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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Bild – es ist gezeichnet nach der Natur von dem Maler Theodor Horschelt (geboren 1829 in München), welcher, nachdem er schon vorher in Spanien und in Algier seine Mappe gefüllt, im Jahre 1858 in den Kaukasus ging und alle Feldzüge gegen die Lesghier in der Tschetschnia und dem Daghestan bis zur Beendigung des Krieges mitmachte. Ueberhaupt war der Kaukasus eine Schule für Soldaten, Touristen und Künstler; wir nennen die Deutschen Prinz Alexander von Hessen, den tapfern Feldmarschall; Emil von Wittgenstein (der sich auch als Dichter bekannt gemacht hat); von Gersdorf (Commandirender der Freicorps in Schleswig-Holstein 1848); Bodenstedt, Moritz Wagner; die Briten Longworth, Bell, Urqhuart etc. Durch die Sympathieen, welche der hartnäckige Kampf um ihre Freiheit den Bergvölkern von allen Seiten zutrug und Furcht und Haß gegen Rußland nährten, wurden diese Bergvölker mit einem poetischen Nimbus umgeben, den sie in der Wirklichkeit wahrlich nicht verdienen. Man rühmte, beschrieb und besang ihre körperliche Schönheit, ihre adelige Ritterlichkeit, ihre Freiheitsliebe; besonders die englischen Touristen konnten kaum Worte genug des Lobes finden für die „Hüter des indischen Reichs“! Wahrheitstreue deutsche Beobachter haben das Bild jener interessanten Völker auch von der anderen Seite gezeigt. Es ist wahr, sie sind ein schöner, trotziger, tapferer Menschenschlag; wohl dessen fähig, was einst ihr Führer Hamsad Bey erklärte: „Wenn uns die ganze Welt verläßt, wenn all unsere Widerstandskräfte erschöpft sind, dann werden wir unsere Häuser, unser gesammtes Eigenthum verbrennen, unsere Weiber und Kinder erwürgen und aus unsere Felsen uns zurückziehen, um dort fechtend zu sterben bis auf den letzten Mann!“

Allein den wenigen guten Eigenschaften der Kaukasier steht eine weit größere Zahl von schlechten gegenüber. Sie sind Räuber, und zwar unverbesserliche, jeder Arbeit feind, dabei jedoch habgierig, grausam, treulos, roh bis zum Exceß. Ihr Fanatismus kennt keine Grenzen, ist weit eingefleischter, als derjenige der europäischen Mohammedaner. Von Liebe zu den Ihrigen, von Familienglück, von des Hauses wirklicher Ehre wissen sie nichts; fühllos setzen sie die gebrechlichen Kinder aus; der Handel mit ihren Weibern und Töchtern, den sie nach Constantinopel trieben, bildete ihre ganze Verkehrsthätigkeit mit dem Ausland, und als Fürst Woronzoff im Jahre 1846 das Verbot desselben zeitweilig wieder aufhob, erreichte er dadurch die Unterwerfung aller daghestanischen Provinzen, selbst des gebirgigen, für unbezwingbar gehaltenen Tabasseran. Zwar herrscht, wie bei allen gewaltthätigen, wilden Völkern, auch unter den Kaukasiern die Blutrache, allein in der schimpflichsten Weise, ganz anders, als bei den Corsen; denn bei den Ersteren kann jeder Mord, und sei es der des Vaters oder Sohnes, durch ein Blutgeld gesühnt werden, welches niemals zurückgewiesen wird. Die Ritterlichkeit der Tscherkessen beschränkt sich auf ihre imponirende Erscheinung hoch zu Roß, auf ihr Achtung gebietendes Aeußere und auf ihren stolzen Kastengeist. Der Pschi (Fürst) und der Usden (Edelmann) sondern sich streng ab von den Tschfokotls (Freigelassenen) und Pschilts (Leibeigenen), die sie mit Verachtung und despotischer Härte betrachten oder knechten; niemals findet eine Vermischung der Kasten statt. Was von der ritterlichen Behandlung ihrer Gefangenen hier und da erzählt worden ist, beruht Alles auf poetischer Licenz; im Gegentheil wurden dieselben ohne Ausnahme geradezu scheußlich gequält, zu den niedrigsten Verrichtungen gezwungen, mußten Hunger und Durst leiden; Tausende sind auf diese Weise elend hingemartert worden. Es ist bekannt, daß den meisten Gefangenen der Tscherkessen kurze Pferdehaare in die Fersen eingebohrt wurden, um sie am Entlaufen zu hindern. Die Sclavenhalterei war im Kaukasus ganz allgemein; die Sclaven wurden geraubt und mußten für die Räuber den Acker bauen. Völker mit dergleichen Institutionen aber, die Geschichte lehrt es, gehen rasch unter, sobald die Civilisation an sie herantritt. Auch die Tscherkessen sind ein im Aussterben begriffenes Volk; was von ihnen nicht in die Türkei, nach Persien und Turkmanien ausgewandert ist, das wird allmählich erlöschen und verschwinden unter dem Hauche der nachrückenden Sittlichung – ein so curioses Kosakengewand dieselbe im Anfang auch tragen mag – wie ein Binsenlicht, dem die Nahrung ausgeht.

