in’s Ungeheuere entfachten Spannung nimmer gewachsen. Darum ward es jenen Beiden auch sehr leicht, seine Absichten zu durchschauen – und zu vereiteln.

Gerade zur rechten Zeit vermochte der eine unbeachtete Famulus einen Theil der elektrischen Leitung zu unterbrechen, so daß der Kaiser nur von einem verhältnißmäßig schwachen Strome getroffen wurde; hätte dies nicht geschehen können, so würde Napoleon unfehlbar verloren gewesen sein.

Der nach dem anscheinend gänzlichen Gelingen seiner That vollends wahnsinnig gewordene Mensch stürzte sich, als er später Napoleon zu Pferde sah und seinen Geist zu erblicken wähnte, in die Seine.

Die hier erzählte Thatsache ist wenig in das Publicum gedrungen.

Man sagte: der Kaiser sei dem Leitungsdraht unvorsichtiger Weise zu nahe gekommen, habe aber, außer einer kurzen Ohnmacht, keinen Schaden weiter genommen. Thatsächlich ist es aber – daß Napoleon seitdem nie wieder ein chemisches Laboratorium betreten hat.

E. R.




Rossini und seine Verehrer. Rossini ist trotz seines vorgerückten Alters meist sehr jovialer Laune und man erzählt sich manche witzige Aeußerung von ihm. Er bewohnt für gewöhnlich eine reizende Villa in Passy bei Paris oder hält sich auch wochenlang in Paris selbst auf. Von früh an bis zwei Uhr Nachmittags arbeitet er oder empfängt Besuche in seinem Schlafzimmer; dann geht er entweder vor seiner Villa oder, wenn er in Paris ist, in der Orleansgalerie des Palais Royal spazieren.

Ein Fremder, welcher dorthin gegangen war, um den berühmten Componisten zu sehen, konnte dem Wunsche nicht widerstehen, mit ihm zu sprechen. Er nahm all’ seinen Muth zusammen, redete ihn an und drückte ihm, so gut es gehen wollte, seine Freude aus, einen so großen Mann zu sehen.

Rossini reichte ihm die Hand und meinte lächelnd: „Betrachten Sie mich, so lange Sie Lust haben; fürchten Sie nicht, mich irgendwie dadurch zu geniren. Gehen Sie rund um mich herum, wenn Sie wollen!“ –

Ein anderer Fremder, der ihn zu Hause aufsuchte, fand ihn ziemlich verdrießlich, da er seit dem Erwachen schon zehn bis zwölf Empfehlungsbriefe zu schreiben, eine Masse Photographien zu unterzeichnen und zu adressiren und eine ganze Schaar von Albums mit einigen Tacten seiner musikalischen Handschrift zu verzieren gehabt. Als er den Besucher eintreten sah, rief er:

„Gott, wie unangenehm ist doch die Berühmtheit! Was für glückliche Leute sind die Charcutiers!“ (Fleischwaarenhändler).

„Warum sind Sie keiner geworden?“ entgegnete scherzend der Fremde „Sie hatten es ja sehr leicht, diesen Stand zu erlernen, als Sie in Ihrer Kindheit in Bologna bei einem Charcutier in Pension waren.“

„Ich hätte es schon gewollt,“ erwiderte Rossini, „allein es ging nicht – meine Schuld war es nicht, aber ich wurde schlecht berathen.“

Dabei lachte er recht herzlich und seine üble Laune war verschwunden; er erzählte dem Besucher im Laufe der Unterhaltung auch noch eine sehr nette Anekdote von Chopin, die ihn höchlich amüsirte.

Chopin war bei irgend einem Bankier zu Tische geladen, einem jener wenig zartfühlenden, geldstolzen Menschen, welche einen Künstler stets dazu nöthigen möchten, den Preis seiner Mahlzeit zu bezahlen.

Beim Aufstehen vom Tisch drängte ihn die Herrin des Hauses mehr als nöthig, sich an’s Clavier zu setzen, und sagte wiederholt:

„Spielen Sie uns doch Etwas!“

„Ach, Madame!“ entgegnete Chopin, „ich habe ja so wenig gegessen.“



Dichterstiftungen. Aus einem trefflichen Werke, das soeben ein Mitarbeiter der Gartenlaube, Otto Glagau, über Fritz Reuter und dessen Dichtungen veröffentlicht hat und auf welches wir demnächst ausführlicher zurückkommen, entnehmen wir die nachstehende Stelle, die wir zunächst der gesammten deutschen Schriftstellerwelt zur Beherzigung empfehlen.

– – Sehr fraglich bleibt es, ob Dichterstiftungen ein Bedürfniß sind, ob sie nicht mehr Schaden als Nutzen bringen. Wir glauben nicht, daß die Nation die Pflicht hat, für die Existenz ihrer Schriftsteller zu sorgen. ebensowenig, wie für den Unterhalt ihrer übrigen Mitbürger. Wenn Jene etwas leisten können, wird es ihnen gar nicht schwer fallen, ihren Erwerb zu finden und sich gegen Mangel in Alter und Krankheit zu schützen; denn trotz der zahllosen Concurrenten aller Grade ist die Nachfrage auf dem literarischen Markte noch immer größer als das Angebot, und die Honorare sind heute zehnmal höher als zu den Zeiten von Goethe und Schiller. Das mag sehr prosaisch klingen, aber es ist nichtsdestoweniger – wahr. Ueberhaupt muß man sich des verrotteten Vorurtheils entwöhnen, daß es der Würde den Genius widerstrebe, zu arbeiten, zu zählen und zu rechnen. Das sind nur verkommene Genies, deren ganze Genialität in ihrer Liederlichkeit besteht. Wahre Genies dagegen, wie Kant und Goethe, sind ganz praktische haushälterische Leute gewesen. – Es ist eine alte Wahrheit, daß im Kampfe mit dem Leben das Talent oder Genie sich erst als solches ausweise, stähle und bewähre. Wer darin untergeht, verdient seinen Untergang. Andrerseits haben wir aus neuerer Zeit viele Beispiele, daß gerade die Fülle von Lohn und Ehre, die man über ein heraufkeimendes Talent ausgeschüttet, dieses gelähmt, erstickt hat. Alle jene Pensionäre haben seit ihrer Pensionirung nichts mehr oder doch Unbedeutendes geschaffen.




„Auf der Höhe!“ Berthold Auerbach’s neueste Schöpfung: „Auf der Höhe“, hat sich eines ungewöhnlichen Interesses seiten der gebildeten Lesewelt zu erfreuen gehabt; es dürfte daher vielen willkommen sein, auf die eingehende Würdigung des erwähnten Romans, die gründlichste von allen bisher erschienenen, aufmerksam gemacht zu werden, welche die letzte Nummer der „Deutschen Blätter“ der Feder einen unserer schärfsten und geistreichsten Kritiker, der Ludwig Walesrode’s, verdankt.




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Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig ist soeben in dritter Auflage erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben:
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Dr. W. Süersen, Zahnarzt in Berlin.
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Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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