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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Hörers fesselte. Er sprach von den ersten Tagen der Christenheit, als die Gläubigen noch in Höhlen und Grabgewölben heimlich sich versammeln mußten, als die kleinen Gemeinden noch in vollständiger brüderlicher Gemeinschaft aller Verhältnisse lebten, und forderte auf, zur alten Einfachheit der Sitten, zur alten Einfalt der Gemüther zurückzukehren.

„Wahrlich, so verkündet es mir der Geist,“ schloß er seine Rede, „der über mich kommt in den Stunden der Erleuchtung …, der Antichrist ist Herr geworden über den Erdball, aber ich werde kommen und ihn bändigen und seinen Thron umstürzen! Diejenigen sind der Antichrist, die sich anmaßen, meine Priester zu sein … Ich, der Herr von Anbeginn, will keine Priester, die vor mir knieen und mir räuchern. Ein Jeder unter Euch soll mein Priester sein und über welchen ich das Wort ausgieße, der soll es den Brüdern verkünden! Gleich sollt Ihr untereinander sein, wie Ihr vor mir Alle gleich seid – Alle Brüder! Darum gehet hin und machet, daß die Wege bereit sind, wenn der Herr kommt, seinen Einzug zu halten, denn sein Gericht wird furchtbar sein und nicht mehr fern ist die Stunde der Rechenschaft – wohl dem, den sie gerüstet findet. Amen!“

Der Prediger schwieg und sank wie erschöpft an den Fuß des Kreuzes hin; lautlos erhoben sich die Anwesenden, kletterten durch den Kellerhals die Stufen empor und verschwanden schweigend aus dem Gemäuer in die Winternacht. Nur der Schneider vermochte nicht die Erregung seines Gemüths in sich zu verschließen. „Recht hat er, der Frater’ Anderl … und wenn wir Männer sind und nit Hasenfüß’, so machen wir uns daran und gründen wieder eine allgemeine Brüdergemeinde wie die ersten Christen! Wir brauchen keinen Pfarrer, dann brauchen wir auch keinen Zehnt zu geben! Ueber Jeden kann die Gnade kommen …“

„Der Schneider ist ganz verzückt,“ sagte der Wagner, „er glaubt, er steht schon auf der Kanzel …“

„Das werd’ ich auch!“ erwiderte dieser pathetisch. „Wer will dem Wind wehren, der in das Feuer bläst? Auch ich kann das Wort verkünden! Ich bin nicht umsonst in meinen jungen Jahren in Paris gewesen … ich habe Bürger Mirabeau gehört und den großen Danton … Brüder sind wir, werd’ ich sagen, und Brüder müssen wir wieder werden …“

Heftig vor sich hin redend und sich geberdend eilte er hinweg; der Moosrainer hielt den Wagner zurück. „Was ist es denn eigentlich mit dem Frater?“ fragte er.

„Das weiß Niemand recht,“ erwiderte dieser, „es ist ein entsprungener Student, von Kitzbühel glaub’ ich … er hat Geistlicher werden wollen, aber sie haben ihn nit ausgeweiht – warum, weiß ich auch nicht recht; es heißt, er hätt’ ein Buch geschrieben, das ihnen nit recht war. Da wollten sie ihn in den Soldatenrock stecken, drüber ist er tiefsinnig geworden und ist im Armenhaus eingesperrt und muß beim Viehhüten helfen. Sie haben ihn schon hart geschlagen, wenn er gepredigt hat, in Tirol d’rinnen getraut er sich auch nicht … aber manchmal stiehlt er sich doch heimlich fort bei der Nacht …“

Der alte Moosrainer erwiderte nichts; ihn dauerte die treffliche Kraft, die, vielleicht zum Besten bestimmt so kläglich zu Grunde ging, weil sie bei Seite gedrängt, gezwungen und in ihrem natürlichen Laufe aufgehalten worden; er gedachte an Isidor und seine dunkle Zukunft, und ein tiefes, namenloses Weh zuckte ihm durch das starke Herz.

– – Wochen vergingen; Isidor lebte im Hause des Vaters, das er nie verließ; von Franzi hörte und wußte Niemand; dennoch war es in den Gemüthern der Dorfbewohner nicht ruhiger geworden, die Gährung hatte sich sogar gesteigert. Das Verhältniß der Gemeinde-Angehörigen zu dem Pfarrer war beiderseits nie ein besonders freundliches gewesen und hatte sich in den förmlichen Schranken des alt Hergebrachten gehalten. Dazu kamen vielfache Anlässe, wo der Pfarrer, immer klagend über die schlechten Zeiten und die noch schlechteren Kornpreise, auf seinen Rechten und Bezügen mit einer Strenge bestand, die manchmal an Härte streifte und die Entfremdung steigerte. Sie ward zur Erbitterung, als er um Neujahr mit der Forderung hervortrat, daß ihm künftig auch der Klein- und Blut-Zehent, also der zehnte Theil der kleinern Feldfrüchte, das zehnte Huhn und das zehnte Ei gereicht werden müsse, während ihm bisher nur der Großzehent von den eigentlichen Getreidearten gebührt hatte. Die Bauern steckten murrend die Köpfe zusammen, erzählten einander von ihren alten Rechten und wie seit Menschen-Gedenken ein solches Begehren nicht gestellt worden sei. Der alte Moosrainer mit ein paar Andern fuhr in’s nächste Städtchen und brachte die Nachricht mit, daß der Advocat im besten Falle einen langwierigen und kostspieligen Proceß in Aussicht stelle. Damals war das Maß des Unmuths aufgerüttelt voll; es bedurfte noch eines Tropfens, so mußte es überfließen.

