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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Alten, einen Philosophen, der nach einem reichen Leben auf seinen Lorbeeren auszuruhen wünscht.

Es giebt so leicht keine Mutter, welche ihren einzigen Sohn zum Dichter bestimmt. Auch die meinige that es nicht, sie übergab mich vielmehr dem Beruf eines Schreibers bei einem Notar von Villers-Cotterets. Wenn ich diesen Beruf verfehlte und einer der größten Schriftsteller unseres Zeitalters wurde, so bin ich selbst daran schuld. Ich will Ihnen erzählen, wie ich meinen Beruf als Clerc (Schreiber) verfehlte. Schon früh schwärmte ich für Theater, für die Literatur. Theaterstücke zu schreiben, war mein höchstes Ziel. Als ich einmal mit einem Freund nach Paris kam, stellte mich derselbe dem großen Talma vor, und Talma sagte zu mir: „Alexander Dumas, ich weihe Dich zum Dichter im Namen Shakespeare’s, Corneille’s und Schiller ’s!“ Dieser große Schauspieler erkannte mein Genie, und ich war es ihm schuldig, seiner Erkenntniß Ehre zu machen.

Zuerst suchte ich mir nun in Paris einen Platz; der General Foy war es, der mich dem Herzog von Orleans empfahl und mir die Stelle eines Secretairs bei demselben verschaffte. Mein Gott, ich erhielt eintausend zweihundert Francs im Jahr und die Geschäfte drückten mich nicht. Dabei war ich erst fünfundzwanzig Jahr alt und fühlte, daß ich noch eine große Zukunft haben werde. Ich setzte mich hin und studirte die großen Dichter, in deren Namen mich der große Talma gesegnet. Ich studirte Shakespeare, Corneille, Schiller, Walter Scott und Goethe und meine Stücke können Ihnen eine Menge Beweise davon liefern, wie fruchtbar dies Studium war. In Wahrheit, meine Gedanken begegneten sich oft mit den ihrigen und ich konnte also mit Recht mich ihrer Worte, ihrer Verse und ihrer Scenen bedienen, die ich dadurch zu neuer Anerkennung und zu neuem Ruhme brachte. Ich war es auch, der damals den Fiesco Ihres großen Schiller in’s Französische übersetzte und als einzigen Lohn, außer meiner Genugthuung, nur ein paar Scenen daraus später für mein Drama „Teresa“ annectirte.

Mit Kleinem fängt man an, mit Großem hört man auf. So begann auch ich mit kleinen Theaterstücken, die mir vier und sechs Francs eintrugen, um mit großen Dramen zu endigen, welche mir Hunderttausende brachten. Die große Carrière begann mit dem Drama „Heinrich der Dritte“ im Jahre 1829. Ich machte damit eine Revolution in der französischen Literatur, ich war der Erste, welcher das Vorwort zu Victor Hugo’s „Cromwell“ verstand und mit diesem sublimen Dichter, meinem Freunde, die französische Bühne umgestaltete. „Heinrich der Dritte“ hatte ungeheuern Erfolg und brachte mir fünfzigtausend Francs ein, ich war mit einmal einer der ersten Dramatiker Frankreichs, ein reicher Mann, der nicht mehr nöthig hatte, in einer Amtsstellung zu dienen. Nur der erste Schritt ist schwer. Nachdem ich ihn gemacht, ging es von selbst. Mit meinem zweiten großen Stück „Christine“ ward ich der Mann des französischen Repertoirs; alle Theaterdirectoren baten um meine Feder, die jungen Talente drängten sich zu mir heran, meine Protection zu erreichen. Ich war wohl verpflichtet, diesem Ruf zu gehorchen – ich war es der französischen Literatur, ich war es meinem Genie schuldig. Der Name Alexander Dumas hatte Curs auf allen Bühnen; es genügte, daß ich ihn auf die Manuscripte setzte, welche mir die jungen Talente gaben und die ich manchmal gar nicht gelesen hatte. Ein Stück von Dumas, das reichte hin, um sich darum zu reißen.

