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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

schreiten, dabei ab und zu von heftigen Windstößen berührt, mit einer höchst romantischen Aussicht in die felsige Tiefe unter uns, die sich zwischen den Schienenschwellen aufschloß. Gewiß wird er uns verzeihen, daß wir vorsichtshalber unsere Meerschaums in die Taschen steckten, bis wir wieder auf festem Boden anlangten!

Rüstig weiter marschirend, begegneten wir öfters Indianern in bunt-liederlichem Costüm, zu Fuß und zu Roß – meistens zu Zweien auf einem Pony reitend – mit Packpferden im Gefolge, welche mit Binsenmatten, aus denen die Rothhäute ihre Hütten bauen, mit allerlei Apparaten zum Fischfang und muk-a-muk (Eßwaaren) beladen waren. Auf unsere wiederholte Anfrage, ob es in diesem Jahre viele Lachse im Columbia gebe, erhielten wir jedesmal die freudige Antwort: „na-wit-ka! hei-ù samon, sicks!“ (Ja, ungeheuer viele Lachse, mein Freund!)

Wenn man glaubt, daß die Indianer heutzutage den prächtigen Heldengestalten aus Cooper’s Romanen oder denen aus Longfel­low’s „Hiawatha“ auch nur im Allermindesten ähnlich sind, so thut es dem Verfasser leid, solche Phantasie durch Darstellung der Wirklichkeit grausam enttäuschen zu müssen. Anstatt jener stolzen Söhne der Wildniß, mit muthblitzenden Augen, prächtig tättowirt und mit Pantherfellen und buntgestickten Togas geschmückt, findet man vielmehr wahre Jammergestalten, ungewaschen und unge­kämmt, in Kleidern, gegen welche die eines italienischen Lumpensammlers Galaanzüge sind, Geschöpfe, die vor Schmutz und Unge­ziefer buchstäblich umkommen, und mit nichtssagenden, stieren Blicken und verdummten Gesichtern öfters halb blödsinnig aussehen, trotzdem aber in allen Kniffen des Diebshandwerks- außerordentlich bewandert sind.

Wer an die holde Min-ne ha-ha (lachendes Wasser) des Dichters Longfellow denkt und dann eine dieser Squaws (Indianerfrauen) betrach­tet, welche von der schmutzigsten Zigeunerin verächtlich über die Achsel angesehen werden möchten, der wird sich eines Seufzers über den Verfall der Indianerrace nicht enthalten können oder vielleicht arg­wöhnen, daß die Herren Cooper und Longfellow ihre Indianer durch magisch verschönernde Brillen angeschaut haben, was – im Vertrauen sei’s gesagt – nach des Verfassers bescheidener Ansicht gar nicht so unwahrscheinlich ist.

Der Boden, über den wir hinschritten, wimmelte von Crickets (eine Heuschreckenart), welche in diesem Jahre hier zu Lande eine wahrhaft ägyptische Plage und den wenigen Farmern, die um Dalles herum ansässig sind, ungeheuren Schaden auf den Feldern zufügen. Die Seiten der Berge waren ganz lebendig von diesen sich sämmtlich nach einer Richtung mit eleganten Seitensprüngen fortbe­wegenden Heuschrecken. Für die Indianer sind die Crickets ein wahrer Gottessegen, da sie dieselben für eine große Delicatesse hal­ten; – und manche Squaw sahen wir, die sich eifrig bückte und ihrem solche Arbeit verschmähenden Gemahl eine Hand voll der lustigen Springer als Imbiß einfing, welche er dann, die Lippen schnalzend, mit Haut und Haaren verzehrte.

Je mehr wir uns dem Indianerlager näherten, um so wilder ward die Gegend. Schwarze, lava- und basaltähnliche Felsmassen lagen in wüstem Chaos über- und durcheinander, immer lauter brauste der Columbia und stürzte sich schäumend durch sein zerris­senes Felsenbett, und der Wind, der sich augenscheinlich bemühte, uns umzublasen und aus allen Ecken des Himmels zugleich zu wehen schien, brachte manchen ungalanten Fluch beinahe bis auf unsere Lippen. Daß die Indianer den Schauplatz einer uralten Teufelssage, nach welcher der Böse, von grimmigen Feinden be­drängt, diese Berge mit seinem Schwanze auseinanderschlug, um sich durch die Oeffnung hindurch zu retten, hierher verlegt haben, macht der Phantasie der Rothhäute alle Ehre.

In der Felsenwildniß vor uns gab’s Schaaren von Indianern, alle waren fleißig beschäftigt beim Fangen und Zubereiten der Lachse zum Wintervorrath. Rothe Männer standen mit langen Stangen und Netzen am Rande der zahlreichen, engeren Stromschnellen und ihre Ehe­hälften schleppten die gefangenen Fische weiter hinauf auf’s Trockene oder nach den Binsenhütten, wo sie dieselben in der Sonne und am Feuer dörrten, räucherten, das Fleisch von den Gräten schabten und zerstampften. Fischgräten und halb in Fäulniß übergegan­gene Salmen lagen, wo man nur hinsah, und wenn der Wind die Luft von den pestilenzialischen Gerüchen nicht etwas gereinigt hätte, so wäre es für civilisirte Nerven geradeweg nicht zum Aus­halten gewesen. Aber auch so verging mir der Appetit zum Lachsessen auf lange Zeit!