Als der Krimkrieg entbrannte, entflammten sich auch die Hoffnungen der Tscherkessen auf die Bewahrung ihrer Unabhängigkeit noch einmal zu voller Höhe. Schon vorher hatte Schamyl von dem Sultan Abdul-Medschid die Zusicherung des Schutzes erhalten; als die Verbündeten auf den Steppen bei Balaklava und Sebastopol lagen, ihre Flotte das Asow’sche Meer befuhr und Kertsch zerstörte, da brachen auch die Bergvölker hervor aus ihren Schlupfwinkeln, fielen in die abchasische Küstenebene und in die Kabardei, nahmen und zerstörten viele russische Vesten. Seser Bey, der berüchtigte tscherkessische Räuberhäuptling, ward nach zwanzigjähriger Gefangenschaft in Adrianopel zu seinem Volke entlassen, um es aufzuwiegeln; Murschid Pascha (Guyon) bemühte sich im Vereine mit Schamyl, eine geordnete Heeresorganisation einzuführen. Aber umsonst, alle berechtigten Neuerungen scheiterten an der unbezwingbaren Ungebundenheit der Tscherkessen, welche, sobald ein glücklicher Schlag geschehen war, dem Feldherrn den Rücken wandten, um die gemachte Beute in ihren Aulen in Sicherheit zu bringen. Als daher nach beendigtem Krimkriege erprobte russische Truppen in den Kaukasus geworfen wurden, da siegten die Künste der Strategie im Verein mit den „Pistolen des Kaisers“ (so, oder auch „tausend Mann“, nennen die Tscherkessen die Kanonen) bald auf allen Punkten und zogen das eiserne Netz um die unglücklichen Völker immer enger und enger zusammen. Unter dem Oberbefehl des Fürsten Bariatinsky, durch die Generale Jeffdokimoff, Miliutin, Tarchanow, Mirski, Wrangel, Keßler, Nicolai etc. wurden die Tscherkessen überall zurückgedrängt, so daß im Juli des Jahres 1859 schon Deputationen sämmtlicher Stämme ohne Ausnahme die Unterwerfung erklärt hatten. Nur Schamyl mit dem Reste der Müriden hielt sich noch in unzugänglichen Verstecken; so lange er aber lebte und wirkte, hatte keine Unterwerfung Werth. Allein auch er ward endlich aufgefunden, umstellt und nach verzweiflungsvollem Kampfe am Gunil-Dagh in Daghestan gefangen genommen. Maler Horschelt hat als Augenzeuge auch den Moment dieser Entscheidung, die Begegnung zwischen dem gefangenen Imam und seinem Besieger, dem Fürsten Bariatinsky, in einem großen, portraitreichen Bilde verewigt. (Verfasser dieses fuhr in der Nacht vom 2. zum 3. September 1859 mit dem russischen Oberst, der die Gefangennahme Schamyl’s nach Petersburg meldete und aus Tiflis kam, im Perekladnoi (Bauernwagen ohne Federn) von der Station Malachoff hinter Tula bis nach Serbuchow an der Oka; er hofft, von dieser Fahrt später erzählen zu können.)

Mit der Gefangennahme Schamyl’s – welcher im Gouvernement Tula internirt wurde – war die Unterjochung des Kaukasus beendigt und die Mauer zwischen den russischen Besitzungen vom Kuban bis zum Kur thatsächlich gebrochen. Rasch begann die Colonisation – in die Geleise der Kanonen trat der Pflug. Die Russen haben unleugbar Geschick dazu, namentlich weiß die Regierung das fremde Element dabei gehörig zu unterstützen und zu fördern. Bekanntlich sind die deutschen Colonien im südlichen Rußland überaus zahlreich und ihre Bevölkerung wächst in Folge der trefflichen Lage, in der sie sich befinden, dermaßen, daß es ihr in ihren Sitzen schon eng zu werden beginnt. Von Norden und Süden, aus den Thälern der Wolga und des Kur, von Saratow, Sarepta, von Elisabethopol und Tiflis her wandern die „Schwaben“ und Menonniten in den Fußstapfen der Kosaken ein in die fruchtbaren Hochebenen des Kaukasusgebirges. Schon haben seit fünfzig Jahren die „verpflanzten“ Saporoger die Küstenstriche der Abchasen besiedelt, in weitern fünfzig Jahren wird die deutsche Sprache widerklingen an den Felswänden des Kasbek und Elbrus. In die wehmüthige Betrachtung, der sich Niemand erwehren wird, welcher den unvermeidlichen Untergang eines Volkes vor Augen hat, mischt sich dann der tröstende Gedanke von der Nothwendigkeit der Entwickelung der Menschheit, welche gebieterisch im Kampf um das Dasein fordert, daß der schwächere, nicht entwickelungsfähige Stamm dem stärkeren, entwickelten und zur Höhe strebenden weiche. Und so geht auch dort im Kaukasus jener Proceß vor sich, welcher, schon längst begonnen, die Aufgabe der Zeit und Zukunft ist – die Rückwanderung der Cultur von Westen nach Osten. Denn, wie Rückert schon sagt: „Die Geschichte ist nur ein Wandel über des Daseins schwankende Brücke – hin und zurücke!“



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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_791.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)