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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Fast möcht’ ich sagen, ja! Denn ich bin dahin gekommen, zu wünschen, was ich habe. Allem, was mir versagt ist, habe ich entsagt, und was ich habe, ist mir nun Alles.“

Richard schüttelte den Kopf.

„Ich habe wenig,“ fuhr sie fort, „es ist wahr. Fast gar nichts! Dafür habe ich aber eine Seele, die in sich selber glücklich zu sein vermag. Und diese findet ihre Rechnung gerade in der Einsamkeit.“

„Wird sich dort Ihr Glück nicht erschöpfen?“ entgegnete der junge Mann, dessen Mienen immer mehr eine Absicht auszudrücken schienen. „Wir können viel für uns allein, glücklich sind wir aber nur, wenn ein Andres mit uns glücklich ist.“

Eine Röthe ging über die Wangen des Mädchens, ein wehmüthiges Lächeln über ihre Lippen. Aber sie faßte sich und erwiderte mit Güte: „Das muß Ihre Empfindung sein, lieber Vetter. Aber für jeden Verlust, für jeden Mangel giebt es in diesem Leben einen Ersatz, und darum ist nicht nur das Eine möglich, sondern auch das Andre. Sie haben einen leidenschaftlichen Trieb zur Thätigkeit – und den Boden dazu. Sie lieben – und sind geliebt. Ihnen muß es wohl so vorkommen, als ob man nicht glücklich sein könnte ohne einen schönen eigenen Wirkungskreis und – ohne Gegenliebe. Aber doch kann man’s. Was uns die Welt versagt, das ersteht in unserm Innern, das giebt sich unsere Seele. Etwas giebt uns doch auch die Welt – und wir hängen um so treuer an dem Wenigen, wir beuten es um so liebevoller aus. Der Arme findet sein Glück, indem er seine Pflicht erfüllt. Und – wer nicht geliebt wird, der findet sein Glück, indem er liebt.“

Richard sah für sich hin. „Kann man lieben ohne Gegenliebe?“ sagte er dann.

Marie schaute ihn mit einem Blick des Vorwurfs an.

„Ich will besser fragen,“ sagte er. „Kann man fortfahren zu lieben – kann man ausdauern in der Liebe ohne Gegenliebe?“

Sie nickte mit einer Miene, die nicht ohne Bitterkeit war.

„Sie reden wie ein Mann. Kennen Sie keine Beispiele? Nicht nur Frauen, auch Männer haben so geliebt!“

„Dann will ich Ihnen auch das zugeben,“ erwiderte er. „Aber Sie lassen die Liebe glücklich sein ohne Gegenliebe. Glücklich! Ist das möglich?“

„Wenn man wahrhaft liebt,“ entgegnete Marie mit einem Eifer, der sie erröthen machte, „ja. Was ist die Liebe denn anders, als das tiefste und schönste Gefühl, die seligste Empfindung? Was ist sie anders, als Glück? Wenn sie aber nach Erwiderung trachtet und der Mangel daran ihr Herzeleid schaffen muß, so ist der wahren Liebe dieses Herzeleid süß und theuer, und sie würde es nicht lassen um alle Güter der Erde. Die Liebe, die nicht geliebt wird, giebt das Edelste hin, ohne Etwas dafür zu empfangen, sie ist großmüthig, hochherzig, und das ist ein stolzes, trostreiches Gefühl. Nein,“ fuhr sie mit wachsender Erregung fort, „die wahre Liebe kann nicht unglücklich werden durch Mangel an Gegenliebe. Sie ist zu reich, zu groß, zu uneigennützig, zu göttlich dazu. Sie wünscht dem Geliebten alle Genugthuung, alle Freuden des Lebens. Sie sorgt für ihn, sie lebt in ihm, und wenn sie alle seine Wünsche erfüllt sieht, dann hat sie selber Alles, was sie begehrt, und sie ist glücklich – ganz glücklich!“

Mit dem Mädchen, indem es so sprach, war eine Verwandlung vor sich gegangen. Die in sich gekehrte, verzehrte, verzagte, schüchterne Marie war verschwunden, eine Andere war an ihre Stelle getreten. Die Entsagung, die sie sich abgerungen, der Sieg über sich selbst, die Aufregung des Moments, der Gang des Gesprächs hatten die ganze Schönheit ihres Gemüths, den ganzen Adel ihres Charakters entbunden. Die innerste Kraft ihrer Seele war einer Flamme gleich in ihr emporgestiegen, hatte die Gestalt aufgerichtet und durchglänzte, durchglühte ihr Angesicht. Die Geister der Jugend, die Geister der Liebe siegten in ihr, die Welkende stand als eine Blühende da.

