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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

in Washington gehört, aber durch eine unmittelbar vor den Fenstern des Präsidenten stehende Statue Andrew Jackson’s verunstaltet wird. Die Amerikaner haben in der Kunst überhaupt kein Glück, besonders wenig in der Plastik, und dieses Reiterstandbild ist wohl das abgeschmackteste, welches je die Phantasie eines Bildhauers zu Stande gebracht hat. Ein Gaul, wie dieser, hat in Wirklichkeit nie Hafer gefressen, und der darauf sitzt, hat ohne allen Zweifel zu tief in’s Whiskeyglas gesehen. Nur wenig mehr Werth hat die bronzene Reiterstatue Washingtons, die nicht weit von hier bewundert sein will. Sie ist von Clark Mills ausgeführt, aber nicht erdacht, sondern, wie man auf den ersten Blick sieht, nichts als eine schlechte Copie von Rauch’s Friedrich dem Großen auf den Berliner Linden mit einigen durch den Gegenstand gebotenen Abänderungen und Zuthaten.

Im Viereck um die Präsidentenwohnung herum liegen in einiger Entfernung die vier Staatsgebäude, welche die Ministerien enthalten: das schon geschilderte Finanzministerium, das auswärtige Amt, das Departement des Krieges und das der Marine, letztere drei einfache Backsteingebäude, die bläulich angestrichen sind.

Von andern öffentlichen Bauten erwähnen wir zunächst noch die Smithsonian-Institution. Dieselbe ist aus röthlichem Sandstein erbaut und an sich nicht häßlich, aber mit ihrem Stil, der dem zwölften Jahrhundert abgeborgt ist, ein recht sprechendes Muster und Beispiel für den amerikanischen Kunstgeschmack. Zunächst gehört ein romanischer Bau überhaupt nicht in das ganz moderne Washington, wie überhaupt nicht nach Amerika. Dann entspricht dieser Stil nicht der Bestimmung der Stiftung, welcher er dienen soll und welche „zur Vermehrung und Verbreitung des Wissens unter den Menschen“ gegründet ist. Nur ein lichtvoller Renaissance-Bau war hier am Orte, nicht ein Conglomerat von Thüren und Thürmchen mit kleinen Fenstern und Stübchen, engen Treppen und allerlei architektonischen Schnurrpfeifereien der Byzantinerzeit. Aber Washington sollte nun einmal ein mittelalterliches Schaustück haben, und so schuf man dieses Gebäude, bei dem Jedermann eher an eine Zwingburg, als an eine Stätte der Wissenschaft denken wird. Bekanntlich suchte es im Januar d. J. eine Feuersbrunst heim.

Aber kehren wir von Westen wieder nach Osten zurück, um dem Hauptbauwerk der Stadt, dem Capitol, welches noch in diesem Jahrhundert dem ganzen westlichen Continent seine Gesetze vorschreiben wird und welches schon jetzt die Gesetzgeber einer mächtigeren Republik, als je die Welt eine erlebte, in seinen Mauern tagen sieht, einen Besuch abzustatten. Diese Bedeutung drückt schon seine Anlage aus. Es ist eines der imposantesten Gebäude der neueren Zeit und wird sich, wenn der jetzt dem Abschluß nahe Umbau vollendet ist, besonders von fern gesehen, mit seinen weißen Quadermauern, seinen Freitreppen, Kuppeln und Balustraden nicht blos stattlich, sondern auch schön ausnehmen. Es liegt neunzig Fuß über dem Meeresspiegel und, wie bereits bemerkt, auf einer kleinen Anhöhe, die nach Osten hin mehr abfällt, als nach Westen. Seine Länge beträgt siebenhundert einundfünfzig und einen halben Fuß (einunddreißig mehr, als die der Peterskirche in Rom und einhundert fünfundsiebenzig mehr, als die der Paulskirche in London), seine Höhe neunundsechszig und einen halben Fuß, die der großen Kuppel vom Grunde auf der Ostseite aus gerechnet zweihundert siebenundachtzig und einen halben Fuß. Die letztere soll mit einer Freiheitsstatue in Bronze gekrönt werden, welche eine Höhe von neunzehn Fuß haben wird und zu der Crawford das Modell geliefert hat. Den Grundstein zu dem Gebäude legte Washington am 18. September 1795. Im letzten Kriege mit England wurde es nach dem unglücklichen Treffen bei Bladensburg von dem niederträchtigen Vandalismus der Rothröcke des Generals Roß zerstört, bald aber schöner wieder aufgebaut. Im Jahre 1851 genügte es dem Bedürfniß nicht mehr, und man schritt zu einer Vergrößerung und Umgestaltung. Die dabei beschäftigten Architekten waren nacheinander W. Thornton, B. U. Latrobe, Bulfinch und T. U. Walter, für welchen Letzteren ein Deutscher, A. v. Schönborn, seit ohngefähr vierzehn Jahren die Zeichnungen und architektonischen Arbeiten besorgt, so daß man sagen kann, daß auf den Schultern eines unserer Landsleute die Hauptarbeit von dem großen amerikanischen Bundespalast liegt.

