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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

viel von ihnen erwartet, aber sie haben’s bei Weitem übertroffen! Diese Entschlossenheit und diese Ungenirtheit! Wahrlich, der Muth, womit sie sich demaskirten, steht in gleicher Höhe mit der Schauspielkunst, mit der sie ihren landwirthschaftlichen Enthusiasmus durchführten, und die war doch bewundernswürdig! Mein Sohn, ich will schweigen und Dich nicht an Deinen Glauben erinnern; denn ich sehe, Du bist beschämt, mehr als genug.“

Richard stand mit einem hochrothen Gesicht voll des tiefsten Verdrusses. „Ja,“ rief er zornig, „ich schäme mich, und ich ärgere mich. Kaum zu glauben! Solch’ ein Manöver! Solch’ ein entwürdigendes Spiel!“

„O,“ rief die Mutter, „sei nicht zu hart, Richard! Der Zweck heiligt das Mittel, und was war der Zweck der geistreichen Mädchen? Dich zu gewinnen.“

Richard, unwillig, drehte sich weg und stieß einen leisen Fluch aus.

Die Thür war aufgegangen; vor der Mutter stand ein Dienstmädchen und sagte mit niedergeschlagenen Augen: „Frau Baronin haben nichts zu befehlen?“

Jene warf einen strengen Blick auf sie und entgegnete: „Nein! – Doch ja, Du kannst das Zimmer reinigen!“

Sie deutete auf die Thür zur Linken des Salons.

Das Mädchen trat einen Schritt näher und sagte, indem sie lauernd emporsah, mit traurig bittendem Tone: „Frau Baronin?“

„Es ist umsonst!“ rief diese. „Ich hab’ Dir’s gesagt und ich geh’ nicht davon ab. Eine Zwischenträgerin kann nicht bei mir bleiben!“

Die Abgewiesene öffnete die Seitenthür und schloß sie hinter sich zu.

Richard wendete sich wieder zur Mutter und sagte: „Jetzt haben aber wir ein Wort miteinander zu reden! Bildest Du Dir vielleicht ein, ich werde mich Dir nun fügen? Glaubst Du, weil Du mich für einen Bräutigam ausgegeben und mich gezwungen hast, Dir beizustimmen – ich werde nun auch gleich einer sein? Und zwar mit derjenigen, die Du mir aufnöthigen willst? Du irrst Dich, Frau Mama! Die Cousinen hast Du mit Deinem Märchen entlarvt; aber Deinem Ziel bist Du damit um keinen Schritt näher gekommen!“

Mit einer ernst ergebenen Miene versetzte die Baronin: „Mein Sohn, wenn ich Dich durch meinen Einfall von den beiden Heuchlerinnen befreit habe, so ist das immer schon Etwas! Du glaubst, ich will Dich zwingen, und Du sträubst Dich gegen den Zwang – dies ist in der Ordnung. Aber ich habe nur das Meinige gethan; ich habe Dir den Weg bereitet und überlasse von jetzt an Alles Dir, indem ich hoffe, daß, wo in der That kein Zwang ist, auch die Antipathie dagegen sich verlieren wird. Die Vorzüge, welche Auguste zieren, werden Deiner Seele sich darstellen, Dein Verstand und Dein Herz, ja auch Dein Herz, werden entscheiden! Auguste, von allem Andern abgesehen, ist ein aufrichtiges, wahrhaftiges Mädchen. Ich glaube, wenn sie durch ein einziges Wort, das ihr nicht von Herzen ginge, den Mann ihrer Wahl erringen könnte, sie würde es nicht sprechen. Sie wäre zu stolz dazu! Bezweifelst Du’s?“

„Nein,“ versetzte Richard, „für ehrlich halt’ ich sie. Aber keine Heuchlerin zu sein, das ist noch lange nicht Alles!“ Er lächelte, halb mit einer gewissen Befangenheit, halb mit Laune, und sagte: „Man will doch auch einigermaßen geliebt sein!“

„Auguste liebt Dich!“ versicherte die Baronin.

„Das wird so arg nicht sein! Sie wird mich heirathen – das glaub’ ich. Aber daß sie mich liebt, wirklich liebt, mit einer Liebe liebt, daß sie mich jedem Andern vorzöge –“

Die Frau nickte mit einem Blick des Vorwurfs. „So seid ihr Männer! Die ehrliche Neigung eines wackern Mädchens genügt euch nicht, ihr wollt geschmeichelt, gehätschelt, vergöttert sein – und fallt in die Netze der Betrügerinnen!“

Richard stand nachdenklich. „Lüge – und Prosa!“ erwiderte er. „Giebt’s nichts Anderes? Könnten nicht Ehrlichkeit und Gefühl und wahre, innige Liebe –“

Die Baronin erhob mahnend ihre Rechte. „Mein Sohn,“ rief sie, „ich warne Dich. Du jagst einem Phantom nach und versäumst darüber Dein Lebensglück! Ein außerdem so verständiger Mensch, der sich mit einem Roman-Ideal herumträgt! Ist’s zu glauben? Woher hast Du das nur? Wie ist Dir das gekommen?“

