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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und unterliegt den Begräbnißgesetzen der Hauptstadt nicht. Vom Abney-Park-Friedhofe ist das saubere Aeußere zu rühmen; es ist jedoch bekannt, daß die Todtengräber mehr mit Aexten und Beilen, als mit Grabscheiten arbeiten müssen, um durch Särge und menschliche Reste hindurch den Weg in die Tiefe zu finden.

Ein Schauder durchlief London, als der auch in Hinsicht auf das Hospitalwesen verdiente Dr. Sutherland die Geheimnisse der Londoner Begräbnißplätze enthüllte (1855). Vor allen Dingen mußten geeignete Räume zu Gebote gestellt werden, um die Leichenmassen aus der Nähe Londons zu entfernen. Dann konnte auch auf eine würdige und billige Art der Bestattung, so wie auf den sehr wichtigen Umstand Rücksicht genommen werden, die Möglichkeit zu geben, daß die Leichen in der nächsten Nacht nach dem Hinscheiden, bei Epidemien sofort, aus dem Sterbelocal entfernt wurden.

Was den letztern Punkt anbetrifft, so ward der haarsträubende Fall als sehr oft eintretend constatirt: daß in der Wohnung von armen Familien, welche das enorme Begräbnißgeld nicht erschwingen konnten, eine Leiche oft wochenlang liegen bleiben mußte. Von eintausendvierhundertfünfundsechzig Familien eines Districts von London, wo viele Arbeiter wohnen, besaßen neunhundertneunundzwanzig Familien nur je ein Wohnzimmer, wo auch geschlafen werden mußte, und in sechshundertunddreiundzwanzig Familien war nur je ein einziges Bett zu finden. Und dazu eine nicht wegzuschaffende Leiche!

Rousseau sagte: „Alle Laster des Menschen entspringen aus der Bildung, deren Ursache der menschliche Geselligkeitstrieb ist“. Wir nehmen nur den letzten Theil des Satzes als richtig an. Der Geselligkeitstrieb, welcher Massen von Menschen vereinigt, hat eine reiche Folge von Erscheinungen herbeigeführt, die den Verstand und die Erfindungskraft im höchsten Grade belebten. Das Massenleben Londons zeigt von Zeit zu Zeit ganz eigenthümliche, neue Verhältnisse, denen entweder schleunigst abgeholfen werden muß, oder welche für neue Eroberungen im Gebiete praktischer Lebensweisheit auszunützen sind.

Zuerst staunten die Londoner rathlos, als ihnen genau vorgerechnet wurde, daß die Metropolis einen Begräbnißgrund nothwendig habe, so groß, wie Hyde-Park, St. James-Park und die Kensington-Gärten zusammengenommen. Bald aber war der Anfang gemacht, Abhülfe zu gewähren. Die erste Nekropolis Londons entstand zu Woking Common, am südlichen Ufer der Themse. Die Woking-Begräbniß-Compagnie kaufte zweitausend Acres Grund und Boden und bestimmte vierhundert Acres zu einem Friedhof. Die Anlage war unter Zugrundelegung der Forderungen der besten medicinischen und technischen Autoritäten gemacht worden. Wer London besucht, findet die anderthalb Stunden Zeit, um den Woking-Kirchhof zu besuchen und die Pracht der Parkanlagen, der Blumenbeete, die wohlgepflegten Wege sammt den Einrichtungen für die Bestattung selbst zu bewundern. Man fährt auf der Südwest-Bahn in einer halben Stunde nach Woking.

Mit Woking Cemetery wetteifert der Friedhof von Colney Hatch, von einer großartigen Compagnie seit einigen Jahren erst für die Benutzung eröffnet. Dieser Friedhof liegt an der nördlichen Uferseite der Themse, fünfzehn Minuten Zeit von London entfernt und mit der großen Nordwestbahn zu erreichen.

Um Zeuge zu sein, wie die Colney-Hatch-Gesellschaft ihr höchst rentables Geschäft betreibt, gehen wir zum Empfangsbahnhofe in Kings Croß, welcher dicht an das Areal der Hauptstation der großen Nordbahn stößt. Mit dem Einbruch der Dämmerung gehen die Leichenwagen in die Stadt ab, Fuhrwerke, welche sich durch nichts, als durch ihre flachen, verschließbaren Kästen von anderen leichten Lastwagen unterscheiden. Diese Wagen bringen die Leichen, deren Anmeldung im Laufe des Tages erfolgt ist. Für billigsten Preis wird hier, wenn es gewünscht wurde, ein Sarg sammt der Leichentoilette geliefert; die Compagnie ist jedoch auch im Stande. die luxuriösesten Bestellungen auszuführen. Die Leichen werden mit einem zu regelmäßigen Zeiten vom Bahnhofe abgehenden Dampfzuge nach dem Colney-Hatch-Friedhofe befördert. Hier kommen sie in eine große Halle, wo sie, unter allen gegen das Lebendigbegrabenwerden gerichteten Vorsichtsmaßregeln, bewacht werden. Für die Leidtragenden sind besondere Züge am Tage bestimmt. Bis zur Bestattung steht es den Hinterbliebenen frei, ihre Todten zu sehen. Die Särge stehen auf Platten mit Rollen und können leicht auf der Estrade, wo sie aufgestellt sind, hin- und herbewegt werden.

