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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Wir müssen uns jedoch hier auf die Mittheilung beschränken, daß in den schönen und großen Fluren der Dörfer dieses Amtsbezirks im Ganzen nur 713½ Acker nothdürftig angebaut waren, 3228½ Acker werden als „ödes Feld“ angegeben, 345 Häuser standen wüst, und wo jetzt 6000 Menschen leben, fand man damals nur noch 313 zusammen.

Die Hälfte der Schuld dieser furchtbaren Verwüstung liegt auf den Schweden, die, sobald der Friede mit dem Kaiser geschlossen war, in dem lutherischen Lande ärger hausten, wildere Gräuel der Menschenmarter (Schwedentrunk!) begingen, als sogar den Croaten möglich war. Der Krieg ernährte sich längst selbst, er hatte fast zwanzig Jahre gewährt, die ganze Jugend hatte noch kein Bild des Friedens gesehen! – Ein schwedischer Oberst war es, Namens Phuls, der damals vom Lande Coburg berichtete: „Es ist durch die ausgestandene schwere Kriegslast dahin gediehen, daß Hunde, Katzen, Ratten, Mäuse, todtes Aas (um das sich die Menschen geschlagen!) und andere abscheuliche Dinge dem armen Landvolk zur Speise gedient, das sich gerne mit Trebern, Leinkuchen, Kleien und Eichelbrod, gleich den unvernünftigen Thieren, zu sättigen begehret, wenn sie nur dessen genug haben konnten. Weil es aber auch daran mangelte, so wollten die Mütter ihre Kinder angehen, und schlachten etc.“ – Und wirklich hat, so schreibt die Chronik, eine Frau zu Roßfeld, Anna Hessin, zwei Kinder ermordet, Würste davon gemacht und dann gegessen. Man hielt sie für eine Zauberin, brachte sie zur gefänglichen Haft und wollte sie eben mit glühenden Zangen zerfetzen und dann verbrennen, als sie noch zu rechter Zeit im Gefängniß starb. Ihr Körper wurde dennoch auf der Gerichtstätte verbrannt. So wüthete der Hunger bis zum Wahnsinn!

Damit seien diese Mittheilungen geschlossen. Aber eine doppelte Lehre nehmen wir aus diesen Jammerbildern mit: erstens die, daß wir nicht ungerecht urtheilen sollen über die bürgerlichen Nichtswürdigkeiten, die unser Volk nach dem dreißigjährigen Kriege bis zur französischen Revolution, ja bis zu den Befreiungskriegen in den meisten deutschen Ländern zeigt, denn dieses arme deutsche Volk hatte sich vom tiefsten Elend zu erholen; und zweitens, daß die Art, wie dieses Volk aus Schutt und Asche und Blutlachen wieder erstand, uns mit freudiger Bewunderung und mit dem schönsten Vertrauen für sein Vorschreiten in die Zukunft erfüllen muß. Trägt auch das deutsche Volk hie und da noch leise Spuren der politischen Folgen jenes Kriegs, der deutsche Boden hat sie überwunden, aus dem Dorngestrüpp der Einöden und Wüsten sind wieder fruchtbare Felder geworden und wieder gilt von ihm und auch von dem einst so schwer heimgesuchten Fleckchen deutscher Erde, an dessen Anblick unser Auge auf der Veste Coburg sich labt, das Wort des Tell:

Dort blüht das Korn in langen, weiten Auen,
Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 22. Eine Pürschfahrt auf Hochwild.

Die bevorstehende Hochzeitsfeier einer reichen Patriciertochter in der schlesischen Provinzialstadt **, wobei alle Genüsse der Tafelfreuden ausgekostet werden sollten, ward Veranlassung, daß der dortige Wildpretshändler mit einem Gesuch um ein Stück Rothwild oder dergleichen schwachen Hirsch beim Wildmeister X. zu *** einkam. Der Gebieter desselben bewilligte ausnahmsweise die Bitte und übertrug mir, der ich gerade im Schlosse als Jagdgast anwesend war, den Abschuß. Die gestellte Frist bis zur Einlieferung war eine sehr zugemessene, darum durfte ich nicht säumen, wollte ich den Auftrag rechtzeitig ausführen, besonders da die kurzen Tage – es war im November – dem Unternehmen nicht eben günstig waren. Ich brach also schon frühzeitig mit den mir zur Verfügung gestellten Schecken zur Pürschfahrt auf.

