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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Da lagen sie in poetischem Negligé unter den langen Binsenmatten-Hütten, romantisch gruppirt und in zerlumpten Gewändern, sammt und sonders mehr oder weniger fleißig bei der Arbeit, die frisch eingefangenen Salme zum Wintervorrath zuzubereiten. Als Kopfbedeckung trugen sie aus Binsen geflochtene Hüte, die wie das stumpfe Ende eines halb durchgeschnittenen Zuckerhutes aussahen, nur etwas gelber und dabei schwarz geädert. Diese Hüte sind wasserdicht und werden auch noch als Kochtöpfe benutzt. Man füllt sie mit Mehlbrei und wirft einen glühend heißen Stein hinein; wenn dann die Speise gahr ist, dienen sie auch noch als Eßschüsseln.

Behutsam, um nicht etwa die Bekanntschaft zudringlicher kleiner Hautkneifer zu machen, von denen diese Indianerwohnungen wimmeln, hoben wir eine der Binsenmatten von der Seitenwand der Hütte und nahmen auf einem losen Basaltblock Platz, indem wir uns von jeglicher Berührung mit indianischen Toilettengegenständen fern hielten. Unter dem niedrigen Dache der Hütte hingen an unzähligen Querstangen auseinandergeschnittene, gedörrte und geräucherte Salmen, aus denen die Eingeweide und Gräten entfernt waren, in Reihen nebeneinander, die kleinen und großen hübsch sortirt, deren liebliches Aroma und appetitliches Aeußere einem Lucull sicherlich das Wasser auf die Zunge gebracht haben würden. Die Kiemen und Kiefern, jede Sorte für sich, hingen als besonders delicater muk-a-muk getrennt von den Fischen an besonderen Stangen. Neben uns stampfte ein Squaw-Fräulein getrocknetes, von ihren Schwestern mit den Fingern kleingerissenes, röthliches Lachsfleisch in einem großen, mit Bärenfell überzogenen Steinmörser zu Pulver, aus welchem mit Zuthat von Eichelmehl delicate Kuchen gebacken werden.

Nachdem die Lachse gehörig getrocknet und geräuchert oder auch pulverisirt sind, werden sie in Körben und Matten zum Wintervorrath fest verpackt. Salz zum Aufbewahren der Fische wird von den Indianern wenig oder gar nicht gebraucht. Um das Fleisch leichter von der Haut und den Gräten abzulösen, werden die frischgefangenen Salmen zuerst im Freien auf einer Felsplatte ein paar Stunden lang dem brennenden Strahl der Mittagssonne ausgesetzt und dort so lange liegen gelassen, bis das Fett unter der Haut zu schmelzen beginnt; worauf die zarten Hände der Squaws die Fische auseinanderreißen und das Fleisch von der Haut und den Gräten mit einem Stück Holz herunterschaben – ein äußerst appetitliches Schauspiel!

An mehreren Stellen brannten oder vielmehr qualmten in der Hütte Holzstöße, über denen in Hälften zertheilte Lachse geräuchert wurden. Das dazu nöthige Holz wird von einer eigens dazu angestellten Squaw-Abtheilung aus einer Entfernung von mehreren englischen Meilen in Bündeln herbeigeschleppt, da nahe den Fällen des Columbia weder Baum noch Strauch gedeiht.

Während wir unsere Siesta auf dem Basaltblock vor der Hütte hielten, langte gerade eine Abtheilung solcher Holzträgerinnen im Lager an. Ein über die Stirn geschlungenes breites Band hielt die auf gebogenem Rücken getragene Last. Im Gänsemarsche kamen diese Squaws von den Bergen herunter und über die Felsen daherspaziert und bildeten in ihren zerlumpten Kleidern, aus deren Falten hier und da halb untergegangene Crinolinen verschämt hervorguckten, den mit Kochtöpfen bedeckten Köpfen und mit chinesischem Vermillon geschmackvoll decorirten Gesichtern eine äußerst reizende Gruppe. Eine andere Abtheilung von Squaws schleppte die von ihren Herren eingefangenen Salmen von den Stromschnellen herbei; der Rest der weiblichen Gesellschaft war, wie bereits erwähnt, beim Zubereiten der Fische in und bei den Hütten beschäftigt, so daß das ganze Lachsgeschäft ordnungsmäßig ineinandergreift.

Die Herren Rothhäute überlassen alle diese Geschäftssorgen ausschließlich ihren fleißigeren Ehehälften und vertreiben sich die Zeit beim Lachsfang oder auch mit Rauchen, Essen und Schlafen, da sie die Arbeit eines Mannes unwürdig und für eine Schande erachten.

