Seite:Die Gartenlaube (1865) 820.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

lassen. Das Mädchen hat Fähigkeiten, aber sie passen weniger für das Land, als für die Residenz, und ich bewundere den Scharfblick, womit Sie das augenblicklich erkannt zu haben scheinen.“

Man bedankte, beglückwünschte sich noch einmal, und die Damen empfahlen sich.

Die Drei standen zusammen und drückten sich die Hände und lächelten glücklich. Die Bitte der Generalin hatte dem Humor der Mutter nicht geschadet.

Die Thür ging wieder, und es erschien Frau von Weiden. Mit einem Blick auf die Tochter rief sie: „Du bist noch hier, Marie? Ich suchte Dich. Der Brief an den Onkel ist geschrieben, und ich wünsche, daß Du selbst einige Zeilen hinzufügtest.“

Man kam ihr entgegen. Die strahlenden Gesichter mußten ihr auffallen.

„Liebste Base,“ sagte Richard, „zerreißen Sie den Brief wieder. Wir schaffen dem alten Herrn so schnell als möglich eine ausgezeichnete Wirthschafterin. Aber Sie und Marie bleiben hier, wenn Ihre Güte den Bitten der Liebe sich fügen will. Marie als Herrin von Hainsfeld, Sie als meine höchstverehrte Schwiegermutter.“

Die Frau starrte ihn an. Das war ein Glück, zu groß, um es gleich fassen zu können.

Die Tochter ging auf sie zu, umarmte sie und rief, an ihrem Halse zugleich jubelnd und weinend: „Ich bin seine Braut. Glaub’ es und gieb uns Deinen Segen.“

Thränen im Auge umarmte die Gute die Kinder, wünschte alles Heil auf ihre Häupter herab und fiel der gerührten Freundin um den Hals. Dann, sich sammelnd, rief sie: „Aber wie ist das möglich gewesen? Wie ist’s gekommen?“

„Unverhofft,“ entgegnete Marie, „sehr unverhofft.“

„Unverhofft,“ wiederholte Richard, „wie uns eben die höchsten Geschenke des Himmels zu kommen pflegen. Unverhofft, aber nicht unvorbereitet. Wenn Zwei sich verbinden, die auf’s Innigste fühlen, daß sie ohne einander nicht zu leben vermöchten, dann ist die Ehe im Himmel geschlossen und hat kommen sollen, kommen müssen. Gott sei Dank, der’s uns zu rechter Zeit erkennen ließ!“




Auch ein Verbrecher aus Ehre.
Aus den Erinnerungen eines preußischen Beamten.

Niemals habe ich in meinem Leben den Zwiespalt zwischen Pflicht und Neigung tiefer empfunden, nie die schwere Verantwortung meines Berufes mehr gefühlt, als bei einem traurigen Ereignisse, das in den ersten Jahren meiner Amtsführung stattgefunden. Beim Durchblättern des Gefangenenjournals stoße ich auf die kurze Notiz: „Johann Koch, früher Flurschütz, fünfundfünfzig Jahre alt, wegen Mords zum Tode verurtheilt und von Sr. M. dem König zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt.“ Wie dürftig, nichtssagend, schablonenhaft erscheinen diese kurzen Bemerkungen, hinter denen sich ein furchtbares Geschick, eine große sociale Tragödie verbirgt! Muß man nicht dabei an einen gemeinen Verbrecher glauben? und doch war dieser Unglückliche nur ein Opfer der Verhältnisse und seiner Zeit.

Vor meinen Augen steht das Bild eines kräftigen gedrungenen Mannes in der kurzen, grauen Sträflingsjacke, mit gebräuntem Gesicht, dessen offene, gutmüthige Physiognomie eher alles Andere, als einen Mörder verrieth. Seine straffe, militärische Haltung zeigte den früheren Soldaten, aber nicht einen unserer heutigen Friedenshelden, sondern den alten, gedienten Krieger, der dem Tode oft genug unerschrocken in das Angesicht geschaut. Eine wilde Energie, ein trotziger Muth und das Gefühl der eigenen Kraft sprachen aus allen seinen Bewegungen, trotzdem war er gehorsam wie ein Kind, freundlich und unverdrossen, so daß ich mich nicht erinnere, je ein hartes Wort oder einen Tadel gegen ihn ausgesprochen zu haben. Er besaß in der That ein peinliches Pflicht- und Ehrgefühl, das leider nur selten in seiner Sphäre angetroffen wird, wo gerade das Gegentheil die Regel bildet.

