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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die Wirkung dieser Worte auf die Anwesenden ist schwer zu beschreiben.

Die Damen aus der Residenz, Mütter und Töchter, standen im ersten Moment, als wären sie in Bildsäulen des Schreckens verwandelt worden; starr, unbeweglich, mit einem steinernen Glanz der Gesichter. Aus den Zügen Marie’s war der letzte Schein von Farbe gewichen; dann überzog sich das Gesicht mit glühendem Roth und drückte Scham und eine peinliche Selbstanklage aus. Frau von Weiden hatte sogleich auf die Tochter geschaut, war erschrocken und hielt einen Blick des Kummers und der Mahnung auf sie gerichtet. Richard, der nach den ersten Andeutungen der Baronin umhergesehen, wie einer, der nicht begreift, war nach dem klaren Wort aufgefahren wie ein verwundeter Leu und rief nun mit seinem strengsten Gesicht: „Mutter, bist Du bei Troste? Was fällt Dir ein?“

„Lieber Sohn,“ entgegnete diese, „ich weiß, daß Du von mir verlangt hast, die Sache noch nicht bekannt werden zu lassen. Aber wenn wir es diesen lieben Freundinnen mittheilen, dann kommt’s ja nicht in die Oeffentlichkeit! Die Theilnahme, die sie Dir zuwenden, schien mir durchaus zu verlangen, daß wir mit ihnen eine Ausnahme machten.“

Die erste Statue, die sich wieder zu beleben anfing, war Bernhardine. „Es ist nicht möglich!“ rief sie mit würdevollem, beinahe entrüstetem Unglauben. „Eine Verlobung! Und Niemand soll Etwas davon erfahren, nicht einmal etwas geahnt haben! Sie treiben Ihren Scherz mit uns, Frau Baronin!“

„So sieht’s fast aus!“ rief Juliane. Und zu Richard gewendet sagte sie: „Herr Cousin, haben Sie die Güte zu reden. Ist’s wahr? Müssen wir Ihnen gratuliren?“

Der Baronin war es gelungen, dem Sohn einen mahnenden, bittenden Blick zuzuwerfen. Richard versetzte: „Ich – kann meine Mutter nicht Lügen strafen.“

„Bravo!“ dachte Frau von Hainsfeld und ihr Gesicht glänzte triumphirend.

Die Generalin erhob den Kopf, und ohne ihren Verdruß in Ton und Miene nur verbergen zu wollen, rief sie: „Aber wer ist sie denn, die Glückliche? Nennen Sie uns doch den Namen, liebe Baronin! Es ist gewiß einer der ersten des Landes und wir werden dann die Glückwünsche nicht länger zurückhalten –“

„Den Namen,“ versetzte Frau von Hainsfeld, „kann ich Ihnen noch nicht nennen. Ich habe schon sehr gegen die Abrede gehandelt, daß ich Ihnen nur die Thatsache mittheilte. Sehen Sie, wie mein Sohn immer noch zürnt? Genüge es jetzt Ihrer gütigen Theilnahme, daß die Braut nach dem Urtheil der Mutter ein in jeder Beziehung vorzügliches Mädchen ist.“

„Das genügt,“ erwiderte Frau von Weiden mit Ernst und freundlicher Theilnahme. „Wie hätte man’s auch anders erwarten können! Baron Richard,“ fuhr sie zu diesem fort, „ich freue mich herzlich, diese gute Nachricht noch gehört zu haben, und wünsche Ihnen von ganzer Seele Glück dazu. Verzeihen Sie, daß wir sie jetzt verlassen. Ich muß dem Boten einen Brief mitgeben. Komm’, meine Tochter!“

Marie hatte sich zuletzt gefaßt. Während ihre Mutter sprach, hielt sie den Blick auf den jungen Mann gerichtet und es schien, als ob sie Etwas hinzufügen wollte. Nach dem an sie ergangenen Zuruf aber verneigte sie sich stumm und ging mit der Mutter hinweg.

In den Damen aus der Residenz war das Gefühl ihrer Bedeutung wieder herrschend geworden, und eine gerechte Indignation, ein edler Stolz trieb die letzten Schwächen aus ihren Seelen. Die Nebenbuhlerinnen und Gegnerinnen waren jetzt Verbündete, und wie von Einem Geiste gelenkt vollzogen sie nun harmonisch ein gemeinsames Werk.

Die Generalin begann: „Liebe Freundin – bester Baron, empfangen Sie unsre wärmsten Glückwünsche! Die Gefühle, die uns beseelen, brauche ich nicht zu schildern, Ihre Freundschaft wird sie sich denken können. Der Besitzung, die der ausgezeichnete Landwirth so musterhaft einzurichten verstand, hat nichts mehr gefehlt, als eine Herrin, wie sie nach dem Urtheil der Kennerin hier einziehen soll. Der Tag, an dem es geschieht, wird auch für uns ein Festtag sein, wenn wir ihn auch fern von Hainsfeld erleben werden.“

Die Geheimräthin betheuerte: „Damit sind meine Gefühle buchstäblich ausgedrückt!“

Auch Bernhardine und Juliane verneigten sich zustimmend.

