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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

haben wir gesagt und mit Recht. Die Braut, das ,in jeder Hinsicht vorzügliche Mädchen’, wie sie uns geschildert worden ist, existirt nicht. Sie haben mit uns Komödie gespielt, Sie haben unsere heiligsten Gefühle mißleitet, geäfft. Wie konnten Sie uns das thun? Womit haben wir eine solche Behandlung verdient? Wir sind von Ihnen und Frau von Hainsfeld unverzeihlich gekränkt.“

„Es ist neu,“ versetzte Bernhardine, „daß man von der Residenz auf’s Land kommt, um sich hier zum Besten haben zu lassen.“

„Es ist ein Affront!“ rief die Generalin.

„Es ist ein gänzliches Verkennen der Rücksichten,“ fügte die Geheimräthin hinzu, „die man uns schuldig gewesen wäre.“

Die Baronin stand mit entschlossener Miene. „Meine Damen,“ versetzte sie. „Sie sind im Irrthum. Ich werde es Ihnen beweisen und Sie überzeugen. Mein Sohn,“ fuhr sie zu Richard gewendet fort, „Du siehst, das Geheimniß ist nicht länger zu bewahren. Du mußt Dich entschließen, den Namen Deiner Braut zu nennen, damit jeder Zweifel in den Herzen unserer werthen Verwandten getilgt werde. Du mußt. Es geht nicht mehr anders.“

Mit einem Blick, welcher die Andern um Erlaubniß bat, nahm sie Richard bei der Hand und führte ihn an’s Fenster. Hier, flüsternd, sagte sie: „Mein Freund, mach’ kurzen Proceß. Die Susanne, die kleine Kröte, muß etwas erhorcht und uns verrathen haben. Betrachten wir’s als eine Schickung und benutzen wir sie. Sag’ ihnen: meine Braut ist Auguste von Bolzen. Ich sende dem alten Herrn sofort einen Brief, heute noch machen wir unsern Besuch, und Deine Bräutigamschaft ist eine Wahrheit. Sei ein Mann, handle kühn und rasch.

Richard erwiderte: „Ich werde handeln!“

„Gott Lob!“ hauchte die Baronin, indem das Roth der Freude sich über ihre Wangen goß.

Mit edlem Anstand vortretend begann Richard: „Meine verehrten Damen! Sie wissen als Leserinnen der Journale, es giebt ,verfrühte Nachrichten’. In dem Geiste derjenigen, die sie verkünden, ist eine Ahnung von dem erstanden, was sein soll und kommen wird. Ergriffen von der Schönheit des Gedankens, sehen die Lebhaften ihn schon erfüllt, obwohl die Erfüllung erst vorbereitet oder nur angebahnt ist, und sie melden in ihrem Eifer ein fait accompli! Zu diesen lebhaften, prophetischen Geistern gehört meine liebe Mama. Und so ist es ihr begegnet, Ihnen zu sagen, ich sei Bräutigam. Ich widersprach nicht. Ich stand hart an dem Moment, wo ich Bräutigam sein sollte, mich leitete das überwältigende Gefühl der nächsten Zukunft. Und siehe da, ihr prophetisches Wort – in der Spanne Zeit, in der wir uns nicht mehr gesehen haben – ist schon Thatsache geworden. Ich bin Bräutigam, glücklicher Bräutigam! Die Gratulationen, die Sie mir gegönnt haben, sind mit nichten profanirt, sie ehren ein wirkliches, ein Ihrer freundlichen Sympathie vollkommen würdiges Verhältniß.“

„Den Namen, Herr Cousin!“ rief Bernhardine mit nicht mehr zu haltender Ungeduld. „Nennen Sie uns den Namen!“

„Es ist ein Name,“ versetzte Richard, „den Sie kennen. Und die Trägerin ist in Wahrheit ,ein in jeder Hinsicht vorzügliches Mädchen’, an Schönheit und Tugend so reich, wie nur jemals –“

„Das versteht sich von selbst,“ fiel Juliane ein. „Aber so nennen Sie doch den Namen!“ rief sie, indem ihre Gefühle dem Gesicht fast ein böses Gepräge gaben.

Die Baronin weidete sich an dieser leidenschaftlichen Ungeduld. Sie freute sich des Humors, womit der Sohn die selbstsüchtigen Schönen hinzuhalten und zappeln zu lassen schien. Sie war ein Weib, sie schwelgte im Bewußtsein ihrer Erfolge und ließ sich, nachdem die Dinge nun einmal soweit gekommen waren, das auch ohne allen Zwang ansehen.

„Der Name,“ entgegnete Richard, „soll Ihnen genannt werden.“ Mit ernstem, beinahe feierlichem Ausdruck setzte er hinzu: „Nicht nur den Namen sollen Sie hören, Sie sollen die Verlobte selber kennen lernen.“ Und indem er auf sie, die völlig unbeachtet bei Seite gestanden halte, zuging, sagte er: „Hier ist sie, Marie von Weiden, meine über Alles geliebte Braut, in wenigen Wochen, so Gott will, meine Frau!“

Er faßte die Rechte der demüthig Erröthenden, Wonnebangen und stand neben ihr.

