Seite:Die Gartenlaube (1866) 010.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Agenten der Orleans bezeichnete, durch die Straßen von Paris schlendern.

Das war zu viel. Welchen geheimen Beschützer hatte Frau von St. Amaranthe, wie mächtig mußte derselbe sein, wenn er seinen Schützling vor der Ahndung der schwersten Verbrechen gegen die Republik so dauernd zu schirmen wußte? Diese Fragen sich zu beantworten, scheuten die Nachbarn des Hotels St. Amaranthe in der Straße des Lombards kein Mittel. Sie guckten über die Hofmauern, spazierten Abends vor dem Hotel umher und suchten Bekanntschaft mit der Dienerschaft der Frau von St. Amaranthe anzuknüpfen. Allein sie erfuhren nur schon Bekanntes. Einige besonders Neugierige hatten indeß doch die ziemlich wichtige Entdeckung gemacht, daß Frau von St. Amaranthe, ihre Tochter, ihr Schwiegersohn und der alte de Quesvremont wöchentlich zwei Mal zu einer bestimmten Stunde, Abends neun Uhr etwa, das Hotel verließen. Die Späher waren ihnen nachgeschlichen und hatten die Gesellschaft bis in die Gegend der Straße Victor begleitet; dort war sie ihnen entschwunden und hatte sich in dem Gewirr von Gäßchen verloren, das zwischen dem Pantheon und dem Pflanzengarten hinlief.

Allmählich lernten die Neugierigen durch anhaltendes Studium auch die Gäste des Hotels genau kennen, und so mußte sich die Verwunderung immer höher steigern, wenn man bemerkte, daß neben den royalistischen Freunden auch wüthende Republikaner daselbst verkehrten. Hatte Frau von St. Amaranthe es verstanden, die Raserei der politischen Gegner zu beschwichtigen? Fast mußte man ihr diese Macht zutrauen, denn mit Herrn von Quesvremont in derselben Gesellschaft bewegte sich z. B. der Schauspieler Trial. Trial war ein leidenschaftlicher Republikaner und persönlicher Freund Robespierre’s.

Am 2. Mai 1794, nach einem schönen, sonnigen Tage, als der sanfteste Abendhauch über Paris zog, hatte Frau von St. Amaranthe ihre Salons festlich geschmückt. Die Lichter brannten auf den silbernen Candelabern und auserlesene Erfrischungen bedeckten das Buffet des Speisesaales. Gleichwohl war die Gesellschaft nur sehr klein. Sie bestand aus der Wirthin und deren Tochter, aus Sartines, dem Herrn von Quesvremont und einer jungen, ebenso schönen wie geistreichen Frau, welche sich die Marquise von Chastenais nannte. Die Anwesenden schienen in erwartungsvoller Aufregung zu sein und promenirten in den Gemächern auf und nieder, bis die Glocke neun Uhr schlug. Mit dem letzten Schlage eilten sie Alle in den Empfangssalon. Hier warteten sie eine Zeit lang und fuhren unwillkürlich erbebend zusammen, als etwa zehn Minuten nach neun Uhr die Hausklingel heftig gezogen ward. „Jetzt kommt er,“ flüsterten sie Alle. Ihre Gesichtszüge drückten gespannte Erwartung aus, ihre Stellungen waren fast denen der Jäger zu vergleichen, die das Hervorbrechen eines Wildes aus dem Gebüsch belauern. Sie hörten Stimmen im Vorzimmer, dann näherten sich Tritte, darauf ward die Thür geöffnet und der Schauspieler Trial trat in Begleitung eines elegant gekleideten und frisirten Mannes von stolzer und doch bescheidener Haltung in den Saal. Die Anwesenden neigten sich, der Fremde erwiderte höflich den Gruß. Trial ergriff seine Hand und stellte ihn der Gesellschaft mit den Worten vor: „Maximilian Robespierre, der erste Bürger der Republik Frankreich.“

Der Gefürchtete schritt zu Frau von St. Amaranthe. „Du hast gewünscht, Bürgerin,“ begann er, „mich kennen zu lernen? Ich erfülle Deinen Wunsch.“

„Bürger Dictator, ich bin erfreut, Dich zu sehen,“ erwiderte die Wirthin, „ich rechne diesen Tag zu den wichtigsten meines Lebens. Ich bin begeistert für Dich.“

„Wirklich?“ entgegnete Robespierre. „Es klingt so, als wäre es die Wahrheit. Trial hat mir erzählt, daß ich hier Freunde finden werde. Ich – Freunde, wo die Originale dieser Bilder gleich den Heiligen verehrt werden?“ Er zeigte auf die Portraits des hingerichteten Königspaares, die an der Wand hingen.

„Was geschehen ist, das mag man als Werk höherer Hand ansehen,“ sagte Frau von St. Amaranthe. „Wir erblicken in Dir das Mittel, wodurch Gott eine neue Ordnung der Dinge bewerkstelligen will – – wir –“

„Halt, Bürgerin!“ fiel ihr Robespierre ins Wort. „Weißt Du nicht, daß die Republik den Namen ‚Gott‘ auszusprechen verbietet?“

„Du selbst wirst ihn wieder einführen,“ rief die Marquise von Chastenais vortretend, „Du weißt, daß er Dich beschirmt, daß er Deine Person ausersehen hat.“

„Fast muß ich es glauben,“ sagte Robespierre düster lächelnd. „Ihr Alle wißt noch nicht, was geschehen. Vor zwei Stunden sollte ich das Opfer einer Meuchelmörderin gleich wie einst Marat werden.“

„Erschrocken fuhren Alle zurück.