Wahrhaftig, ich war des Ruhmes satt, der rauschenden Erfolge auf den Bühnen überdrüssig. Mich verlangte nach neuen Ehren, mein Genius suchte sich ein neues Feld. Ich warf mich dem Roman in die Arme, und der Roman beeilte sich, mir in die Arme zu laufen. Ich erfand die Mitarbeiterschaft; ich machte ein großartiges System daraus, Andere erfinden zu lassen und Vorsteher einer Erziehungsanstalt junger, unbekannter Romandichter zu werden. Sie arbeiteten, ich unterzeichnete; mit meinem Namen versehen, war der Erfolg gewiß, und Sie erinnern sich gewiß noch der Zeiten, wo alle Welt die Romane von Alexander Dumas, die drei Musketiere, Monte Christo, die beiden Dianen und hundert andere verschlang. Ich gestehe, daß ich sie alle weder erfunden, noch geschrieben habe; es genügte, daß ich sie corrigirte und mit meinem Namen versah. Einmal macht man mir in einer Gesellschaft schwere Vorwürfe über historische Irrthümer in einem meiner neuen Romane; ich frage nach dem Titel und – vraiment, ich wußte gar nicht, daß ein solcher Roman von mir existirte. Einer meiner Mitarbeiter ging nach Petersburg und fand im Feuilleton einer dortigen Zeitung meinen Roman „Olympe“ abgedruckt. Er hatte ihn geschrieben, das ist wahr; aber ich hatte ihn gestempelt und cursfähig durch meinen Namen gemacht. Der junge Mann erzählt dies dem Besitzer der Zeitung, der es nicht glauben will und ihn als Schurken behandelt. Um sich zu rechtfertigen, zeigt er dem Verleger Briefe von mir, in denen ich ihn um den Schluß des Romans bitte. Eh bien, er hatte seine Satisfaction, aber der Verleger wollte nur einen Roman „Olympe“ von Alexander Dumas drucken. Auf solche Art war es möglich, daß ich 1846 an sechszig Bände Romane auf den Markt warf und daß die Welt über diese gigantische Arbeitskraft und unerschöpfliche Phantasie erstaunte. Hunderttausende flossen in meine Casse, Hunderttausende flossen wieder heraus. Ich war der große Dumas, der Nabob der modernen Literatur, man verehrte mich, man beneidete mich, man suchte meine Person, mein Geld, meinen Credit. Und diejenigen, denen ich als meinen Mitarbeitern zu Renommée verholfen, empörten sich nun und behandelten mich mit Undankbarkeit. Selbst der gute Maquet, der mir meine berühmtesten Romane geliefert, machte mir den Proceß und wollte allein Alexander Dumas spielen. Bah! Ich ließ sie alle laufen und allein ihre Romane herausgeben und schrieb gar nichts mehr. Alexander Dumas wollte nicht mit den kleinen Alexandern concurriren.

Damals war es, wo ich zu Ehren meines erfolgreichsten und von der Lesewelt verschlungenen Romanes Monte Christo jenes groteske Phantasieschloß aufbauen ließ, von dem Sie gewiß Alle gehört haben und zu welchem alle Fremden von Paris aus wallfahrten. Hélas! dieses schöne, feenhafte Schloß von St. Germain, es ist längst fort, längst verkauft, verloren. Und die Literatur, das Theater, welches mir so viel Geld eingetragen, daß diese großen Revenuen in aller Welt Mund waren, sie haben mir auch viel Geld gekostet. Sehen Sie da eine echte Liebe zur Kunst! Aus meinen Mitteln habe ich, als ich ein wenig Nabob war, das Théatre historique erbaut und ich nannte es nicht Théatre Dumas, wie man sagt Théatre Beaumarchais, obgleich nur Stücke von mir daselbst zur Aufführung kamen. Ich gestehe, die Passion war sehr kostspielig, meine Generosität zu groß. Das Publicum will stets mit den Manieren eines Grandseigneur behandelt sein; wenn man ihm schmeichelt und sich freigebig zeigt, wird es undankbar. Die Undankbarkeit des Publivums brachte es dahin, daß mein Théatre historique Bankerott machte und die Gläubiger mein Schloß Monte Christo in St. Germain unter den Hammer brachten. Diese Leute der Prosa – haben sie Achtung vor den Werken der Poesie? Nein – jamais!

Aber Alexander Dumas hatte noch einen Kopf mit Geist, Vertrauen und eine Hand zum Schreiben. Ein berühmter Marschall der französischen Literatur, der ich war, schämte ich mich nicht, wieder die Muskete zu ergreifen und von der Pike auf zu dienen. Ich schuf mein Journal „der Musketier“, und ein paar Jahr lang war dieser Musketier das große Ereigniß der Literatur, der Liebling von Paris. In diesem Journal finden Sie fast Alles, was ich Ihnen hier erzähle, viel ausführlicher; denn in ihm veröffentlichte ich meine Memoiren und die Menge von Anekdoten, deren Held ich war und zu dem ich mich machte. Ich kann Ihnen eine davon erzählen, weil sie mich charakterisirt. Hören Sie.

Es war Soirée beim Herzog von Decazes, welcher auch mein theurer Freund, der selige Lord Palmerston und seine Gemahlin beiwohnten. Ich plaudere mit Victor Hugo auf einem Divan, als plötzlich der junge Decazes zu uns kommt und sagt:

„Hätten Sie nicht die Freundlichkeit, einen Platz zwischen sich frei zu machen, meine Herren?“

Natürlich beeilen wir uns. Darauf führte Lord Palmerston seine Gemahlin zu diesem Platz und diese setzte sich.

„Mylady,“ sagte der Lord nun feierlich zu ihr, „ziehen Sie Ihre Uhr. Wieviel zeigt sie?“

„Zehn Uhr fünfunddreißig Minuten, Mylord,“ antwortete die edle Frau.

„Gut, Mylady, vergessen Sie nicht, daß Sie heut um zehn Uhr fünfunddreißig Minuten Abends die Ehre hatten, zwischen den zwei größten Genies Ihres Jahrhunderts zu sitzen.“

Aber es ist ein Unglück, fünfhundert Bände geschrieben zu haben! Sie fragen warum? Ei, das Publicum hat dann genug zu lesen und interessirt sich nicht mehr für Neues. Ich habe es erfahren! Auch mein „Musketier“ brachte mir zuletzt nur noch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_824.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)