Vorsichtig schritten wir über die von Lachsfett schlüpfrigen, schwarzen Felsmassen, es möglichst vermeidend, auf die zahllosen Gräten, Rogen und zerrissenen Fische zu treten, um zunächst an den Rand der Stromschnellen zu gelangen und die rothen Herren Fischfänger dort zu besuchen. Am Felsenufer eines etwa zwanzig Schritte breiten Canals machten wir Halt, durch den sich die wilden Wasser, wie toll über- und durcheinander stürzend, hinzwängten und entlang tobten, mit einer Gewalt, daß es fast unglaublich schien, wie es den Fischen möglich ward, dagegen anzuschwimmen.

Eine Gesellschaft von Rothhäuten im Feigenblätter-Costüm die sich zum Fischfang am Rande des Canals zu beiden Seiten entlang postirt hatten, begrüßten uns mit einem freudigen „Kla-hoim, sicks!“ (ich grüße Dich, mein Freund!) offenbar sehr geschmeichelt, daß die bleichen Gesichter sie besuchten, um ihre Geschicklichkeit im Lachsfang zu bewundern.

Die meisten der Indianer hatten lange, am untern Ende mit Eisenhaken versehene Stangen in den Händen. Auf Gerathewohl steckten sie diese Stangen in’s wild brausende Wasser und zogen sie, einen kurzen Ruck damit gegen die Strömung machend, augenblicklich wieder heraus. Alle paar Minuten zappelte ein Fisch am Haken, der lose an der Stange sitzt und abrutscht, sobald ein Lachs daran steckt, und wurde vermittels einer am Haken befestig­ten Schnur auf’s Trockene geschleudert, wo man ihn mit einem kurzen Knüppel unbeholfen auf den Kopf schlug und vorläufig be­ruhigte.

Hunderte von Indianern waren auf diese Weise dem Rande der zahlreichen Stromschnellen entlang in Thätigkeit, und wenn ich hinzufüge, daß der Lachsfang dergestalt Monate lang ununter­brochen fortgesetzt wird, so wird der Leser wohl über die Zahl dieser Salmen-Heerschaaren erstaunen, welche in jedem Sommer den Columbia hinaufziehen.

In den Höhlungen zwischen den Felsplatten lagen hie und da die Lachse haufenweise aufgeschichtet, wo sie beim Fallen des letzten hohen Wassers sitzen geblieben waren und nicht wieder in den Strom zurückgelangen konnten. Da bei den Indianern jedoch der Aberglaube herrscht, daß der Große Geist es ihnen verbietet, diese unglücklichen Lachse zu benützen, so bleiben dieselben ruhig dort liegen, bis sie in der Sonne in Fäulniß übergehen und vertrocknen, wobei sie buchstäblich in ihrem eigenen, durch die Hitze herausbratenden Oele schwimmen.

Einige der Indianer fingen die Lachse in Handnetzen, welche sie ab und zu in’s Wasser warfen, mit der Strömung hinunter­ gleiten ließen und dann wieder herauszogen; beiweitem die größere Zahl jedoch benützte die oben erwähnten Hakenstangen. Angeln werden gar nicht gebraucht, da die Lachse nicht anbeißen, indem sie auf der ganzen Reise, vom Meere bis nach den Felsengebirgen hinauf, gar nichts fressen.

Ein paar alte Bekannte unter den Indianern waren so freund­lich, uns auf eine Zeit lang ihre Hakenstangen zu überlassen, damit auch wir unser Glück im Salmfang versuchen könnten. So einfach es nun auch aussah, die muntern Fische aus dem Wasser herauszuholen, so stand uns doch der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn, ehe es uns gelingen wollte, einen der Fische mit dem eisernen Haken unterm Bauch zu fassen zu bekommen.

Vor Freude emporspringend, endlich einen erwischt zu haben kam ich auf der glitscherigen Felsplatte plötzlich in eine sitzende Positur, und als ich mich wieder aufgerichtet hatte und den gewaltig an der Schnur zappelnden schmucken Burschen mit einem graziösen Ruck auf’s Ufer schleudern wollte, da – Hohn des Schicksals! – schnellte der Fisch zu meinem nicht geringen Aerger vom Haken wie­der in’s Wasser hinunter, um seine Reise nach den Felsengebirgen fortzusetzen, was meinen rothen Freunden ein homerisches Geläch­ter entlockte. Glücklicher war mein Begleiter, der so lange fortfuhr auf gut Glück im Wasser herumzuhaken, bis er einen sku-kum (gewaltigen) Fisch herausgeholt den ich, ihm zu Hülfe springend, mit einem freundschaftlichen Knüppelchen reglementmäßig über den Styx beförderte.

Unsern sku-kum Fisch, der an zwanzig Pfund schwer sein mochte, dem tei-i (Häuptling) überlassend verabschiedeten wir uns von den rothen Männern am brausenden Columbia und wanderten nach den ein paar hundert Schritte vom Ufer entfernt gelegenen Indianerhütten, um den reizenden Squaws dort einen Freund­schaftsbesuch abzustatten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_761.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)