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Posse angesehen und affectirte großes Vergnügen an der Seereise; nicht wenig erstaunte er aber, als er den Befehl erhielt, sich fertig zu machen, das Schiff zu verlassen, um seine zweite Reise, diesmal nach dem Mittelmeer, mit Capitän Philipps zu machen. Dieser Officier erzählt, daß, nachdem Nolan wieder aus seiner Cajüte trat, er geglaubt habe, einen andern Menschen vor sich zu sehen, der Unglückliche hatte sich überzeugt, daß es für ihn keine Heimkehr gab, selbst nicht um in’s Gefängniß zu gehen. Dies war die erste von den zwanzig nachfolgenden Umladungen, die er zu bestehen hatte, um seinen Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen, und schrecklicher war sein Loos in der That, als das derjenigen Rebellen, welche seither gegen ihr Vaterland in Waffen standen, da sie doch in andern Ländern leben und an den Interessen der Heimath Theil nehmen können, wenn sie von dem Generalpardon ausgeschlossen werden.

Sein musterhaftes Benehmen während seiner Reisen hat zur Genüge dargethan, daß er seine Thorheit bereute und sich wie ein Mann in sein Schicksal ergab. Er hat nie absichtlich die Schwierigkeiten der peinlichen Lage derer vermehrt, welche ihn zu bewachen hatten; Zufälligkeiten ließen sich indessen nicht vermeiden, aber nie hat er sie hervorgerufen. Von den mannigfachen Vorkommenheiten, die ihn schmerzlich an die verscherzte Heimath erinnerten, wollen wir, um zu beweisen, wie sehr er seinen Verlust empfand, unsern Lesern nur drei Fälle vorführen.

Es war während Nolan’s Gefangenschaft auf dem „Brandywine“, als einer der Officiere von einem Cameraden in Alexandria eine ganze Kiste voll Bücher lieh, was in damaliger Zeit als ein wahrer Glücksfund angesehen wurde. Auch Nolan ward eingeladen sich dem Kreise anzuschließen, der sich an dem schönen Augustnachmittage auf dem hintern Deck unter dem Zelt gebildet hatte. Man wollte vorlesen, um die Zeit angenehmer zuzubringen, und auch an ihn kam die Reihe des Vortrags. Man hatte Scott’s kürzlich erschienenes „Lied des letzten Minstrels“ gewählt und Alle waren entzückt davon. Mit Pathos begann Nolan den sechsten Gesang, ohne zu ahnen, was ihn treffen würde:

Wem schleicht so träg’ und bang’ das Blut?
Der niemals rief in hoher Gluth:
Sei mir gegrüßt, mein Vaterland!

Alle sahen einander betroffen an und Nolan erblaßte, mußte aber hoffen, daß nichts mehr erfolgen würde, und las weiter:

Wem klopfte nie der Busen hoch,
Wenn er zurück zur Heimath zog
Vom fernen fremden Strand?
Giebt’s Einen? Merk’ ihn wohl, den Wicht.

Er hatte nicht die Geistesgegenwart umzublättern, er schluchzte, purpurn glühte seine Wange, doch er las stotternd weiter:

Des Minstrels Lied erfreut ihn nicht.
So hoch sein Rang, sein Name steigt,
Bleibt auch kein Wunsch ihm unerreicht,
Trotz Rang und Titel, Prunk und Pracht,
Elender Wicht, Du wirst verlacht –

Dies war zu viel für ihn; wie ein angeschossenes Wild sprang er auf. Die Thränen stürzten aus seinen Augen, mit einem Ruck schleuderte er das Buch in die See und eilte in seine Cajüte.

„Zwei Monate lang,“ erzählt einer seiner alten Gefährten, „sahen wir ihn nicht unter uns.“

Nicht lange darauf, noch während des Kriegs mit England, ward das Schiff, auf dem er sich gerade befand, von einer feindlichen Fregatte attakirt. Eine Vollkugel schlug in eine der Luken des Amerikaners ein und tödtete den Officier nebst mehreren Mann – da erschien mitten in der Verwirrung Nolan wie der deus ex machina, übernahm das Commando, ließ die Verwundeten forttragen, lud mit eigener Hand die Kanone, richtete sie und ließ Feuer geben. Und so stand er als Befehlshaber des Geschützes, heiter und guter Dinge, kühlen Muths, feuerte die Leute an und schoß zweimal so oft als irgend ein Anderer, bis der stolze Engländer die Flagge strich und dessen Commandeur seinen Säbel übergab. Dann hieß es aber: „wo ist Nolan? Der Capitän will ihn sehen.“ Nolan kam. „Herr,“ redete ihn der Befehlshaber an, „Sie sind heute der Bravsten Einer auf diesem Schiff gewesen und ich werde über Sie berichten. Meinen Dank bezeuge ich Ihnen hiermit,“ setzte er hinzu, indem er ihm seinen eigenen Säbel einhändigte, „wer Ihnen mehr schuldet, wird es selber zahlen.“ (Er durfte nicht sagen: das Vaterland.)

