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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

von fremdem Accent nicht angehauchten Deutsch, und mir die Rechte reichend: „Seien Sie willkommen in Schweden!“ Nach einigen Fragen über meine Reise beklagte der Prinz, daß ich auf der Eisenbahn kommend nur einen wenig fruchtbaren einsamen Theil des Landes gesehen habe, der aber seiner fortgesetzten Ebene wegen gerade für den Bau einer Eisenbahn sich am besten eignete. „Und den prächtigen Anblick Stockholms, wenn man durch die Ostsee anfährt, haben Sie ebenfalls entbehren müssen! Wenn Sie durch eine Ausfahrt in die See oder den Mälar zurückkehrend den Anblick der Stadt gewinnen, so ist es nicht mehr ein erster, wirklich großer Eindruck.“

Der Prinz lud mich darauf zum Sitzen ein, und es begann ein bequem geselliges Gespräch, wie es zwei Schriftsteller in lebhaftem Interesse für die schönen Künste sich gegenseitig anregend gerne führen mögen. Nichts mahnte, wenn nicht die blitzenden Sterne an seiner Brust, an den Prinzen. Diese freundliche Weise, die nichts von vornehmer Herablassung hat, wird der ganzen geistvollen Familie der Bernadottes in Schweden nachgerühmt; sie hält die glatte Kürze, das aristokratische Fernhalten für keine Stütze der Majestät, es genügt ihr menschlich schön zu erscheinen, durch nichts Anderes zu imponiren, als durch Geist und Bildung.

Als ich auf die Poesien des Prinzen anspielte, der ein Schüler des berühmten Dichters und Erzbischofs Wallin war, den sie seiner einfach-mächtigen Kirchenlieder wegen die „Davidsharfe des Nordens“ nennen, fing er, von sich bescheiden ablenkend, über die moderne schwedische Literatur zu sprechen an. Es freute ihn, zu hören, daß sich die Deutschen Tegnér’s „Frithjofsage“ durch sechszehn Uebersetzungen angeeignet haben und daß die eben erschienenen neuen Gedichte seines königlichen Bruders von dem kundigen, poetisch nachempfindenden Freiherrn Lüttgendorff bereits verdeutscht worden. Die Literaturbewegung in Deutschland, die Dichter der Gegenwart regten manche seiner Fragen an, die eine theilnahmvolle Beschäftigung mit ihnen deutlich erkennen ließen.

Prinz Oskar von Schweden.

Eine Gesprächswendung veranlaßte meinen Begleiter, den österreichischen Legationsrath Freiherrn Herbert, zu erwähnen, daß Jenny Lind eben in Stockholm anwesend sei. Ich erzählte von der Wirkung schwedischer Volkslieder, die sie uns in Wien gesungen. „Unsere Volkslieder,“ versetzte der Prinz, „sind sehr einfach und darum so schön.“ Der Stoff, über Volkspoesie zu reden, war geboten. und ich machte den Prinzen auf die urthümliche Poesie der serbischen Helden- und Liebeslieder aufmerksam. „Ich kenne nur eines,“ antwortete Oskar, „und zwar durch Goethe, das von der Frau des Assan Aga singt.“ Ich erlaubte mir, auf meine eigenen Uebersetzungen aus dem Serbischen hinzuweisen, die unter dem Namen „Gusle“ erschienen sind. Der Name regte die Neugier des Prinzen an. Ich schilderte ihm die einsaitige kleine Geige der Serben, die Gusle, und die Art und Weise, sie zu spielen und wie das Volkslied in den „schwarzen Bergen“ noch heutzutage als wilde, schöne Blume blüht. Wie zuweilen im Bernstein uns die Gattung einer vorweltlichen Fauna erhalten wurde, so in der serbischen Nation die Genesis des Volksliedes, das einzelne Rhapsoden sangen, bis Homer und Ossian ihre Gesänge zu einem Kunstwerke verbanden. Dem serbischen Volke muß dieser große letzte Volksdichter noch auferstehen. Als ich die allgemeine Bemerkung aussprach, wie eigenthümlich es sei, daß die lyrischen Gesänge des Volkes immer von weichen, melancholischen Melodien getragen werden, erwiderte der schwedische Poet: „Es ist der durch die ganze Menschheit gehende Schmerz und die Sehnsucht, die in den Liedern eines jeden Volkes widerhallen. Die Menschheit hat das Paradies, einen seligen Zustand, eingebüßt und hofft und sehnt sich nach der Wiederkehr eines goldenen Zeitalters. Wenn das Volk sich dessen auch nicht bewußt ist, unwillkürlich kommt, wenn es singt, dieser ideale Schmerz und die ahnungsvolle Hoffnung zum Ausdruck. Bei uns im Norden hat das noch einen ganz besonderen Grund: der Hirt aus den Bergen fühlt sich einsam, er weiß, daß stundenweit kein menschliches Wesen weilt. Er möchte reden, sich mittheilen, aber wem? und da beginnt er zu singen. Es ist ein melancholischer Gesang, die Molltöne herrschen vor. Wenn aber eine andere ebenfalls sich einsam fühlende Stimme ihm aus weiter Ferne ein Lebenszeichen giebt, so jubelt er laut empor. Die Sänger können sich aber nicht erreichen, Schneeklüfte, Wasserfälle liegen zwischen ihnen, und wenn es gar Sänger und Sängerin sind, die miteinander in Liedern Zwiesprache halten, so erwacht der Sehnsuchtslaut und wieder tönen Melancholie und Sehnsucht in Mollaccorden aus.“

Das Gespräch erhielt bald eine andere Richtung. Der Prinz fragte mich: „Welche Erscheinung hat in Schweden einen besonderen Eindruck auf Sie gemacht?“

Ich sprach von dem seltsamen Lichte, das um ein Uhr Nachts noch gestattet, ohne Kerzen anzünden zu müssen, den kleinsten Druck zu lesen, und das, fast nur in Dämmerung übergehend, um zwei Uhr des Morgens wieder seine volle Kraft gewinnt. „Der König Carl der Fünfzehnte von Schweden,“ schloß ich, „kann mit vollem Rechte von sich sagen, was ein anderer Carl der Fünfte usurpirt hat: in meinem Reiche geht die Sonne nicht unter!“

Oskar Bernadotte lachte: „Dafür geht sie in diesem Reiche eine Zeit lang im Winter auch gar nicht auf! Wären Sie um Johanni zu uns gekommen, Sie hätten die ganze Nacht hindurch ohne Kerzenlicht lesen können!“

In diesen Formen wurde noch ein mannigfacher, auf Kunst, Wissenschaft, auf locale Zustände sich beziehender Gesprächsstoff gesellig angenehm verhandelt. Unser Besuch währte lange Zeit und die antichambrirenden Minister und Generäle mögen Wunder gedacht haben, was die beiden Oesterreicher so lange mit ihrem Herzoge von Ostgothland zu verhandeln hatten. Der Prinz verabschiedete

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_805.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2022)