Die Generalin fuhr fort: „Nun fürchte ich blos, daß ich mit dem, was ich jetzt zu sagen habe, meine Tochter betrüben werde. Mein liebes Kind,“ bemerkte sie zu Bernhardine, „weißt Du, was in zwei Tagen für ein Tag ist? Der sechzehnte!“

„Wahrhaftig!“ rief Bernhardine tief betroffen. „Der Geburtstag des Vaters!“

„In dem schwärmerischen Eifer, in welchen die herrliche Oekonomie Dich versetzte, hast Du’s vergessen.“

„In der That,“ erwiderte die Tochter, ihr Haupt in anmuthiger Reue senkend.

„Wir haben diesen Tag,“ fügte die Generalin mit einem feierlichen Blick auf die Baronin hinzu, „noch jedes Jahr mit ihm begangen. Er zählt darauf. Es würde ihn tief schmerzen, wenn er nicht alle seine Lieben um sich sähe. Wenn wir aber noch rechtzeitig eintreffen sollen, um Alles anzuordnen, dürfen wir unsre Koffer packen.“

Mutter und Tochter nickten sich zu.

Die Geheimräthin wendete sich hierauf zu Juliane und sagte: „Die Fassung, womit Bernhardine[WS 1] eine Nachricht erträgt, die ihr in einer Hinsicht unendlich leid thun muß, kann Dir zum Muster dienen. Ich habe Dir auch eine Mittheilung zu machen, auf die Du nicht vorbereitet sein wirst.“

„Nun?“ rief Juliane mit einer Sorge, welche den durchscheinenden Spott der Begreifenden beinahe verschleiert hätte.

„Nichte Bertha, Deine intimste Freundin, heirathet in drei Tagen ihren Regierungsrath. Ich erhielt den Brief, der es anzeigt, heute früh. Aber Du warst so in Deine Studien vertieft, so ganz davon hinweggenommen, daß ich nicht den Muth in mir finden konnte, Dich zu stören. Später ist’s mir aus dem Gedächtniß entfallen.“

„Aber, Mama,“ rief das Mädchen, „da müssen wir ja reisen! Nur die dringendste Angelegenheit könnte mich abhalten, bei diesem Feste zu sein. Aber so? Ich hätte wahrlich keine Entschuldigung.“

„Du siehst ein,“ bemerkte die Geheimräthin mit Ernst, „wir müssen scheiden. Und zwar ohne Aufschub!“

„Es geht nicht anders,“ erwiderte Juliane.

Frau von Hainsfeld hatte die Wirkungen ihrer Erfindung mit allen Wonnen einer Siegerin betrachtet. Die Freude über das gelungene Wagniß, die entzückende Aussicht, die ihr nun für das Glücken ihres Lieblingsplans geöffnet war, machte sie förmlich übermüthig; sie betrachtete die Damen und sagte: „Ich sehe, daß es vergeblich wäre, Sie noch längere Zeit in Hainsfeld halten zu wollen. Aber das glaube ich von Ihnen erbitten zu können, daß Sie uns nicht sogleich verlassen. Sie müssen wenigstens noch einen Tag bleiben! Erinnern Sie sich doch, daß mein Sohn morgen die Maschinen erklären und probiren wird!“

In wahrhaft bewundernswerther Uebereinstimmung verzogen sich hier die Lippen Bernhardine’s und Juliane’s mit so gleichmäßiger Elasticität, daß Niemand hätte sagen können, welche mehr Ironie und Spott ausdrückten.

„Allerdings,“ rief Bernhardine, „es würde unendlich interessant sein, im großen Style das Gras fallen und von den zerdrückten Schollen den Staub wirbeln zu sehen! Geist und Herz würden dabei in gleichem Maß ihre Rechnung finden! Ich fühle mit Schmerzen, welche innige Genugthuung und hochwichtige Belehrung mir dadurch entzogen wird; aber es ist nun einmal nicht zu ändern. Wir Frauen können nicht früh genug lernen, dem Theuersten zu entsagen, und so verzichte ich auf die mir gestattete Theilnahme, indem ich voraussetze, daß meine Freundin, der das Schauspiel ja zuerst auch allein zugedacht war, sich durch Nichts die Freude wird nehmen lassen, ihm beizuwohnen.“

„Unmöglich!“ rief Juliane höchst entschlossen. „Der Genuß wäre außerordentlich, und nur mit dem tiefsten Leidwesen entsag’ ich ihm. Aber ich bezwinge mich selbst und opfere meine Freude, um eine geliebte Verwandte zu erfreuen, die mich erwartet.“

Die Generalin sagte: „Sie verzeihen, wir müssen uns rüsten,“ grüßte mit der Hand und verließ mit Bernhardine den Saal.

Die Geheimräthin und Juliane folgten ihnen.

Als die Flügelthüren wieder geschlossen waren, blickte Frau von Hainsfeld mit einem um zwanzig Jahre verjüngten Gesicht auf den Sohn und brach dann in ein lautes, herzliches Gelächter aus. „Nein!“ rief sie, „das ist nicht zu bezahlen! Ich habe

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Berhardine
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_802.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2023)