Nun war die Reihe, fassungslos zu erschrecken, an Frau von Hainsfeld. Sie hatte sich auf den Moment, wo der Name „Auguste von Bolzen“ ihr einen köstlichen Ohrenschmaus bereiten sollte, man kann beinahe sagen, kindisch gefreut. Und nun hörte sie, unglaublich, undenkbar, „Marie von Weiden“! Sie sah den Mannesernst des Sohnes, die vollkommene Entschlossenheit, womit er neben ihr stand, sie mußte es glauben. Mit einem Gesicht, dessen schönes Roth sich in fahles Blau verwandelt hatte, starrte sie auf das Paar. Jedes Begriffes, jedes Entschlusses beraubt, schwieg sie; das vernehmliche Athmen und das Wogen ihrer Brust verriethen einen kaum zu bändigenden Tumult ihres Herzens.

Die Damen aus der Residenz waren durch diese Wendung zuerst nicht viel weniger betroffen. Aber bald – und auch diesmal in wundersamer Harmonie – erschien ein spöttisches Licht in den vornehmen Gesichtern und aus den Augen gingen überlegene Blicke. Sie sahen die Bestürzung, die Pein derjenigen, in welcher sie doch ihre eigentliche Gegnerin erkennen mußten, und der Honig der Rache labte die Verlangenden. Der Ausgang hatte in seiner unglaublichen Unmotivirtheit, in dem Mangel alles Glanzes hinsichtlich der Erwählten für sie etwas Humoristisches, um nicht zu sagen Komisches. Die Seelen der Hochgestellten erinnerten sich ihres Werthes, sie fühlten sich fähig, das Ereigniß von oben zu betrachten, und nicht nur die uranfängliche Würde, sondern fast Genugthuung kehrte in ihre Mienen zurück. Die Töchter lächelten, die Mütter lächelten, und den wirklichen Hergang ahnend, betrachteten sie ebenfalls ohne allen Zwang die gestrafte „Intrigantin“ mit inniger Schadenfreude.

Aber schon streckte sich vor diese der Schild, der sie gegen die zu erwartenden Pfeile decken sollte.

Richard, mit der Geliebten, trat vor die mit sich selbst Ringende und sagte: „Liebe Mama, wir bitten Dich nun um Deine gütige Zustimmung. Die gepriesene Jungfrau, die Du angekündigt – hier ist sie. Du hast mir heute früh noch Marie von Weiden als diejenige genannt, die Du für mich andern, gleichfalls ausgezeichneten jungen Damen vorzögest, ich habe sie gewählt und ich erwarte von Deiner Liebe die freudige Bestätigung, die meiner Wahl erst die Weihe giebt.“

„Verehrte, liebe Base,“ rief Marie bittend mit ihrem süßesten Ton, mit dem holdesten Aufblick ihrer braunen Augen.

Die Baronin erkannte, daß die Zustimmung das Einzige sei, was ihr übrig blieb. Sie war im Grunde eine gute Frau, und blinde Hartnäckigkeit lag weder in ihrem Temperament, noch in ihrem Charakter. Die schöne, rührende Leidenschaft des jungen Paares machte Eindruck auf sie und nebenbei war ihr der Gedanke höchst erfreulich, die Damen, deren boshafte Blicke sie wohl bemerkt und schmerzlich gefühlt hatte, nun ihrerseits recht schmerzlich beschämen zu können. Auguste war unmöglich, Marie unumgänglich, in Gottes Namen!

Würdevoll ergriff sie die Holdselige bei der Hand, zog sie an ihr Herz, umarmte, küßte sie auf die Stirn und rief gerührt: „Du bist meine liebe Tochter.“

„Mutter!“ rief der Sohn mit leuchtendem Danke.

„Mutter!“ wiederholte Marie, indem Thränen in ihre Augen drangen.

Die Damen waren in Folge dieser Scene ernster geworden, hatten sich aber nicht dadurch täuschen lassen. Sie wußten, daß die Frau nur gute Miene machte, und die Genugthuung ihrer Seelen konnte ihnen daher nicht ganz entrissen werden. Die Generalin, mit einem Gesicht, das hinter seiner Artigkeit unvertilglichen Unglauben ausdrückte, näherte sich der Gruppe und sagte: „Nehmen Sie denn unsere Glückwünsche auf’s Neue und glauben Sie an unser erhöhtes Mitgefühl. Sie werden glücklich sein, Richard von Hainsfeld. Denn immer sind es diejenigen gewesen, die sich mit ihren Ansprüchen in bescheidenen Grenzen gehalten haben.“

Das glückliche Paar, der Verletzten die Genugthuung dieses Wortes gönnend, dankte erheitert.

Jene wandte sich hierauf zur Mutter und sagte: „Erlauben Sie mir noch eine kleine Bitte. Sie kennen die Gründe, die uns zwingen, Hainsfeld heute noch zu verlassen. Ich wünsche nun aber ein Andenken an unsern Aufenthalt zu besitzen und möchte darum von hier Etwas mitnehmen.“

„Befehlen Sie,“ rief die Baronin. „Was ist es?“

„Ihr Stubenmädchen Susanne,“ versetzte die Generalin. „Die Kleine gefällt mir, und wenn Sie die Freundlichkeit hätten –“

„Gern,“ erwiderte Frau von Hainsfeld mit beinahe durchbrechender Schelmerei, „obwohl ihre Dienstzeit erst in vierzehn Tagen aus ist, so will ich sie doch, Ihnen zu Liebe, sogleich ziehen

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