Mit einem Lächeln entgegnete Richard: „Es wird doch wohl ein Erbstück sein. Denn es sitzt ganz tief in meiner Seele und will durchaus nicht Unrecht haben.“

„Du behandelst die Angelegenheit selber mit Humor, das tröstet mich! Richard,“ fuhr sie mit ernster Güte fort, „ich wiederhol’ es, ich zwinge Dich nicht. Ich wünsche das, was ich aus allen Gründen für Dein höchstes Glück halten muß, aber ich will Dich nicht dazu drängen, in keiner Weise. Du bist von mir aus ganz frei! Ueberlege und entscheide Dich! Das muß ich Dir aber nochmals sagen: wenn Du Dich für Auguste entscheidest, so ist sie Dein. Adieu!“

Sie sah ihn nochmals an und ging dann in das Zimmer, worein sie das Mädchen gewiesen hatte. Nicht lange, so hört man eine entferntere Thür gehen.




3.

Richard, im Saal allein, schritt auf und ab. Dann blieb er stehen und versank in Gedanken. Er war in einer sonderbaren Stimmung.

Die lebhafte, enthusiastische Theilnahme, welche die Cousinen der Landwirthschaft – seiner Landwirthschaft und ihm selber zuwandten, hatten ihm in der Seele wohlgethan. Beide waren ihm damit vertrauenerweckend, liebenswürdig erschienen. Sein Herz hatte noch nicht gesprochen, weder für die Eine, noch für die Andere; aber er hatte sich doch gesagt: wenn eine von ihnen meine Neigung auf sich zöge, ich könnte mit Jeder glücklich leben. Die Genugthuung, die er empfand, machte ihn keineswegs blind für die Absicht der Mädchen, auf ihn einen angenehmen Eindruck machen zu wollen. Aber diese Absicht konnte ihn nicht nur nicht verletzen, im Gegentheil, sie mußte sein Vergnügen steigern. Daß ihr Eifer gemacht war, das glaubte er nicht. Giebt es denn in Wahrheit etwas Schöneres, als eine große, wohleingerichtete Oekonomie? Die Freude daran war natürlich. Daß man ihm aber die natürliche Freude zeigte, das war auch natürlich.

Nun hatte er sich gleichwohl getäuscht. Schimpflich getäuscht. Beiden war es nicht um die Landwirthschaft, nicht um den Landwirth, sogar nicht um ihn selber, sondern nur um eine gute Partie zu thun! Um ihn zu berücken und mit ihm seine Revenüen zu gewinnen, spielten sie die Begeisterten. Schmähliche Komödie.

Die Beraubung, welche das Verschwinden einer Illusion mit sich führt, pflegt nicht nur traurig zu machen, sondern auch muthlos. Man hat sich geirrt, man ist beschämt; hat man Ursache, hochgespannte Ansprüche zu erheben und auf ihre Erfüllung zu hoffen? Was Einem nun vorher nicht bedeutend, nicht kostbar genug vorkam, das steigt im Werthe. Es kann wünschenswerth, ja begehrenswerth, liebenswerth erscheinen und Zuneigung erwecken.

Richard, durch das falsche Spiel der Cousinen erzürnt, verwirrt, gedemüthigt, schaute umher nach einem Ersatz. Ungesucht trat das Bild Augustens vor seine Seele.

Es war nicht liebreizend, nicht bestrickend, aber es sprach ihn an. Es ließ ihn jetzt nicht mehr gleichgültig, sondern erweckte ein Gefühl in seinem Herzen. Er dachte: sie ist nicht so, wie ich mein Weib mir gewünscht habe, aber sie ist ein ehrenwerthes Mädchen, unfähig irgend welchen Betrugs, und das ist etwas werth, das ist viel, und das soll ihr gedankt sein. Woher weiß ich, daß ihr Herz nicht empfindet? Ich kann mich wieder irren! Ich habe sie zu streng beurtheilt, weil ich sie kenne und weil eben aus sie meine Augen gerichtet worden sind.

Er erwog den Gedanken, sich mit ihr zu verloben, und sagt zuletzt: es wird nicht anders gehen.

Wenn er dabei das Gefühl einer Auskunft, einer Rettung hatte, so schien ihm doch immer noch Etwas zu fehlen. Unmittelbar nach jenem Worte entschlüpfte ihm ein Seufzer. Aber das machte ihn ärgerlich auf sich selbst. „Thorheit!“ rief er. „Ich hab’ doch etwas Phantastisches in mir! Wir wollen aber jetzt ein Ende machen!“

Nach diesem Selbstzuruf wollte er den Saal verlassen. Als er in die Mitte gekommen war, klopfte es an die Flügelthür.

In einer gewissen Stimmung glaubt man an die Wunder des Zufalls. „Wenn sie’s wäre?“ dachte er. „Wenn sie uns besucht hätten?“

Unwillkürlich rief er „Herein!“ in einem einladenden, willkommenheißenden Tone.

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