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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

mit der Gegenwart zu vergleichen, weil Beide durch den Krieg nicht ausnahmsweise mehr heimgesucht worden seien, als andere Länder, und die Culturverhältnisse beider Landschaften bis zur Gegenwart ziemlich genau dem mittleren Durchschnitt deutscher Industrie und Landwirthschaft entsprächen. – Möge man die nachfolgenden Schilderungen als einen solchen Beitrag, als ein paar Züge zu dem großen Gesammtbilde von „Deutschland im Elend“ aufnehmen; sie verdienen vielleicht besondere Beachtung deshalb, weil sie zum Theil von mir neu aufgefunden und der Vernichtung entrissen worden sind.

Beim Ausbruch des dreißigjährigen Kriegs standen die Länder der sächsisch-ernestinischen Linie unter zwei Häusern, dem sogenannten altweimarischen und dem coburgischen Hause. In letzterem regierten Johann Casimir und Johann Ernst, die Söhne des unglücklichen Herzogs Johann Friedrich des Mittlern, der als Beschützer des geächteten Ritters Grumbach in die Reichsacht verfallen, nach der Erstürmung Gothas und des Schlosses Grimmenstein in ewige Gefangenschaft nach Oesterreich geführt und dort gestorben war.

Herzog Johann Casimir, ein Fürst, der fest am Lutherthum hielt und auf sein Schirmrecht über die protestantische Kirche seines Landes stolz war, wußte gleichwohl sich und seinem Lande bis zum Jahr 1629 den Schutz der Neutralität zu erhalten. Konnte er dadurch auch nicht alle Drangsale des Kriegs abwenden, nahmen die fast endlosen Truppendurchzüge die Kräfte der Gemeinden bereits sehr stark in Anspruch, so traf der Verlust bis dahin doch eben nur das Gut, Blut war noch nicht vergossen worden, außer in einzelnen Fällen, wenn die Bauern „mit Spießen, Flegeln und Floßhaken“ gegen einzelne Croatenschwärme und dergleichen sich auf eigne Faust Recht verschafft hatten. Als aber nach dem Fürstentag zu Leipzig (im Februar 1631) und in Folge des Verbrechens an Magdeburg (im blutigen Mai desselben Jahrs) der Herzog sich zum Bündniß mit Schweden genöthigt sah und sogar schwedische Besatzung in seine Veste Coburg aufnahm, brachen alle Schrecken jenes Kriegs mit einem Male auf das Land herein.

Dreierlei half zusammen, um gerade diese Theile von Nordfranken und Südthüringen den ärgsten Verwüstungen auszusetzen: die Heerstraßen, die durch sie von Bamberg und Würzburg nach Sachsen führten, die katholische Nachbarschaft in den angrenzenden bischöflichen Ländern und die drei Festungen Kronach, Coburg und Königshofen. Diese an sich unbedeutenden Waffenplätze zogen jeden Feind an, und je tapferer und länger sie sich wehrten, desto schlimmer war es für das umliegende offene Land, zumal die ersten Heerzüge große Wohlhabenheit dort gefunden hatten, eine Kunde, die damals ein Trupp dem andern zurief und welche die Blutegel aller Farben anlockte, bis die Wüste fertig war. Diese Andeutungen werden genügen, um unsere Leser für die Bilder vorzubereiten, die nun vor ihren Augen aufgerollt werden sollen.

„In diesem Jahre wurde hiesiges Land durch die kaiserlichen und baierischen zusammengestoßenen Armeen durch Mord, Raub, Plünderung, auch Verheer- und Verwüstung aller Häuser und Schlösser und andere unzählige Unthaten nach wilder Barbaren-Art in einen erbärmlichen Zustand versetzt.“ So beginnt die Coburger Chronik das Jahr 1632. Schon 1631 hatte der kleine Grenzkrieg zwischen Katholischen und Lutherischen begonnen; in größerem Style wurde er nur von der Veste Kronach aus geführt, deren Besatzung ihre Streif- und Raubzüge meilenweit über das Herzogthum und selbst bis nach Steinheide auf dem Thüringer Wald hinauf ausdehnte; auch diese durch ihren Bergbau auf Gold einst blühende Bergstadt fraß dieser Krieg, die Bergwerke verfielen ganz und mühvoll erhob sich nach dem Friedensschluß um die alte Kirche ein armer Marktflecken.

Um die Kronacher zu züchtigen, rückte der „coburgische Ausschuß“ mit zwei halben und zwei Viertels-Karthaunen, unter Anführung eines schwedischen Obersten, vor Kronach; aber die Belagerung bekam übel, die Coburger mußten mit Verlust von drei Kanonen, aller Munitions- und Bagagewagen abziehen, und die Feinde wütheten schlimmer, als zuvor. Der schwarze Lieutenant, einer ihrer Führer, war noch lange nach dem Kriege ein Schreckensname geblieben.

Wenige Wochen vor diesem Zuge hatte Tilly mit achttausend Mann Königsberg (in Franken), mit einem festen Bergschlosse, berannt, genommen, die Stadt angezündet und der Plünderung übergeben. Gleich nachher fielen die Croaten von Lichtenfels aus in den Itzgrund ein und brannten und plünderten die reichen Dörfer Buch und Siemau rein aus. Von allen Seilen kamen die fliehenden Landleute nach Coburg, um Schutz und Brod zu suchen. Und doch war dies Alles nur das Vorspiel zum großen Drama!