„Ein junges Mädchen hat nach mir gefragt, mich zu sehen gewünscht. Sie schien verdächtig und man hat sie festgenommen. Die Unglückliche hatte Mordwaffen bei sich. Als sie gefragt ward, weshalb sie zu mir wolle, antwortete sie: ‚Ich habe sehen wollen, wie ein Tyrann aussieht.‘ Und Ihr, meine schönen Bürgerinnen, Ihr ruft mich als den Ordner des Erdballs, den Bringer einer neuen Zeit aus, während man mich als Tyrannen erdolchen will?“

„Ich bin noch zu erregt von der Nachricht,“ sagte Frau von St. Amaranthe, „um Dir wohl darauf antworten zu können, aber lasse Dich bei mir nieder.“

Die Gesellschaft saß bald im Kreise zusammen. Anfangs drehte sich das Gespräch natürlich um den beabsichtigten Mordversuch.

„Wie ist der Name des Mädchens?“ fragte Sartines.

„Cäcilie Renault, die Tochter eines Papierhändlers,“ antwortete Robespierre. „Was kann ihr Vorhaben gewesen sein, als Mord? Ich möchte sie gern retten.“

„Kein Stahl ist für Dich geschliffen, Bürger Dictator,“ sagte Herr von Quesvremont mit Emphase. „Du wirst triumphiren über Alle, die Dir entgegen sind. Mögest Du nur das Werk durchführen, wie Du es begonnen. Aber wozu die blutigen Beile? Weshalb die gefüllten Kerker? Als Danton und Hebert gefallen waren, glaubten wir sicher an eine Wendung der Dinge, wir wissen auch, Bürger Dictator, daß Du in Deinem Kopfe Pläne trägst, welche eine Herstellung ruhiger Zustände bezwecken. Du duldest religiöse Zusammenkünfte. Würdest Du sie dulden, wenn nicht eine große Maßregel in Deinem Plane läge, nach welchem das Blut aufhören soll zu fließen, nach welchem endlich aus dem rothen Meere die Sonne eines neuen, schönen Tages heraufsteigen soll?“

Robespierre erhob sich schnell. „Nichts weiter davon! Ich darf diese Worte nicht hören. Ihr sprecht von den Maßregeln der Republik als Aristokrat, der Ihr seid. Ich heilige das Gastrecht, indem ich Dein Wort nicht gehört haben will. Woher wißt Ihr von meinen Planen, meinen Absichten?“

Die Marquise von Chastenais trat zu ihm, legte die Hand auf seinen Arm und schaute ihm fest in’s Gesicht. „Maximilian Robespierre,“ sagte sie mit sanfter Stimme, „es giebt höhere Dinge, als die Menschen dieser Zeit glauben wollen. Blicke uns Alle an. Wir sind die Geweihten eines Bundes, der täglich an Zahl wächst. In der stillen Nacht, im ärmlichen Raume arbeitet dieser Bund an der Aenderung der Dinge. Du kennst ihn, denn einer Deiner glühendsten Verehrer ist der Sprecher, der Priester. Dein Name wird genannt als der eines neuen Weltenerbauers, Du bist der Prophet, der Beglücker sollst Du sein, so verkündet Dich uns die Sibylle, die Schöpferin unserer Vereinigung. Ohne es zu ahnen, hast Du Dir ein Heer geworben, das, mit der Waffe des Wortes aus dem Munde unserer Sibylle hervorgehend, Deine Feinde schlagen helfen wird. Du hast Briefe, Weisungen erhalten, Du weißt, daß Du zählen kannst auf Alle, die zu uns gehören; wir trauen Deinem Genie, Deinem Herzen und rufen Dir zu im Namen unserer Mutter: ‚Wirf es von Dir, das Beil des Blutgesetzes, und sei der Schöpfer einer reinen, neuen Zeit.‘“

Robespierre stand unbeweglich, die Arme über der Brust gekreuzt, die Versammelten anblickend. „Ich befinde mich also unter Mitgliedern des Bundes ‚der Mutter Gottes‘!“ rief er. „Trial, warum sagtest Du mir das nicht? Ja, ja, ich weiß. Es giebt eine solche Loge des Prophetismus. Ich duldete sie bisher, ich werde sie weiter dulden. Mein überspannter Freund, Dom Gerle, hat mich oft davon unterhalten“

„Leugne nicht, Robespierre,“ rief Frau von St. Amaranthe begeistert, „Du gehst mit einem Plane um, bei dem die Hülfe der Erleuchteten Dir nützen kann – muß – soll; Du zeigst bereits offen Deinen Abscheu gegen Blut. Weil wir das sahen, weil wir in Dir den neuen Propheten erblicken, traten wir dem Bunde bei, um Dir näher zu stehen. Baue sie auf, die alten Gottestempel, die der bessere Theil der Nation jammernd vermißt,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_010.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)