Wie ich aus den Acten und seinen eigenen Mittheilungen erfuhr, war Johann Koch der Sohn eines nicht unbegüterten Bauern, der jedoch durch die unglücklichen Kriegsjahre, durch rasch sich folgende feindliche Einquartierungen und Requisitionen in seinen Verhältnissen nach und nach zurückgekommen war. Die nur zu sehr begründeten Klagen des Vaters erfüllten den heranwachsenden Knaben mit dem glühendsten Franzosenhaß. Als die Stunde der Befreiung schlug, war er einer der Ersten im Kampfe für das Vaterland. Körperlich kräftig, von Jugend auf an Entbehrungen gewöhnt, von Muth und Begeisterung erfüllt, fand er bald Gelegenheit, sich auszuzeichnen und die Achtung seiner Vorgesetzten zu gewinnen. Koch gehörte anfänglich zu dem bekannten Lützow’schen Freicorps, dessen Schicksale und Ruhm er theilte. Seiner ganzen Natur sagte das kühne Wesen und das frische Leben dieser Truppe weit mehr zu, als der spätere Dienst in dem regelmäßigen Heere. Hier galt noch der einzelne Mann, hier herrschte ein mehr cameradschaftliches Verhältniß und ein fröhliches Lagerleben, hier gab es Abwechselung, kecke Wagstücke, schlaue Ueberfälle, ritterliche Thaten, hier waltete vorzugsweise der Geist des Volkes und der Jugend, aus dem der heilige Freiheitskampf hervorgegangen war.

Unter den Augen des kühnen Lützow hatte Koch fast an allen hervorragenden Gefechten seines Corps Theil genommen und unter den vielen Tapfern sich hervorgethan. Später wurde er jedoch in das regelmäßige Heer eingereiht und einem Jägerbataillon zugetheilt. Bei Belle-Alliance schwer verwundet, mußte er mehrere Monate im Lazareth liegen bleiben. Als er endlich geheilt war, wurde er für den ferneren Dienst unbrauchbar erklärt und in Anerkennung der von ihm bewiesenen Tapferkeit mit dem eisernen Kreuz entlassen.

Nach vierjähriger Abwesenheit kehrte Koch in die Heimath und nach seinem Dorfe zurück. Er fand seinen Vater todt, die hinterlassene Wirthschaft vernachlässigt und mit Schulden belastet, so daß ihm nichts übrig blieb, als das Anwesen um jeden Preis loszuschlagen, da das baare Geld nach dem Kriege äußerst knapp geworden war. Ohnehin fehlte ihm jetzt Lust und Neigung, wieder ein Bauer zu werden. Bei seiner Gewöhnung an das frische Lagerleben mußte ihm das einförmige Dasein auf dem Dorfe, die beschränkte Existenz des Landwirths jetzt doppelt zuwider sein. Eine gewisse Ungebundenheit und Rastlosigkeit war ihm von seinem bisherigen Stande zurückgeblieben, so daß er sich nicht so leicht in die engen Verhältnisse seiner Heimath wieder finden konnte. Da ging Alles seinen alten, ruhigen Gang, als ob nichts in der Welt geschehen wäre, da hatte sich nichts verändert, während draußen das Ungeheuerste sich doch ereignet hatte. Man hatte zwar auch an dem Kampfe, aber nur aus weiter Entfernung, Theil genommen, manches Opfer an Geld und Gut gebracht, doch das war bald wieder vergessen und jetzt hatte jeder Mann völlig zu thun, um durchzukommen, die neuen Steuern aufzubringen, die alten Schulden abzutragen, die vernachlässigten Aecker zu bestellen, zu säen und zu ernten, zu bauen und zu schaffen vom Morgen bis zum Abend, von einem Sonntag bis zum andern.

Nur der heimgekehrte Koch fand keine ihm zusagende Beschäftigung, obgleich er es an Bemühungen darum nicht fehlen ließ. Ein Gesuch um den Posten eines Gerichtsboten oder Steuerbeamten wurde ihm trotz seiner glänzenden Zeugnisse und der Versprechungen, welche die Regierung den tapferen Freiheitskämpfern beim Beginn des Krieges gegeben hatte, unter dem Vorwande zurückgewiesen, daß ihm die nöthigen Kenntnisse mangelten, was allerdings leider der Fall war. Aber auch andere Stellen, die einen geringeren Bildungsgrad voraussetzten, wurden ihm abgeschlagen, weil die Zahl der berechtigten Bewerber zu groß war und ihm jede Protection, um die er sich allerdings auch nicht bemüht hatte, gänzlich fehlte. Während er aber bald hier, bald dort anklopfte und überall zurückgewiesen wurde, zehrte er allmählich die wenigen Groschen auf, welche ihm von der väterlichen Erbschaft übrig geblieben waren. Wollte er nicht als Bettler der Gemeinde zur Last fallen, so mußte er sich a!s Tagelöhner verdingen, woran ihn jedoch die nach seiner Verwundung zurückgebliebene allgemeine Körperschwäche verhinderte.

Seine Lage wurde noch peinlicher durch den Umstand, daß Koch in der Heimath ein Mädchen kennen gelernt hatte, das er

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_820.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2023)