Im Innern der Hütte krochen eine Menge junger Indianer beiderlei Geschlechts auf dem Boden umher, von denen die kleinsten, welche eben erst zu sprechen (wa-wa) lernten, mit bunten Glasperlen und messingnen Ringen spielten oder mit kleinen Glocken (ting-tings) klingelten, indeß die älteren theils ihren Müttern beim Reinigen der Lachse halfen, theils die Anfangsgründe der Malerkunst auf ihren gegenseitigen Gesichtern mit flammenden Farben zu bemeistern suchten. Trotzdem alle Squaws mehr oder weniger beschäftigt waren, sah man ihnen doch in jeder ihrer Bewegungen die der rothen Race angeborene Trägheit an. Sogar die Hunde, wahre Scheusale von Häßlichkeit, mit struppigem Haar und weinerlichen Augen, schienen von der Faulheit der Indianer angesteckt zu sein und das Bellen ganz und gar verlernt zu haben. Eine Squaw-Matrone, welche sich die Runzeln im Gesicht mit feuerrothem Zinnober nach den Regeln der Wissenschaft linirt hatte, brachte uns ein pikant duftendes Gericht von Salmen und Heuschrecken in ihrem Hut als muk-a-muk und lud uns mit gewinnenden Blicken ein, nicht blöde zu sein, sondern nur tüchtig zuzugreifen. Unhöflicher Weise wiesen wir indeß die Einladung zurück und regalirten uns statt dessen mit unserm von Dalles mitgebrachten Boston-man muk-a-muk (Essen für Weiße).

Die meisten der Indianer, welche in dieser Gegend jeden Sommer beim Lachsfang beschäftigt sind, kommen aus weiter Ferne, sowohl aus Oregon als aus dem Territorium Washington, zum Theil bis zu zweihundert englische Meilen weit her, um sich den unentbehrlichen Wintervorrath einzufangen. Da jeder Stamm einen ihm eigens angewiesenen Platz zum Fischen hat, den er mit ängstlicher Genauigkeit inne hält, so geben die in zahlreichen Gruppen zerstreuten Indianer dem ganzen Bilde einen äußerst lebendigen Anstrich. Von der Regierung der Vereinigten Staaten sind ihnen die Fischereien an den Fällen des Columbia durch besondern Vertrag vorbehalten worden, und es ist den Weißen verboten, dort zu fischen. Wäre es diesen erlaubt, sich beim Fischfang an den Fällen zu betheiligen, so würde die Lachsernte hier Resultate liefern, deren Zahlen in’s Unglaubliche gehen möchten, denn es wäre ein Leichtes die halbe Armee der Salme bei ihrem Marsche den Columbia hinauf mit Stellnetzen in den Stromengen einzufangen.

Nachdem wir unsere Meerschaumpfeifen ausgeraucht hatten, beschenkten wir die Töchter der Wildniß mit bunten Glasperlen und hei-u Tabak und nahmen würdig mit Handschütteln von ihnen Abschied. Einigen trägen Hunden, die uns nicht aus dem Wege gehen wollten, waren wir genöthigt, unsanfte Fußtritte zu geben, was sie jedoch kaum zum Aufstehen bewog, bis das allgemeine Geschrei von „Dschu! Dschu!“ (das indianische Wort für „Hund“) sie in Bewegung setzte. Durch die Felsenwildniß, denselben Weg, den wir gekommen, wanderten wir langsam zur Stadt zurück.

Von den Schienenschwellen auf der nächsten, an siebenzig Fuß hoch überm Wasser schwebenden hölzernen Eisenbahnbrücke herab hatten wir eine recht interessante Niederschau auf ein Dutzend tief unter uns wie Enten im Wasser umherschwimmender Squaws, denen wir so lange zuschauten, bis das sich schnell nähernde Donnergetöse des von Celilo kommenden Bahnzugs uns ermahnte, statt die Schwimmkünste der braunen Nixen zu kritisiren, lieber an unsere Sicherheit zu denken und uns so schnell wie möglich von der gefahrdrohenden Brücke herunter zu begeben. Kaum hatten wir diese glücklich hinter uns, als der Bahnzug, gedrängt voll von biedern Goldgräbern, die, mit Goldstaub beladen, vom obern Columbia und von Boise kamen, bei uns vorbeiraste, dem wir dann möglichst schnell nach Dalles folgten, um von den braven Goldjägern noch vor Abend möglichst viel schnöden Mammon für elegante Kleidungsstücke einzutauschen - denn, auch das soll der Leser wissen, wir sind die glücklichen Besitzer eines Stores, d. h. einer Niederlage für Alles, im fernen Westen.

     Aus dem Staate Oregon, Ende Juli 1865.

Theodor Kirchhoff.




Ein verfassungstreuer Kriegsminister.
Von Schmidt-Weißenfels.

Im September des Jahres 1848 war die politische Stimmung in Berlin eine äußerst erregte. Das Hoffen hatte den Befürchtungen Platz gemacht, ein tiefes Mißtrauen beherrschte die Gemüther, die Masse des Volks hielt sich für betrogen und ließ den Unmuth, den die Furcht gebiert, bereits an der Nationalversammlung aus, welcher alle moralische Souverainetät überlassen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_762.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)