Die Kosten der Aufnahme einer erwachsenen Leiche und Fortführung derselben nach der Friedhofs-Bahnstation Colney Hatch kostet mindestens sechs Schillinge oder etwa zwei Thaler. Das Begräbniß selbst wird billigst für dreizehn Schillinge sechs Pence ausgeführt. Für das Billet einen Leidtragenden nach dem Friedhofe und zurück wird ein Schilling sechs Pence berechnet. Die Personenwagen sind, für theureren Fahrpreis, sehr elegant eingerichtet. Sonst kostete das jämmerlichste Begräbniß in London vier Pfund Sterling = siebenundzwanzig Thaler, welche vorausbezahlt werden mußten, während die Colney-Hatch-Company sich zunächst nur die Aufnahmekosten entrichten läßt.

Bereits gegenwärtig ist der Colney-Hatch-Kirchhof stark in Anspruch genommen worden und die ursprünglich für die Gräber – auf zehn Jahre – bestimmten einhundert und fünfzig Acres haben bereits ihr Deputat an unterirdischen Bewohnern empfangen. Es ist ein eigenthümlichen Gefühl, die noch nicht in „Geschäftsbetrieb“ genommenen weiten Bodenflächen mit dem Gedanken zu betrachten: daß die ganze Räumlichkeit zu Todtenlagern benützt werden wird.

Noch gewaltiger berührt es, wenn der Dampfzug dahinbraust in die Nacht hinaus; – mögen die Sterne über Blumen blinken, oder mag der Sturm über kahle, winterliche Felder fegen – der Zug mit den dunklen, fensterlosen Wagen, in welchen sich die Todten als Passagiere befinden, bleibt gleich schauerlich.

Unendlich segensreich für die Sanitätsverhältnisse Londons haben jedoch diese Bestattungs-Compagnien gewirkt, welche mit größter Schnelligkeit die Entfernung der Leichen aus dem Bereiche der Lebendigen Londons vermitteln. London, wo man so selten Jemand begraben sieht, ist laut der Tabellen der Lebensversicherungen die gesundeste Stadt in ganz England und wird hinsichtlich der günstigen Ziffer der Sterblichkeit von keiner Stadt Europas übertroffen.

A. G




Das Jubelfest des schwarz-roth-goldenen-Banners. (Nachtrag.) Es ist uns von vielen Seiten der Wunsch ausgesprochen worden, daß die „Gartenlaube“ den in Nr. 33 angezeigten Schluß dieses Artikels noch im laufenden Jahrgang bringen möge. Dies geschieht hiermit, wobei wir jedoch allerdings zu einer möglichst gedrängten Darstellung uns genöthigt sehen.

Mit dem Jahre 1827, bis zu welchem der zweite Theil dieses Artikels (Nr. 33) uns geführt hatte, nahm die berüchtigte Mainzer Commission ein Ende, in den Festungen schmachteten nur noch Wenige (darunter A. Ruge in Colberg), der Ernst der Verbote wurde geringer, die Farben wurden wieder getragen und nur das Turnen noch mit großer Heimlichkeit getrieben.

Inzwischen bereitete sich von Erlangen aus jene innere Spaltung der Burschenschaft vor, welche bald die förmliche Trennung zur Folge hatte. Während die eine Richtung (die sog. arminische) das alte „Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm“ der Burschenschaft und deren patriotische Tendenz festhalten, aber von einem Hinausgreifen über das Studentische nichts wissen mochte, wollte die andere Richtung (die sog. germanische) nicht eine bloße Vorbereitung zur Herbeiführung eines freien Staatslebens, sondern schon von der Universität aus diese Herbeiführung selbst, wollte einen freien Verein deutscher Jünglinge zur Herbeiführung eines in Volkseinheit und Volksfreiheit bestehenden Zustandes im deutschen Vaterlande, verfolgte also eine praktisch-politische Tendenz, welche schließlich einen revolutionären Charakter annahm. So trennte sich die Burschenschaft um 1830 fast überall in Arminen und die „forscheren“ Germanen. Hinsichtlich der Eigenthümlichkeiten beider Parteien verweisen wir auf die „Geschichte des Jenaischen Studentenlebens von der Gründung der Universität bis zur Gegenwart (1848–1858) von Rich. und Rob. Keil (Leipzig, Brockhaus 1858)“. Hier mag nur noch bemerkt sein, daß man solchen Conflicten hervorgewachsene beißende Spottlieder, wie sie sich theils nur noch im Gedächtniß der damaligen Musensöhne forterhalten haben, theils durch ein jetzt im sechsundsiebenzigsten Semester stehenden bemoostes Haupt von Jena, die sogenannte Alte Latte, unter dem Titel „Jena’sche Luft“ veröffentlicht worden sind, die gegenseitige Stimmung am deutlichsten veranschaulichen.

