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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

ihm am besten gefiele, für ihre schmeichelhafte Neigung zu belohnen?“

„Sein Verstand!“ entgegnete die Mutter mit Ernst. „Sie haben Beide kein Vermögen, sind aber zu allen Ansprüchen erzogen!“

„Ich bin reich!“

„Für Dich. Aber wenn Du eine eitle Frau bekommst und dann möglicherweise – doch ich bin thöricht, daß ich gegen eine Drohung eifere, die Du mir nur zum Scherz entgegenhältst! Ich denke besser von Deinem Geiste, als daß ich glaube, Du könntest in eine solche Schlinge fallen! Da wär’ mir die kleine Marie noch lieber. Die ist wenigstens bescheiden.“

„Nur allzu bescheiden! Sie ist so scheu, so verlegen, und zuweilen macht sie ein Gesicht, als ob sie um Verzeihung bitten wollte, daß sie nur lebt!“

„Frau von Weiden,“ entgegnete die Mutter, „lebt von einer sehr kärglichen Rente, und das gute Kind ist offenbar von seiner Aussichtslosigkeit gedrückt. Ich denke an nichts weniger, als sie Dir zur Frau zu recommandiren, mein Lieber. Gott bewahre mich davor! Aber daß sie nicht auch nach Dir angelt, wie die Andern, das muß ich doch loben. Deine Frau, mein Sohn, ist gefunden. Ernsthaft und offen zu reden: ich habe bei Herrn von Bolzen angeklopft. Vater und Tochter sind Dir geneigt, ein Wort von Dir und Auguste ist Deine Braut!“

Mit einem Unmuth, der sich kaum noch in der Form des Humors halten konnte, rief Richard: „Daß Du doch das Commandiren und Arrangiren nicht lassen kannst! Ich verpflichte mich zu nichts, Herrin von Hainsfeld – zu gar nichts! Den Teufel auch! Soll ich nicht heirathen dürfen, wen ich will?“

„Heirathe! Nimm eine von den beiden Heuchlerinnen, die auf Dich speculiren!“

„Du verleumdest sie!“

„Ich will’s beweisen!“

„Das möcht’ ich doch – “ Richard hielt inne. Mit einem Blick in den Hof sagte er: „Bernhardine kommt mit ihrer Mama, vergessen wir nicht, daß sie unsere Gäste sind!“

Bernhardine war die Tochter eines Generals, groß, stattlich, eine blonde Juno. Sie betrat an der Seite ihrer würdevoll einherschreitenden Mutter den Saal mit allen Zeichen einer frohen Aufregung. Glänzenden Antlitzes grüßte sie und rief dem jungen Manne zu: „Nein, es giebt doch nichts Schöneres, als die Landwirthschaft!“

Während Richard freundlich nickte, sagte die Baronin: „Hainsfeld kann in der That stolz sein! Diesen schmeichelhaften Ausruf hat es Ihnen bis jetzt nun jeden Tag entrissen!“

„Der Genuß,“ versetzte Bernhardine, „nimmt kein Ende und die Freude muß reden. Wenn man herumgeht in den Ställen und auf den Feldern, Thierwelt und Pflanzenwelt betrachtet – es giebt immer etwas Neues zu sehen und etwas Schönes zu bewundern!“

„Ich meinerseits,“ entgegnete die Baronin, „muß bewundern, daß eine junge Dame aus der Residenz an Räumen Geschmack findet, die doch so manches Prosaische –“

„Wofür halten Sie mich, Frau Baronin?“ rief Bernhardine fast gekränkt. „Ich gehöre nicht zu den verzärtelten, schwachnervigen Personen, an die Sie zu denken scheinen! Ich liebe die Natur, ihre kraftvollen Aeußerungen erfrischen mein Herz. In Ihrer Schweizerei gehe ich lieber auf und ab, als in einem Tanzsaal. Ich fühle mich so wohl darin, so heimlich, und fast alle Ihre Milchkühe kann ich mit Namen nennen!“

„Da haben Sie sich ja erstaunlich vertraut gemacht! Sie rivalisiren mit dem Schweizer! Auch mein Sohn würde neben Ihnen nicht bestehen!“

„Er überschaut das Ganze,“ entgegnete Bernhardine mit einem Blick auf ihn. „Er ist das Haupt, welches die Specialitäten den untergeordneten Personen überläßt.“ Nach kurzem Schweigen, zu Richard gewendet, fuhr sie fort: „Es muß ein herrliches Gefühl sein, eine so große Besitzung von oben zu leiten, die schöpferische Kraft der Natur zu unterstützen, zu lenken, und immer schönere und reichere Früchte dafür zu ernten!“

„Das ist auch wirklich eine Freude, liebe Cousine.“

Bernhardine nickte bewundernd. Dann sagte sie: „Ich gestehe Ihnen, daß ich erst in Hainsfeld begreifen gelernt habe, was Landwirthschaft ist. Immer habe ich darin etwas Edles gesehen, denn ich wußte ja, daß die alten Römer sie ganz besonders hochgehalten haben und ihre größten Männer ebenso gute Oekonomen, wie Staatsmänner und Feldherren gewesen sind. Aber meine Vorstellungen davon waren doch nur sehr allgemeine; ich wußte nicht das Eigentliche, Nähere. Die Landwirthschaft ist von einer Complicirtheit, einer Mannigfaltigkeit –“

„Das will ich meinen!“ rief der junge Mann.