Richard betrachtete sie mit Staunen. Ernste Bewegung, Hochachtung sprach aus seinem Blick. Sein Herz begann zu klopfen und eine schauer-süße Empfindung bebte darin. Allein er hielt an sich. „Wer so liebt,“ entgegnete er, „der kann es aber nicht ungeliebt. Es ist unmöglich. Zu solcher Liebe kommt die Gegenliebe und mit ihr doch erst das wahre Glück.“

Marie lächelte mit Ueberlegenheit, nachsichtig. „Sie können von Ihrem Gedanken nicht abkommen. Und am Ende haben Sie Recht. Liebe und Gegenliebe zusammen sind doch erst das Beste, das ganze Glück, das Vollkommene. Ihnen, ich muß es annehmen, ist dies geworden. So freuen Sie sich denn und genießen Sie Ihr Glück. Ihre Freunde, glauben Sie das, freuen sich mit Ihnen.“

Richard betrachtete sie mit unwiderstehlichem Entzücken. „Sie ist ein Engel!“ rief es in ihm. „Und sie liebt mich. Ja, sie liebt mich! Das Unerwartetste – ein Wunder ist für mich geschehen.“

Auch er war ein Anderer geworden. Die tiefsten, zartesten Gefühle hatten sich erschlossen in seinem Herzen und wurden herrschend in ihm. Geist, Güte, Glück verschönten, verklärten sein Angesicht.

Marie war einen Schritt näher getreten. Mit einem eigenen Lächeln, bittend, fast schmeichelnd sagte sie: „Mein lieber Freund, ich scheide. Ich ziehe mich von hier aus in ein Asyl zurück, das so gut ist wie ein Kloster. Ich komme mit Niemand in Verkehr – und ich kann schweigen. Sagen Sie mir, zum Abschied, den Namen Ihrer Braut. Vertrauen Sie mir und thun Sie mir auch Etwas zu Liebe. Wer ist sie?“

„Wer sie ist?“ wiederholte er, während sein Herz mächtig pochte, zögernd.

„Sagen Sie mir’s!“ rief sie. „Sie zaudern. Muß es denn ein Geheimniß bleiben?“

„Nein!“ rief Richard entschlossen, mit leuchtenden Augen. „Für Sie nicht, für Niemand mehr. Alle Welt soll Diejenige kennen, die ich liebe und ewig lieben werde.“

Marie, mit bebender Lippe, rief: „Der Name?“

Richard ging auf sie zu, faßte ihre beiden Hände und rief: „Du bist’s, Marie! Du, und keine Andere. Das liebste, edelste, beste Geschöpf. Du, ja Du, wenn Du mich nicht verschmähst!“

Das Mädchen war erschrocken und jäh erbleichend zurückgefahren. Aber der Blick Richard’s und der Ton seiner Stimme hatten etwas unwiderstehlich Ueberzeugendes. Die Röthe kehrte wieder. Sie stand wie eine Rose, selig glühend, alle Wonnen der Liebe strahlten aus ihren Augen. Dennoch entgegnete sie: „Richard, um’s Himmelswillen, das Wort Ihrer Mutter –!“

„War eine Erfindung, um die Heuchlerinnen zu entlarven, die gekommen waren, ihren Sohn zu betrügen. Eine Täuschung, die ich segne, denn ich danke ihr das höchste Glück meines Lebens.“ Er schaute sie an, lächelnd, strahlend, und rief: „Liebst Du mich aber auch, Marie? Liebst Du mich wirklich?“

„O,“ rief die Ueberglückliche, „namenlos!“

Und Richard umfaßte, küßte sie und sagte feierlich: „So bist Du meine Braut.“

Im Saal war es stille. Eine Weile dauerte das Schweigen. Plötzlich, vom Gange, ließen sich Tritte hören.

„Die Mutter! Deine Mutter!“ flüsterte Marie. „Was wird sie sagen?“

Der Liebende lächelte stolz. „Du bist mein,“ sagte er, „alles Uebrige ist meine Sache.“

„Es sind Mehrere,“ versetzte das Mädchen horchend.

„Ah!“ rief er, „man wird Abschied nehmen. Tritt ein wenig auf die Seite. Es gilt vorerst noch eine kleine Komödie, spielen wir sie.“

Marie entfernte sich von ihm. In ihrer Haltung lag bei dem tiefsten innern Glück eine Bescheidenheit, eine Ergebung, die Niemand hätte spielen können.




4.

Die Thüre ging auf. Frau von Hainsfeld, vom Gange hereinsehend, sagte: „Er ist da, haben Sie die Güte.“

Und es erschienen und traten herein die Generalin und Bernhardine, die Geheimräthin und Juliane. Die Baronin folgte ihnen und ging auf ihren Sohn zu.

„Richard,“ begann sie, „wir sind in einer schlimmen Lage. Die Herrschaften kommen zu mir und machen mir die größten Vorwürfe. Ich hätte mir einen frevelhaften Scherz mit ihnen erlaubt; ich hätte sie getäuscht, beleidigt. Keine Rede davon, daß Du verlobt wärest. Das hätten wir nur erfunden, um sie irre zu führen und zu verhöhnen.“

Juliane, feierlich, mit dem Ansehen einer erwählten Sprecherin, trat vor und sagte zu Richard: „Ja, Herr von Hainsfeld, das

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