Trotz alledem und obgleich die verschiedenartigen Zwecke die beiden Burschenschaften auseinander hielten, war das damalige vielbewegte akademische Leben in Jena doch schön. Da kam das große Hambacher Fest (27. Mai 1832) und in und als Folge desselben neue strengste Bundesverbote gegen die Burschenschaft, wie als Antwort darauf ein neuer Burschentag zu Stuttgart und einige Monate später, am 3. April 1833, das Frankfurter Attentat. Eine neue Untersuchungs-Centralbehörde wurde in Frankfurt a. M. niedergesetzt und neue Demagogen-Verfolgungen begannen. Schon der Besitz eines altdeutschen Rockes reichte damals hin, um chicanirt und gemaßregelt zu werden. Die Bibliothek und das Archiv der Burschenschaft, – aus denen später so viel wichtiges Material zu unserer Geschichte des Jenaischen Studentenlebens und neuerdings zur Aufklärung über die Gründung der deutschen Burschenschaft in Jena geschöpft werden konnte – mußten sich wieder in Kisten und Kasten, ja unter das Holz im Holzstalle flüchten. Aber der burschenschaftliche Geist war auch jetzt nicht auszurotten, im Geheimen bildeten sich neue Vereine, im Geheimen trug man die Farben, pflegte vaterländischen Sinn nach wie vor und vergaß darüber auch den Humor nicht. Die Spalten dieser Zeitschrift brachten vor Kurzem (in dem Artikel „Es war doch schön auf Hochschulen“, Nr. 27) die lebendige Schilderung eines humoristischen Festes aus jener Zeit.

Was die Burschenschaft gepflegt und bewahrt hatte: das deutsche Einheitsgefühl, das Nationalbewußtsein, war allmählich durch alle Schichten des Volkes gedrungen; im Jahre 1848 hatte es, wenn auch nur vorübergehend, seinen Sieg gefeiert; die deutschen Turner, Schützen und Sänger waren seitdem mit ihren nationalen Festen zu einer großen deutschen Burschenschaft geworden. Da feierte in den Augusttagen 1858 das alte, aber ewig junge Jena sein dreihundertjähriges Jubiläum. Von Nah und Fern, von Süd und Nord strömten die „alten Häuser“ herbei, ja selbst die ältesten Häuser, welche in den Jahren 1792, 1793 flg. in Jena studirt, sogar den großen Auszug nach Nohra im Jahre 1792 noch mitgemacht hatten, und am 12. Juni 1865 sah das „deutsche Haus“ wiederum eine Schaar alter Bursche vereinigt. Ein Häuflein Burschenschafter aus der alten und ältesten Zeit der Burschenschaft (Klötzner. Hanitsch, Tömlich, Scheidler, Hotzel, Schüler, Frommann, Stark, Gabler, Haberfeld, Wedekind, Klopffleisch, Kluge u. A.) feierten mit festlichem Mahle den fünfzigjährigen Stiftungstag der Burschenschaft. Es war eine Tafelrunde voll feierlicher, gehobener Stimmung. Wie erklang so festlich wieder unter des greisen Componisten Hanitsch Leitung das alte Bundeslied: „Sind wir vereint zur guten Stunde“! Wie fröhliche Rührung verbreitete sich im Kreise, als Superintendent Klötzner sein von ihm heilig bewahrtes Exemplar des Liedes, wie er es damals am 12. Juni 1815 und mit diesem Datum auf dem Titel behändigt erhalten hatte, aus der Tasche zog! Wie erklangen Toaste so innig, so kräftig auf die Gründer der Burschenschaft, auf ein einiges, freies deutsches Vaterland, auf Fichte, auf ein frisches, freies Studentenleben, auf dahingegangene Freunde etc.! Wie begeistert verabredeten die Theilnehmer am Wartburgfeste von 1817, treu dem Geiste, in dem sie dort vereinigt gestanden, eine Erinnerungsfeier für das Jahr 1867!

Nur Eines fehlte: die alte Burschenfahne, und damit hatte es seine ganz eigenthümliche Bewandtniß.

Am 31. März 1816, am zweiten Jahrestage der Einnahme von Paris, wurde, wie schon im ersten Theil diesen Artikels berichtet ist, der Jenenser Burschenschaft von den Frauen und Jungfrauen Jenas eine prachtvolle Fahne zum Geschenk überreicht. Sie besteht, wie die Abbildung auf Seite 509 der Gartenlaube zeigte, aus einem schwarzen und zu beiden Seiten

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