Wir sagten soeben, daß sich das Capitol vorzüglich von Weitem recht gut ausnehme. Von nahe betrachtet, gefällt es in den Einzelnheiten weniger. Der Stein ist vortrefflich, glänzend, fast wie Marmor. Die Hauptfront, nach Osten gekehrt, so daß seltsamerweise das Gebäude der Stadt, wie sie jetzt ist, den Rücken zeigt, ist großartig und geschmackvoll gedacht, nur will die Verbindung der mächtigen Flügel, welche der Umbau dem ursprünglichen Körper des Palastes angesetzt hat, eine Verbindung, die so schmal ist, daß man vom äußeren Gesichtspunkte aus das Licht durch dieselben hindurchsieht, nicht recht gefallen, da dieser Umstand dem Ganzen die Einheit nimmt. Zu der Hauptfront, die eine schöne korinthische Säulenhalle hat, über der sich die große Kuppel mit ihrer Doppeltrommel wölbt, führt eine breite, doppelte Marmortreppe hinauf, die mit Statuengruppen geschmückt oder, um die Wahrheit zu sagen, theilweise verunziert ist. Der deutsche Architekt kann aber nichts dafür: es sind Proben amerikanischen Kunstfleißes. Besonders komisch ist ein Columbus, der mit seinem Globus Kegel schieben zu wollen scheint. Auch die übrigen Statuen an der Vorderseite des Capitols sind meist untergeordneten Werthes, imposant der Größe nach, fast anmaßlich der gewählten Stellung nach, der Idee nach platt und nüchtern, obwohl sie großentheils von Greenough sind, in dem der Amerikaner ein Talent verehrt, welches mindestens dem Genius Thorwaldsen’s und Canova’s gleichkommt, wenn es sich überhaupt mit Etwas in der alten Welt vergleichen läßt. Wir denken anders und sehr anders auch über den marmornen Washington dieses Künstlers, der sich auf dem Rasenplatze vor dem Capitol niedergelassen hat. Der Yankee staunt diese Statue an, weil sie kolossal und weil sie von Greenough ist. Wir finden sie steif und ungeschickt, staunen aber auch, weil der „Vater des Vaterlandes“, der doch ein gesetzter, alter Herr und durchaus von propren Manieren war, sich hier – er ist mit nacktem Oberkörper dargestellt – vor allen Leuten in’s Bad gesetzt zu haben scheint. Möglich? Nein, unmöglich. Es ist wieder eine Copie, wieder ein importirter Gedanke. Es ist der Zeus des Phidias, der Zeus von Olympia in’s Amerikanische verballhornisirt. Was er damit meint, daß er die Hand nach der Stadt hinstreckt, wäre eine passende Aufgabe für einen Oedipus, uns blieb es ein Räthsel.

Können diese Leistungen gepriesener Stümper den Beschauer aus Europa nur verdrießlich stimmen, so macht dagegen die große Rotunde, in die man von der Treppe aus gelangt und welche, von der Kuppel überwölbt und beleuchtet, sich über die ganze Breite des Mittelkörpers des Capitols erstreckt, einen bedeutenden Eindruck, nur muß man sich an sie als architektonisches Kunstwerk wenden und ja nicht auf die Bilder blicken, mit denen ein unseliger Sohn Uncle Sam’s die perpendiculären Wände der Halle verziert hat. Es sind acht Stück historische Gemälde, welche Hauptereignisse der amerikanischen Geschichte darstellen: die Landung des Entdeckers Columbus, die Ankunft Soto’s am Mississippi, der Auszug der ersten holländischen Colonisten, Franklin vor Ludwig dem Sechszehnten, Washington, wie er seine Bestallung erhält und wie er sie wieder niederlegt, und zwei Tableaux, welche die Capitulation der englischen Armee vor den amerikanischen Milizen bedeuten sollen. Sämmtliche Bilder sind – wir finden kein milderes Wort – geradezu schauderhaft und wir glauben auf der bemalten Leinwand, mit der unsere Meßschaubuden ihre Raritäten empfehlen, schon Besseres gesehen zu haben.

Im Capitol herrscht gegenwärtig eine beträchtliche Raumverschwendung, weil man dem ursprünglichen Gebäude für die eigentlichen Zwecke des Bundespalastes zu viel hinzugefügt hat. Die beiden Häuser, der Senat und das Repräsentantenhaus, befinden sich in den neuen Flügeln und zwar in dem mittleren Stockwerk derselben, der Senat rechts, wenn man in die Rotunde oder Kuppelhalle eintritt, das Repräsentantenhaus zur Linken. Ueber den Sitzungssälen beider Körperschaften wölben sich andere, selbstverständlich kleinere Kuppeln.

Gehen wir durch die vordere Thür links in der großen Rotunde, so gelangen wir zunächst in den alten Sitzungssaal der Repräsentanten, der jetzt leer steht und eigentlich nur der Vorsaal zu dem Gange ist, welcher, rechts und links mit Fenstern versehen, die oben erwähnte durchsichtige Verbindung des rechten Flügels mit dem Mittelgebäude bildet und nach dem neuen Sitzungssaal führt. Dieser letztere ist schön, geräumig und in jeder Beziehung zweckentsprechend, was sich von dem alten insofern nicht rühmen ließ, als ihn die Stimme der Redner nicht recht ausfüllte. Er erhält das Licht von oben. Zwar sieht er etwas gedrückt aus, aber seine verhältnißmäßige Niedrigkeit bewirkt eben, daß man die Sprechenden in ihm gut hört. Der Speaker oder Präsident sitzt dem Haupteingang gegenüber an einem Marmortisch, jeder der Secretäre

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_779.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)