Auch an diesem sollte es nicht fehlen.

Das Fräulein im Pfarrhofe hatte die Niederlage nicht verschmerzt, die ihr durch Isidor zu Theil geworden; sie ruhte nicht, bis sie in Verbindung mit dem Lehrer den allzeit zurückweichenden Onkel für ihre Absicht gewonnen hatte. An einem der letzten Sonntage hatte er ungewöhnlich scharf über die zunehmende Verschlechterung des Menschengeschlechts losgezogen und schloß damit, zur Gründung eines Tugendbundes aufzufordern und diejenigen, die sich aus der Sündfluth in die Arche retten wollten, einzuladen, nach dem Hochamte in den Pfarrhof zu kommen und sich in die Liste der Tugendhaften einzuzeichnen. Es fehlte nicht an solchen, welche sich einfanden, voran der Anhang des Fräuleins, mit dem Lehrer an der Spitze; auch manches minder eifrige Weiblein schloß sich an, um nicht für gleichgültig oder geringer zu gelten, als eine Andere; manche endlich führte auch nur die Neugier herbei, was in dem Tugendbunde wohl Alles zur Verhandlung kommen möge. Aber was als ein Werk des Friedens gedacht war, bewährte sich sogleich als ein Samenkörnlein, daraus Zwietracht und Feindschaft aufschossen wie wucherndes Unkraut. – Das Fräulein empfing die Ankommenden als vorausbestimmte Vorsteherin des neuen Bundes, nahm die Anmeldungen an und saß dann mit einigen Vertrauten darüber zu Gericht, wer der wirklichen Aufnahme würdig sein möchte. Mehrere Frauen wurden zurückgewiesen wegen kleiner Makel, die an ihrem Lebenswandel hafteten und von denen sie sich erst durch Reue und Buße freimachen sollten. Damit war dem Faß der Boden ausgeschlagen, die Weiber schlugen Lärm und nöthigten die Männer, sich ihrer anzunehmen; sie beriethen und murrten untereinander, und selbst der alte gelassene Moosrainer verlor einen Augenblick seine ruhige Haltung, als seine Alte schluchzend und schreiend mit der Nachricht nach Hause kam, daß auch sie als des Tugendbundes unwürdig erklärt worden sei, weil die Erfahrung bewiesen, daß sie offenbar die Erziehung ihres Sohnes gröblich vernachlässigt haben müsse. „Na, tröste Dich nur, Alte,“ sagte er anscheinend unbefangen, während er vor Aerger die Hände in den Taschen ballte, „und laß den Isidor nichts davon erfahren, es thät’ ihn kränken und hilft doch zu nichts! Hättest Du fein abgewartet, wie es mit dem Tugendbund gehen wird, so hättest Du Dir den Verdruß erspart; das hast Du davon, daß Du überall vorn dran und die Erste sein mußt! … Aber schlimm ist’s bei alledem,“ murmelte er für sich weiter, „und nimmt kein gutes Ende!“ –

Ein paar Stunden seitwärts vom Dorfe in die Berge hinein, wo es gegen den Wendelstein hin geht und gegen die Almhütten in der Grafenherberg, verbarg sich in tief eingeschnittenem Felsenthale ein einfaches Köhlerhaus. Die Kohlstätte hatte schier seit Jahrzehnten nicht zu rauchen aufgehört und der Köhler, ein alter, halbtauber Mann, sein Leben damit zugebracht, einen Meiler nach dem andern aufzurichten, anzuzünden und wieder abzuräumen. Dann kamen die Fuhrwagen und verluden die Kohlen, er selbst aber kam fast nie unter die Leute und wußte daher von Allem nichts, was unter ihnen geschah, zumal im Winter. Dahin hatte der Moosrainer Franzi geflüchtet, damit sie dem Alten die kleine Wirthschaft führe und in seinem Schutze wohlgeborgen sei, denn er kannte den Mann von Jugend auf als ein treues, verlässiges Gemüth und als Einen, der, wenn er auch gebrechlich aussah, doch seine Schürstange so mächtig zu führen verstand, daß wohl Keiner gewagt hätte, ihm ernstlich zu trotzen.

Der Abend verglühte in veilchenfarbigem, kaltem Nebelduft und die Nacht senkte sich auf die schwarzen Buchen- und Tannengehänge der Schlucht so dunkel herab, daß der glimmende Meiler immer heller und röther durch den Rauchqualm sichtbar wurde. Der Schein spiegelte sich in dem kleinen Fensterchen der Hütte und beleuchtete Franzi’s Angesicht, die, den Kopf auf den Arm gestützt, nachdenklich in die Nacht, in Rauch und Gluth hinausstarrte. Sie war bleich, aber in ihren Mienen war nichts mehr, was Sorge oder Erregung verrieth; wenige Tage der Einsamkeit hatten hingereicht, und sie war in kindlichem Gebet der Schwäche ihres Herzens Meister geworden, sie dachte an Isidor, doch wie an einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_756.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)