„Und ich kenne jetzt keine Thätigkeit, die für den Edelmann schicklicher wäre! Die Gefälle hat man ihm genommen oder sehr beschnitten, und er ersetzt den Verlust durch wissenschaftliche Ausbeutung des Bodens, den man ihm hat lassen müssen. Er wird den Bauern in Benutzung desselben ein Vorbild, diese gewinnen noch einmal von ihm und er hat die Ehre, ihr Wohlthäter zu sein, während er die eigenen Einkünfte durch Verwerthung seiner Geisteskräfte steigert. Er kommt dem Spruch ‚Noblesse oblige‘ nach und bringt zugleich sich selber vorwärts, indem er die Aufgaben des Jahrhunderts erfüllt!“

„Vortrefflich!“ rief der adelige Landwirth.

Die beiden Mütter hatten beieinander gestanden und sich scheinbar um den Fortgang des Gesprächs nicht mehr gekümmert; aber die Rede der klugen Jungfrau wurde von ihnen nicht überhört, und während die Generalin einen flüchtigen Blick der Genugthuung auf die Tochter warf, konnte sich die Baronin nicht enthalten, zu sagen: „Sie sind geistreich, liebe Cousine, und sagen ausgezeichnet, was wir Landleute gerne hören. Aber es ist etwas Anderes, über Oekonomie gut zu reden, etwas Anderes, sie betreiben und sich auf dem Lande aufhalten! Wer an die Abwechselung des Lebens und an die Genüsse der Residenz gewöhnt ist, der, fürcht’ ich, würde den Aufenthalt hier gar bald lästig und langweilig finden.“

Frau von Hainsfeld hatte mit dieser Bemerkung von ihrem Standpunkt einen Fehler gemacht, den sie gleich erkennen sollte. Denn Bernhardine, mit dem ganzen Adel einer Verkannten, entgegnete: „Frau Baronin, ich bitte Sie, wollen Sie mir nicht ebenso unrecht thun, wie dem Landleben! Im Gegentheil: der Aufenthalt in der Residenz kann einem lästig und langweilig werden, und ich darf Ihnen sagen, daß er mir das schon sehr geworden ist. Genüsse! Die bloßen Genüsse sind es ja, woran man den Geschmack verliert! Nur eine schöne Thätigkeit und die Freuden, die aus ihr hervorwachsen, fesseln uns auf die Dauer. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich nicht wünschen, in der Residenz meinen Aufenthalt und auf dem Lande einen kurzen Besuch, sondern umgekehrt. Theater, Concerte und Gesellschaften sind interessant, wenn man sie ein paar Wochen lang im Winter besucht; wer ihre Freuden aber dreiviertel Jahr zu kosten hat, der wird zuletzt völlig stumpf dagegen! Sogar das Gute widersteht uns: und wie oft bekommen wir Gutes zu hören! Dagegen das Leben auf dem Lande ist zu jeder Zeit köstlich. Wir sind jetzt im schönsten Monat, und Sie werden mir wohl erlassen, den Frühling zu loben. Aber die anderen Jahreszeiten wiegen ihn auf. Sommer und Herbst bringen die Ernten, die Sinne und Herz erfreuen, und bringen Vergnügungen, die nach der Arbeit wirklich erquickend sind. Und der Winter? Ihn stell’ ich mir auf dem Lande eben am heimlichsten vor. Was kann es Reizenderes geben, als eingeschneit zu werden und den Sturm sausen zu hören, während wir in der stillen, warmen Stube sitzen bei traulichem Gespräch oder ansprechender Lectüre? Den Männern ist die Jagd eine Lust, und die Frauen danken für die heimgebrachte Beute durch Lob und stärkenden Imbiß. Der Besuch der Residenz im Winter ist gar nicht einmal nöthig; auf dem Lande selber kann man behaglich die Zeit erwarten, wo der Schnee schmilzt, die Wiesen grün werden und die lieblichen kleinen Vögel den neuen Frühling einsingen!“

Sie schwieg. Dann, mit bescheidener Senkung des Hauptes, fügte sie hinzu: „Ich kann mir das Glück des Landlebens nur denken! Sie, verehrte Base, und Sie, Cousin Richard, leben es, und ich muß um Verzeihung bitten, daß ich Ihnen gesagt habe, was Sie besser wissen, als ich!“

Indem sie sich verneigte, trat sie zu ihrer Mutter, um für ihre gelungene Rede den gebührenden Lohn in einem zärtlichen Händedruck zu erhalten.

Richard trat zu der seinen und sagte flüsternd: „Das sollte Affectation sein?“

„Eine sehr geschickte!“ erwiderte die Frau mit einem Seufzer.

„Geh!“ rief der Cavalier mit edlem Unwillen.

Auf dem Gang ließen sich Tritte hören; die Thür that sich auf,

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