Dies war der schönste Tag in dem Leben des Heimathlosen und bei allen festlichen Gelegenheiten hat er diese wohlverdiente Decoration getragen. Der Commandeur bat um Nolan’s Pardon beim Kriegsminister – aber nie hat er eine Antwort darauf erhalten. Man hatte angefangen die ganze Sache in Washington zu ignoriren, und Nolan’s Verhältnisse blieben dieselben, weil keine Ordres von dort kamen.

Außer seinen Büchern und der gelegentlichen Unterhaltung mit den Officieren hatte er Nichts, um seine Zeit hinzubringen. Aber er nützte diese, so gut er konnte, und in seiner Hinterlassenschaft fanden sich unzählige Zeichnungen und Sammlungen von naturgeschichtlichem Werth. Er kannte die Sprachen fast aller Länder, die er besucht hatte, und leistete dadurch vielfache Dienste als Dolmetscher. Bei einer solchen Gelegenheit war es, wo ihm schier das Herz brechen wollte. Sein Schiff hatte an der Nordwestküste Afrikas ein Sclavenschiff gekapert, und der Officier war in großer Verlegenheit, wie er den aufgeregten Schwarzen auseinander setzen sollte, daß er sie wieder an’s Land bringen werde.

Niemand sprach ein Wort Portugiesisch, welches einige der Neger an der Küste von Fernando Po gelernt hatten; da trat Nolan in’s Mittel, theilte denselben mit, was mit ihnen geschehen sollte, und man hoffte den Aufruhr zu unterdrücken. Statt dessen vermehrte derselbe sich aber auf bedenkliche Weise und Nolan verdolmetschte, daß die Schwarzen in ihre Heimath zurückgebracht zu werden verlangten. Ihm selbst standen die Schweißtropfen auf der Stirn; umringt von fast vierhundert Negern, von denen der eine ihn, von seinem Weib, der andere von seinem Kind und der dritte und vierte von Haus und Eltern erzählte, versagte ihm selbst die Stimme und nur mit großer Anstrengung wurde er endlich durch die Bewilligung ihrer Forderungen Herr der Situation. Wie nun aber die entzückte Masse sich auf ihn wälzte, ihn küßte und herzte und in ihren Freudenausbrüchen fast erdrückte, schwand ihm die Kraft, so daß er in’s Boot zurückgetragen werden mußte. Dort kam er bald wieder zu sich; als er aber im Hinterdeck neben dem jungen Lieutenant saß, da brach sein Schmerz mit ganzer Gewalt hervor und er mußte seinem gepreßten Herzen einmal Luft machen.

„Junger Mann,“ sagte er zu seinem Begleiter, mit dem er in spätern Jahren noch mehrere Reisen machte, „daraus mögen Sie erkennen, was es heißt, ohne Familie, ohne Haus und ohne Heimath zu sein. Und sollten Sie je sich so weit vergessen, Etwas zu thun oder zu sagen, was zwischen Ihnen und diesen Schätzen eine Scheidewand aufrichtet, bitten Sie Gott, er möge in seiner Gnade Sie zu sich nehmen. Fesseln Sie sich an Ihre Familie, vergessen Sie das eigene Selbst, aber thun Sie Alles für diese. Sprechen Sie von ihr, schreiben Sie und denken Sie an dieselbe; je weiter Sie reisen, desto wärmer halten Sie fest daran, wie jene armen Sclaven dort. Und an dem Vaterland, an der Heimath, an der alten Flagge da – Junge, denke an nichts, als ihnen zu dienen, und wenn dieser Dienst Dich durch die Hölle jagte! Laß keinen Abend vorübergehen, an dem Du nicht Gott bittest, die Flagge zu segnen, und was Dir auch begegnet, wer Dir auch schmeichelt, sieh keine andere an! Hinter all jenen Männern, mit denen Du verkehrst, steht Dein Vaterland und dem gehörst Du an, wie Deiner eigenen Mutter. Schande und Schmach auf den, der seine Mutter verläßt! O Gott,“ flüsterte er für sich. „wenn ein Mensch zu mir so in meiner Jugend gesprochen hätte!“

Oft ist es auch später noch versucht worden, dem armen Heimathlosen Erlösung zu verschaffen, aber Niemand glaubte in Washington an die Existenz eines solchen Mannes. Es ist nicht der erste Fall, daß ein Departement sich den Anschein giebt, als ob es nichts wisse. Für die Commandeure des Marinegeschwaders war die ganze Sache eine höchst delicate, und wir müssen gestehen, daß es ein Beweis von dem ehrenhaften esprit de corps der Seeofficiere ist, das Geheimniß bis zu Nolan’s Tode nicht in die Oeffentlichkeit dringen zu lassen, denn selbst dem Bereich der allmächtigen Presse der großen Union ist es fern gehalten worden. Es ist mit Nolan’s Fall so wie in vielen andern Dingen, wo man in einem Amte zum Selbsthandeln gezwungen wird: „Hast Du Erfolg, so wird man Dich unterstützen; mißlingt Dein Versuch, wird man Dich verleugnen.“ Die Ordre, Nolan in der Welt herumzuführen, war da – die Contreordre fehlte – der Beamte muß sich an das Gesetz halten, und so gern Mancher den unglücklichen Nolan – denn das war er im vollsten Sinn des Worts – hätte entkommen lassen, er durfte es nicht thun, wenn er nicht seine eigene

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