Dies begann, als Wallenstein, nach dem Kampfe vor Nürnberg (Anfang September 1632), durch Thüringen nach Sachsen zog. Das Land des Herzogs von Coburg war das erste ketzerische eines vom Kaiser abtrünnigen Fürsten, das er auf diesem Zuge betrat, und es sollte seinen ganzen Zorn fühlen. Als die Veste Coburg sich nicht ergab und seine stürmenden Schaaren zurückschlug, loderten am Abend desselben Tages die Flammen im ganzen Lande auf. Von den Basteien der Veste sah man die Feuersäulen der Städte Rodach, Heldburg, Ummerstadt, Eisfeld, Schalkau, Neustadt und vieler Dörfer die ganze Nacht gen Himmel ragen.

Nur wenige Tage, vom 27. September bis zum 5. October, hatte Wallenstein (mit dem Kurfürsten von Baiern) vor der Veste Coburg gelegen, und wieviel Leben, Glück und Gut hatte dies dem armen Volke gekostet!

Und doch schwinden fast all diese Gräuel vor einer That des Wahns, die in denselben Tagen in Coburg geschah. Die Chronik berichtet: „Am 6. Septb. wurde ein Knabe von zwölf Jahren, Georg Grünewald’s, Kannengießers Sohn, mit dem Schwert gerichtet und hernach verbrannt, dabei zwei andere Knaben mit hinaus auf die hohe Straße geführt und bei der Meinung gelassen, als ob sie gleiche Strafe ausstehen sollten, indem sie alle gutwillig bekannt hatten, daß sie Hexerei getrieben!“ – So ging, von dem unerhörten Unglück des Krieges unberührt, die Gerechtigkeit des Wahns ihren blutigen Weg!

Sehen wir uns nun in den einzelnen Unglücksstätten um. – Während der kurzen Belagerung der Veste Coburg durch die Kaiserlichen und Bairischen war für die Soldatesca Jedermann vogelfrei, und bald begann nach der allgemeinen Plünderung eine allgemeine Flucht. Bötzinger, Pfarrer zu Poppenhausen bei Heldburg, erzählt, wie er, auf Bitten der Seinen, um sein Leben zu retten, aus seinem Dorfe geflohen, wie acht Croaten ihn „errenneten“ und bis auf’s Hemd und seine „Harzkappe“ auszogen, wie sie schon davon gesprochen, als sie einen „Pap“ oder „Pfaff“ in ihm erkannt, ihm die Testiculos zu nehmen und wie er nur durch einen derselben, einen geborenen Schweden, der als Gefangener unter die Croaten gekommen war, gerettet worden sei. Er lief, bis er in eine Wasserrunse fiel und da liegen blieb, bis es Nacht war. Dann schlich er nach Seidingstadt, fand dieses Dorf ganz leer, bis er hinter einem Stadel den Rest der Gemeinde traf, eben berathend, wohin man weiter flüchten solle. Hier schenkte man dem ausgehungerten und halberfrorenen Pfarrer einen Topf Milch, ein paar alte Lederhosen voll Wagenschmiere, einen grauen und einen weißen wollenen Strumpf und ein Paar Riemenschuhe ohne Sohlen. In diesem Aufzuge floh er nach Hildburghausen, das durch ungeheure Geldopfer vor der Brandfackel bewahrt worden war, aber wo gleichwohl Alles, was laufen konnte, zur Flucht rüstete, zumal über tausend fremde Flüchtlinge sich dort angesammelt hatten. Als es wieder Nacht war, ging es an ein Scheiden – „und saßen unzehlig viel Leute mit ihren Packen auf der Gaß, auch viel mit Wägen und Kärrn angespannt, die alle, als das Thor aufging, mit fort wanderten. Als wir in’s freie Feld kamen, sahen wir, daß die guten Leutlein sich in alle Straßen austheilten. Da wurden viel Tausend Wind-Lichter gesehen, diese hatten Latern, diese Stroh-Schäube, andere Pech-Fackeln. In Summa etliche 1000 Leute zogen mit Traurigkeit fort. Ich und mein Hauff kamen, hor. 12 Mitternacht gen Themar, welche Stadt sich auch mit uns aufmachte, und abermal etliche 1000 mehr wurden. Der Marsch ging auf Schwartzig, Steinbach zu, und wo wir gegen Morgen in ein Dorff kamen, da wurden die Leute erschreckt, daß sie Hauß und Hoff auch zurückließen und mit uns fortzogen.“ – Und als dieser Pfarrer im Jahre 1634 endlich, nach unzähligen Leiden, sich nach Poppenhausen zurückwagte – „da war daselbst so große Mattigkeit und Mangel, daß wir den todten Leuten ähnlicher sahen, als den lebendigen. Viele lagen schon aus Hunger darnieder, und mußten gleichwohl alle Tage etliche Mal Fersengeld geben und uns verstecken. Und obgleich wir unsere Linsen, Wicken und andre Speiß in die Gräber und alten Särge, ja unter die Todtenköpfe versteckten, wurde es uns doch alles genommen.“

Von den Schicksalen der Geistlichen und Schullehrer, von denen in den Kirchenbüchern und Schulbibeln noch Manches bis

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_826.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)