Es war einer jener todten stillen Wintertage, die dem erst sturmheulenden Wetter und nachherigen wirbelnden Schneefall des sogenannten „schwarzen“ Monats gefolgt waren, und lautlos rollte der leichte Wagen durch die lockere, frische Winterdecke, so daß das Schnaufen und Pusten der Pferde, sowie das Knarren ihrer Geschirre um so auffälliger durch die schlummernde Haide tönte. Sonst vernahm das lauschende Ohr nur noch das leise Zit, Zitzitiß! der niedlichen Goldhähnchen und den gar so lieb und heimlich klingenden Ton der geschäftigen Meisen, die in sorglicher Behendigkeit nach Nahrung die schneebelasteten Kiefernzweige durchflatterten, daß der lose aufliegende Flaum in großen Flecken zu Boden fiel. Mit Wohlgefallen folgte das Auge den kleinen schmucken Vögeln und ergötzte sich an ihrem Getreibe, doch ohne deshalb den Weg, soweit ihn der Blick vom Pürschwagen aus bestreichen konnte, außer Acht zu lassen, um hier die über Nacht getretenen Wildfährten zu mustern. Schon manche derselben hatte den blendenden Pfad gekreuzt, aber immer war es keine solche, die mich veranlassen konnte, das Dickicht, in das sie führte, zu umkreisen, um dann, wenn dieselbe nicht wieder herausgeführt hätte, entweder der Spur im Schleichen zu folgen oder auf dem Wechsel vorzutreten, im letztern Falle aber vom Pürschjäger den Dachshund, welchen ich bei mir hatte, auf die Fährte setzen zu lassen, um mir auf diese Weise das begehrte Wild zum Schuß heranzubringen. Denn bald spürte ich wohl einen Hirsch, der aber mindestens ein Zehnender, wenn nicht stärker sein mochte, bald nur Mutterwild mit Kälbchen; dann wieder Sauen, die, so sehr mich ihre Fährten reizten, heute doch ebenfalls unbeachtet bleiben mußten, da eben ausdrücklich nur die bestimmte Lieferung geschafft werden sollte. So mußte ich mich mithin nothwendig entschließen, meine Fahrt bis nach den entferntesten Revieren im meilenweiten Forste auszudehnen, wo, wie mir der Pürschjäger versicherte, schwache Rothhirsche in Menge ständen.

In dieser zuversichtlichen Erwartung ging’s denn, nachdem um die Mittagszeit ein kurzer Aufenthalt in einem am Wege liegenden traulichen Forsthäuschen Menschen und Thiere durch ein frugales Mahl erquickt hatte, munter fort und fort, hier zwischen finsteren Dickungen, dort über weitgedehnte Gehaue und Holzschläge hin. In lichter Bläue, den Waldhintergrund halb verschleiernd, stieg auf letzterm der Rauch der knisternden Feuer auf, welche die Waldarbeiter, die hier schafften, unterhielten, um dabei ihre einfache Kost zu bereiten. Dann nahmen uns wieder hohe Bestände mächtiger Föhren auf, die in ihrer lichtgestellten Ordnung wie Säulenreihen das schneebelastete Wipfeldach trugen. Weiter hin aber führte der Weg plötzlich über ausgedehnte, baumlose Moorflächen, die man trotz ihrer weißen Hülle durch das elastische Sinken des Bodens unter den Rädern, da die schützende Decke das Erstarren desselben verhindert hatte, leicht zu erkennen vermochte. Aber auch durch Strecken düstern Fichtenwaldes, der sich den öden Flächen anschloß, führte der einsame Weg, und die Jahrhunderte alten Baumriesen, die hier in die bleierne Winterluft ragten, überwölbten denselben mit ihrem schneebelasteten dichten Gezweig und senkten es stellenweise tief herab bis zum Boden, so daß es mit dem Unterwuchs in dichte Massen verschmolz, die kein Blick zu durchdringen im Stande war. Stille, tiefe Stille herrschte auch hier; nur das Abstieben eines Auerhahns, der auf dem dürren Aste einer gewaltigen Tanne gestanden, unterbrach durch seinen rauschenden Flügelschlag für Augenblicke das heilige Waldesschweigen und verursachte, daß die Pferde stutzend die Kopfe emporwarfen und dadurch Massen von Schnee der überhängenden Zweige auf uns, die wir im Wagen saßen, herabschütteten. Der urige Hahn aber war das erste Wild, welches das Auge nach langer Fahrt erblickte, und ich nahm es als eine gute Vorbedeutung zur Jagd, den königlichen Vogel über den Weg streichen zu sehen.

Wiederum ward der Forst lichter. Ein Bestand alter Eichen folgte dem schwarzen Nadelholze. Längst schon hätten diese nach forstlichem Ermessen dem Beile verfallen sollen, aber der Gebieter, der aus Liebe zur Natur diese herrliche Waldpartie geschont wissen wollte, hatte dagegen entschiedenen Einspruch gethan. Jetzt starrten die knorrigen Baumrecken mit ihren phantastisch geformten Wipfeln und dürrbelaubten verschlungenen Seitenästen in den eintönigen Himmel, während noch manche ihrer Herbstfrüchte unter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_828.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)